Vor drei Jahren hat Miriam ihre Wohnung gekündigt, all ihr Hab und Gut verkauft und ist in einen Campervan gezogen, in dem sie arbeitet, schläft, kocht und duscht. Vier Quadratmeter – durch die ihre Freiheit grenzenlos geworden ist. Hier erzählt sie von ihrem Leben als Nomadin und wieso sie jetzt sesshaft werden will.
Miriam, wie und wo wohnst du aktuell?
Ich stehe mit meinem Campervan gerade längere Zeit auf einem Campingplatz nahe Bonn. Von dort aus arbeite ich, remote als Texterin und Webdesignerin sowie Achtsamkeits- und Resilienztrainerin. An Bord habe ich alles, was ich zum Leben brauche: eine kleine Küche, Dusche, WC, einen Arbeitsplatz, eine Yogamatte.
Vor drei Jahren hast du deine Wohnung gekündigt, all dein Hab und Gut verkauft oder verschenkt und bist einfach losgefahren. Wie kam es dazu?
2018 wurde ich vom Leben dazu gedrängt, als ich aufgrund einer Depression und Angstzuständen nicht mehr alleine wohnen konnte und erst mal zurück zu meinen Eltern gezogen bin. Eine Etappe auf meiner Genesung war mein Umzug in den Van. Das Loslassen von Altem gehörte zum Heilungsprozess.
Van Life ist etwas komplizierter im alltäglichen Ablauf, aber befreit dich auch von unnötigem Kram
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Was hast du dir vom Van Life erhofft?
Es war der Neustart nach einer Krise, die ein Weckruf war: Was will ich wirklich – abseits der vorgegebenen Ideale von Job, Haus, Kind, Karriere? Ich hatte mich da viele Jahre eher reingezwängt. Durch meine neu gewonnene Freiheit konnte ich mich neu erfinden, tun, was ich wollte, und anfangen, mich meinen Ängsten zu stellen.
Welche Herausforderungen bringt das Leben im Camper mit sich?
Es war sehr aufregend, sich an neue Alltagsroutinen zu gewöhnen wie Wasser für die Toilette und Co. zu besorgen oder Parkplätze zum Übernachten zu finden. Dinge, die zu Hause selbstverständlich sind, kosten unterwegs viel Energie. An jedem Ort musst du dich neu orientieren und mit neuen Leuten klarkommen. Oder eben mit der Einsamkeit.
Welche Alltagssituationen sind im Van eher aufwendig?
Zum Duschen baue ich einen faltbaren Hundepool als Wanne auf, stelle mich rein und pumpe einen Sack auf, an dem ein Duschkopf befestigt ist. Wenn ich warm duschen möchte, muss ich das Wasser vorher auf dem Gasherd erwärmen und dann in den Duschsack gießen. Der Sack fasst zehn Liter – das reicht bei mir für zwei Duschgänge. Wasser ist unterwegs ein kostbares Gut. Ich habe auch nur einen großen und einen kleinen Teller, zwei Gläser und etwas Besteck. Van Life ist etwas komplizierter im alltäglichen Ablauf, aber befreit dich auch von unnötigem Kram, sodass du dich automatisch aufs Wesentliche konzentrierst.
Vermisst du manchmal deine Wohnung?
Meistens nicht. Bei Minusgraden bin ich allerdings oft erschöpft. Ich habe zwar eine Heizung im Van, aber in den dünnen Wänden wird es schon echt kalt. Wenn ich viele Aufträge habe, miete ich für ein paar Wochen eine Airbnb-Wohnung. Dann kann ich meine Energie für die Arbeit einsetzen statt fürs aufwendige Duschen.
Wie sieht dein mobiler Arbeitsplatz aus?
Mein Bett ist oft auch mein Arbeitsplatz, deshalb habe ich häufiger ordentliche Rückenschmerzen. Da braucht es bewusste Pausen. Kürzlich habe ich einen zweiten Tisch installiert, um eine weitere Arbeitsecke zu haben – für eine gesunde Trennung von Arbeits- und Wohnbereich. Manchmal arbeite ich im Stehen, dort, wo ich abends koche. Bei mir ist auf vier Quadratmetern alles multifunktional!
Wie haben sich deine Bedürfnisse beim Wohnen verändert?
Ich brauche direkt Natur um mich herum beim Aufstehen und ins Bett gehen, das nährt mich. Früher war es mir wichtig, da zu wohnen, wo ordentlich was los ist.
Glaubst du, die Art, wie ein Mensch wohnt, spiegelt seine Seele wider?
Der Wohlfühlgrad deines Zuhauses kann eine Tür sein, dich mit deinen Bedürfnissen auseinanderzusetzen oder sie überhaupt erst mal zu spüren. Wenn unsere Art zu wohnen nicht zu uns passt, werden wir zwangsläufig Kummer spüren. Ich mag den Satz "Du kannst nicht dort gesund werden, wo du krank geworden bist" – deshalb verändert sich in einem Heilungsprozess auch oft unsere Wohnsituation.
Was kommt nach dem Van Life bei dir?
Ich habe meine großen Mutproben bestanden, neuen Lebenswillen gefunden und Resilienz aufgebaut. Der wichtigste Zweck, den das Herumreisen hatte, ist erfüllt. Ich bin zufrieden und ruhe sehr in mir. Diese Zufriedenheit möchte ich bald an einem festen Ort vertiefen, meine Energie in tiefe Beziehungen und meine Arbeit stecken und nicht mehr in die ständige Suche nach einem Schlafplatz.
Dieser Artikel erschien erstmals in EMOTION 10/23.
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