Krisen hatten wir nun wirklich genug – und leider stecken wir immer noch mittendrin. Wie wir Krisen erfolgreich meistern und gestärkt aus ihnen hervorgehen, erklärt Mediziner Michael Haensch.
Krisen meistern und daran wachsen
Die vergangenen Jahre hatten es in sich. Die Corona-Krise, der Krieg in der Ukraine, Existenzängste, berufliche und private Herausforderungen. Und leider stecken wir immer noch tief drin im Katastrophenmodus. Was kann man tun, wenn man in einer Lebenskrise steckt? Und warum trifft einige Menschen eine Krise härter als andere? Resilienz lautet das Zauberwort. Von der wollen wir aktuell alle mehr.
Wie eng berufliche und private Krisen miteinander verknüpft sind, erklärte uns der Mediziner Michael Haensch im Interview. Denn als Unternehmensberater, Manager und Arzt arbeitet er direkt an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Medizin.
Emotion.de: Wann sprechen wir überhaupt von einer Krise? Gibt es eine allgemeine Definition von Krise?
Michael Haensch: Das Wort Krise bedeutet ursprünglich "Entscheidung". Tatsächlich erleben wir besonders problematische Entscheidungen als krisenhaft, da sie meistens mit einem Wendepunkt, also der Unterbrechung des Bekannten, einhergehen. In der systemischen Organisationsentwicklung beschreiben wir Krisen als Lernerfahrungen jenseits der Komfortzone. Sie sind meist verbunden mit dem Erleben heftiger Emotionen wie Angst, Verlust, Scham und/oder Trauer.
Von welcher Art von Krise, also welcher Art problematischer Situation, sprechen wir hier?
Wir unterscheiden individuell erlebte Krisen – wie den Verlust des Arbeitsplatzes oder einer Überforderung, die zur Erschöpfungsdepression führt – von kollektiv erlebten Krisen. Von einer Schmiergeldaffäre oder dem Selbstmord eines Kollegen beispielsweise ist meist eine ganze Organisation krisenhaft betroffen. Die Dynamiken sind dann ähnlich wie bei einer Massenpanik weniger einschätz- und kontrollierbar.
Wie unterscheiden sich persönliche von beruflichen Krisen oder ist eine berufliche immer auch eine persönliche Krise?
Wenn jemand in einer Krise steckt, hat sie immer auch eine persönliche Komponente. Durch die mit der Situation verknüpften persönlichen Emotionen wird die Krise überhaupt erst als Krise erlebt. Das Berufliche lässt sich ja immer schwieriger vom Privaten trennen. Zum einen holen wir uns durch flexible Arbeitszeitmodelle und Homeoffice berufliche Probleme buchstäblich nach Hause und zum anderen sind die Toleranzschwellen für Fehler in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren kontinuierlich gesunken. Das heißt: Fehler werden heute viel weniger als Lernchancen gesehen, und viel mehr durch personelle Konsequenzen sanktioniert.
In Krisenzeiten sind besonders Führungskräfte gefragt, die sich mit breiter Brust in die Gischt stellen und weniger Manager, die sich unter Deck verkriechen.
Michael Haensch, UnternehmensberaterTweet
Hat eine Krise unterschiedliche Dimensionen? Wenn ja, welche?
In einer Organisation hat eine Krise vier Dimensionen:
1. Juristisch: Fehler, die in Organisationen zu Krisen führen, können schnell das Überleben einer Organisation gefährden. Ein wichtiger Aspekt ist, möglichst schnell einen „Verantwortlichen“ zu finden.
2. Kommunikativ: Was wann von wem wie kommuniziert werden kann und sollte, ist bei der Geschwindigkeit der neuen Medien eine der großen Fragen in der Krisenbewältigung. Wenn man vor 20 Jahren meist noch 24 Stunden Zeit hatte, bis man öffentlich reagieren musste, gehen Krisensituationen heutzutage in Minuten um die Welt und werden von Millionen von Menschen zur Kenntnis genommen.
3. Psychologisch: Die Bewältigung der emotionalen Dimension von Krisen ist in Organisationen von besonderer Bedeutung, da Gruppen sich unter Angst, Scham und Verlust anders entwickeln als Einzelne. Die Gruppendynamik sorgt schnell für einen nur schwer reparablen Verlust von Motivation, Vertrauen und Identifikation. Diese Dimension ist die am längsten anhaltende (Beispiel: Siemens, Deutsche Bank, VW).
4. Operativ: Diese Dimensionen resultieren schließlich in einer operativen, bei der das Management wichtige Entscheidungen nicht treffen kann und das Alltagsgeschäft deutlich abgebremst wird oder sogar zum Stillstand kommt. In Krisenzeiten sind besonders Führungskräfte gefragt, die sich mit breiter Brust in die Gischt stellen und weniger Manager, die sich unter Deck verkriechen. Dadurch werden letztlich die Dauer sowie der Ausgang einer Krise bestimmt.
Können Sie ein paar Beispiele für typische Krisensituationen im Beruf nennen?
Als besonders krisenhaft werden Störungen auf der Beziehungsebene erlebt, bei denen es um Vertrauensverlust geht. Dabei ist es irrelevant, ob es um den Verlust von zwischenmenschlichem Vertrauen geht wie beispielsweise zwischen Kollegen oder um einen institutionellen, bei dem das Vertrauen zum Beispiel in die Geschäftsleitung verloren geht. Da wesentliche Aspekte wie Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen sowie der eigenen Rolle an diesen Beziehungsdynamiken hängen, wiegt eine Störung auf dieser Ebene besonders schwer.
In case of doubt – communicate!
Michael Haensch, KrisenmanagerTweet
Haben Sie konkrete Tipps, wie sich solche Situationen meistern lassen?
In case of doubt – communicate! So lautet die simple und gleichzeitig herausfordernde Formel zur Lösung bzw. zur Prävention dieser Konfliktdynamiken. Solange es gelingt, dem anderen gute Gründe für sein Verhalten zu unterstellen, fällt es leichter, die Irritationen zur Sprache zu bringen. Konflikt- und Krisenbewältigung hat also auch mit der eigenen Haltung anderen gegenüber zu tun!
Sie beschäftigen sich intensiv mit der Burnout-Prävention. Wieso ist Burnout seit Jahren immer mehr zum Thema geworden?
Zunächst einmal dürfen wir als Gesellschaft anerkennen, dass der Burnout die erste Krankheit ist, die Menschen haben wollen – ein Marketingerfolg, der seinesgleichen sucht. In der Unternehmenswelt wurde der Begriff vor allem Anfang des neuen Jahrtausends zunehmend populär. Bis dahin nannte sich das Krankheitsbild Erschöpfungsdepression.
Burnout hingegen hat eine Konnotation von Übersäuerung nach großen Leistungen. Ähnlich wie im Sport ist einer über seine Grenzen gegangen, hat Großes vollbracht und hat nun das Recht – ja die Pflicht – sich zu regenerieren. Das klingt deutlich verlockender als Erschöpfung und Depression, oder?
Was darf man in einer Krise auf keinen Fall tun?
Aufgeben.
Michael Haensch ist Mediziner, Führungskraft und Dozent, begleitet als Berater Unternehmen bei Veränderungsprozessen und berät sie mit seiner Firma Menschenkenner auch in Sachen Krisenprävention und Krisenbewältigung: "Kern unserer Arbeit ist das Ziel Unternehmen und Teams handlungsfähiger und produktiver zu machen", so Haensch über sein Unternehmen. Seit 2015 ist er außerdem Geschäftsführer der krisenEXperten GmbH.