Verstärkt sich eine Depression in Corona-Zeiten? Eine neue Studie zeigt: Betroffene leiden stärker unter den Maßnahmen und erleben Einschränkungen bei der Behandlung.
Auswirkungen der Corona-Krise auf eine Depression
Dass die Corona-Krise Auswirkungen auf die psychische Gesundheit vieler Menschen hat, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Besonders hart trifft es diejenigen, die schon vor Beginn der Pandemie unter psychischen Problemen oder einer Depression litten.
Lies auch:
- Corona + Psyche: Das machen sechs Monate Pandemie mit uns
- Optimismus lernen: 8 Tipps, die dir das positive Denken erleichtern
- Positive Psychologie: Die Kunst des erfüllten Lebens
Depressiv Erkrankte belasten Corona-Maßnahmen besonders
Eine aktuelle Studie der Stiftung Deutsche Depressionshilfe zeigt, dass an Depressionen erkrankte Menschen zwar im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung nicht mehr Angst haben, sich mit dem Virus zu infizieren (43% vs. 42%), den Lockdown im Frühjahr jedoch als deutlich belastender erlebt haben (74% vs. 59%). Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, leiden fast doppelt so häufig unter der fehlenden Tagesstruktur (75% vs. 39%) und konnten dem veränderten Leben in der Corona-Krise seltener auch Positives abgewinnen, wie z.B. den Frühling bewusster erlebt zu haben (38% vs. 58%). Auch längere Zeit nach dem ersten Lockdown belastet die Situation depressiv Erkrankte stärker. Im Juli 2020 gaben 68% an, die Situation als bedrückend zu empfinden. In der Allgemeinbevölkerung waren es nur 36%.
Wenn Strukturen wegbrechen: Betroffene berichten
Bei der Vorstellung der Studienergebnisse berichteten zwei depressiv Erkrankte, Frau Ulrich und Herr Kepkowski, wie die für sie so wichtige Struktur von einem auf den anderen Tag beinahe komplett wegbrach. Kontakte wurden reduziert, Sportstätten geschlossen, Selbsthilfegruppen und Anlaufstellen in Einrichtungen und Krankenhäusern waren nicht mehr erreichbar. Hinzu kamen die Unsicherheit, wie lange dieser Zustand andauern würde, und zum Teil Existenzängste durch die abflachende berufliche Auftragslage. Beide berichten von Gefühlen der Hilflosigkeit und Isolation – und von einer starken und langen depressiven Episode in dieser Zeit.
"Eine schwere Depression ist die Hölle"
Häufig wird eine Depression als "Befindlichkeitsstörung" abgetan. Betroffene leiden unter der Stigmatisierung. "Depression zu beschreiben ist schwierig, wenn man nicht gerade in einer depressiven Phase ist", erklärt Frau Ulrich. Es sei "ein bisschen wie die kindliche Vorstellung der Hölle: es brennt, überall sind Flammen es ist ganz schrecklich." Auch Herr Kepkowski zieht eine klare Linie zwischen einem "Herbstblues" bzw. einer depressiven Verstimmung und einer schweren Depression: "Für uns ist das ein Dauerzustand. Da ist es dunkel, ich habe keine Lust an die frische Luft zu gehen, schränke soziale Kontakte ein, will mich niemandem aufdrängen, will mich nicht so zeigen. Das ist schrecklich, man möchte sich in diesem Zustand der Schwäche nicht der Welt zeigen.“
Depression ist keine Befindlichkeitsstörung, sondern eine Erkrankung des Gehirns.
Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Psychater und Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe Tweet
Psychotherapie online hilft, ist aber kein Ersatz
Frau Ulrichs Psychotherapie konnte per Online-Therapie fortgesetzt werden. Insgesamt nutzten 14% der wegen Depressionen in Therapie befindlichen Patient*innen in der Corona-Zeit erstmalig ein Behandlungsangebot via Telefon oder Video. Ihre Erfahrungen waren dabei überwiegend positiv. Der Psychater und Vorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe Prof. Dr. Ulrich Hegerl bewertet die Therapie ohne direkten persönlichen Kontakt eher als Notlösung: Wenn sich Psychotherapeut*in und Patient*in schon kennen, ein Vertrauensverhältnis besteht und eine Diagnose gestellt wurde, kann die Therapie via Videochat oder Telefon eine große Hilfe und Chance sein. Sie ist jedoch nicht gleichwertig, weil Veränderungen im Befinden eher im persönlichen Kontakt erkannt werden können. Für den Einstieg einer Patientin oder eines Patienten in die psychotherapeutische Behandlung sieht Hegerl die Online-Therapie eher kritisch.
Jeder zehnte Klinikaufenthalt konnte nicht stattfinden
Nicht alle Betroffenen konnten ihre Behandlung im Lockdown weiterführen, jede*r Zweite (48%) berichtet von ausgefallenen Behandlungsterminen bei Fachärzt*innen oder Psychotherapeut*innen. Jede*r zehnte an einer Depression erkrankte Befragte erlebte sogar, dass ein geplanter Klinikaufenthalt aufgrund der Pandemie nicht stattfinden konnte. 13% sagten Behandlungstermine aus Angst vor einer Ansteckung ab.
Hegerl zweifelt nicht die Notwendigkeit der bestehenden Corona-Maßnahmen an, gibt in Anbetracht dieser Zahlen jedoch zu bedenken, auch deren Folgen für die psychische Gesundheit vieler Menschen zu diskutieren: "Depression ist eine schwere, oft lebensbedrohliche und dringend behandlungsbedürftige Erkrankung. Hochgerechnet auf die Bevölkerung in Deutschland haben mehr als zwei Millionen depressiv erkrankte Menschen eine Einschränkung ihrer medizinischen Versorgung mit entsprechenden gesundheitlichen Folgen durch die Corona-Maßnahmen erlebt. Nur bei Beachtung dieser negativen Folgen kann die richtige Balance gefunden werden – eine Balance zwischen Leid und Tod, die durch die Corona-Maßnahmen einerseits möglicherweise verhindert und andererseits konkret verursacht werden."
Mehr als zwei Millionen depressiv erkrankte Menschen haben eine Einschränkung ihrer medizinischen Versorgung durch die Corona-Maßnahmen erlebt.
Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Psychater und Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe Tweet
Kein Anstieg der Depressionen durch Corona erwartet
Hegerl erwartet nicht, dass die Zahlen der an Depressionen erkrankten Menschen durch die Corona-Pandemie ansteigen. Er erklärt, die Krankheit entstehe nicht (nur) aufgrund äußerer Einflüsse, sondern die Veranlagung einer Person spiele eine entscheidende Rolle dabei, ob sie im Laufe ihres Lebens an einer Depression erkrankt. Es gehe nun verstärkt darum, depressiv Erkrankten während der zweiten Corona-Welle eine stabile Versorgung zu ermöglichen und ihnen die Angst zu nehmen, trotz Pandemie medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Betroffenen, die bisher noch kein "Auffangnetzwerk" haben rät er zu einem Erstgespräch bei Hausärzt*innen oder Psychotherapeut*innen.
Wichtige Informationen:
Wenn du von Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen betroffen bist, solltest du dir gerade in der aktuellen Situation schnell Hilfe suchen. Hilfreiche Adressen und Tipps:
- Hausärzt*innen, Fachärzt*innen und psychiatrische Kliniken sind geöffnet und können qualifizierte Beratung geben.
- Wissen, Selbsttest und Adressen rund um das Thema Depression unter www.deutsche- depressionshilfe.de, spezielle Hinweise für die Corona-Zeit: www.deutsche-depressionshilfe.de/corona
- Die Telefonseelsorge unter 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 ist jederzeit erreichbar.
- Das Online-Forum zum Erfahrungsaustausch diskussionsforum-depression.de wird fachlich moderiert
- Deutschlandweites Info-Telefon Depression 0800 33 44 5 33 (kostenfrei)
- Selbsthilfegruppen in der Nähe unter www.nakos.de
- E-Mail-Beratung für junge Menschen: u25-deutschland.de oder www.jugendnotmail.de
- Fachlich moderiertes Online-Forum für junge Menschen ab 14 Jahren: www.fideo.de
- Lange Wartezeiten auf Therapieplätze können durch eine Online-Therapie überbrückt werden. Es gibt inzwischen diverse Anbieter, wie zum Beispiel Deprexis.
Weiterlesen:
Wir möchten euch darauf hinweisen, dass ihr bei Besuch und Nutzung der Plattform Disqus, den durch EMOTION.DE gewährleisteten Datenschutz verlasst.