Nehmen wir mal an, das Glück wäre eine Person. Unter welchen Bedingungen kann sie sich gut entfalten, was hält sie klein? Und vor allem: Was können wir tun, um ihr eine richtig gute Gastgeberin zu sein?
Klar, jede:r weiß, was Glück ist. Es auf den Punkt zu bringen, ist trotzdem nicht ganz leicht. Ist es eine Haltung? Ein Gefühl? Und woran erkennen wir, ob wir glücklich sind? Zählen nur himmelhochjauchzende Momente, ist es einfach. Schmetterlinge im Bauch, die Leichtigkeit, das vergnügte Glucksen: Der Körper weiß dann Bescheid. Was ist jedoch mit Zufriedenheit, mit wohltuender Erschöpfung nach einer bewältigten Anstrengung, dem Kick, ein Ziel erreicht zu haben, oder mit der Erleichterung, dass es doch noch einmal gut gegangen ist? Ist das auch Glück? Oder etwas anderes?
Glück ist auch politisch relevant
Die Wissenschaft hat das Thema in vielen Studien umkreist. Nicht nur aus Forscher:innengeist, sondern auch, weil Glück eine volkswirtschaftlich und politisch relevante Größe ist: Menschen, die sich als glücklich beschreiben, sind gesünder, produktiver und leben im Schnitt länger. 2011 verabschiedete die UNO-Generalversammlung die Resolution 65/309 „Glück: Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Konzept für Entwicklung“. Der Wohlstand der Nationen soll seitdem in einer Art und Weise gemessen werden, die über Materielles hinausgeht.
Laut einer polnischen Studie verbinden die meisten Menschen Gesundheit und Beziehungen mit Glück. Arbeit ist ebenfalls ein zentraler Faktor. Nicht wenige berichten auch von intensivem Wohlgefühl, wenn sie etwas erreicht haben oder sich gebraucht fühlen. Die Sicherheit, die Geld und Güter bieten – auch das zählt. Aber hilft es zum Beispiel, klug zu sein? Etwas zumindest, folgt man den Ergebnissen einer Meta-Studie mit fast 50 000 Proband:innen. Möglicherweise gelingt es schlauen Leuten zum Teil
leichter, kritische Lebensereignisse gut zu bewältigen, glücksförderliche Entscheidungen zu treffen – und solche zu vermeiden, die mittel- und langfristig ins Unglück führen. Andererseits steigt mit entsprechender Veranlagung bei Menschen mit hohem IQ überproportional das Risiko, zu grübeln und sich überzogen selbstkritisch zu betrachten. Kurz: Mal hilft ein schlaues Köpfchen, mal nicht.
Schönes im Notwendigen finden – auch das ist Glück
Manche Menschen wiederum verfügen über das wunderbare Talent, das Notwendige nicht vorrangig als Übel zu betrachten, das sie von Schönerem abhält, sondern entdecken darin auch Interessantes und Erwünschtes. "#cleantok funktioniert bei mir immer", sagt etwa eine Freundin. Sie putzt nicht, weil sie muss, sondern weil sie will: für ihre gute Stimmung. "Banal, gewiss. Aber Putzen und Aufräumen macht mich glücklich", sagt sie. Tatsächlich hat diese Tätigkeit das Zeug zum "Glücks-Cookie": Saubermachen verschafft uns im günstigen Fall (nämlich dann, wenn wir es freiwillig tun) das gute Gefühl von Selbstwirksamkeit und Kontrolle, sorgt für Erfolgserlebnisse und hilft durch Bewegung Stress abzubauen. Bingo! Wer genau wissen möchte, wie groß das persönliche Glück gerade ist, kann dies mit wissenschaftlich fundierten Tests wie dem "Oxford Happiness Questionnaire" herausfinden. Ab einem Score-Wert von vier gilt man als "ziemlich glücklich".
Der Wunsch, alles im Leben zu kontrollieren, hält das Glück fern
Der Zufall spielt eine entscheidende Rolle dabei, wie glücklich Menschen sind – oder sein können. Allein das Land, indem wir zufällig geboren sind, entscheidet so viel. Die aktuelle Lage in der Welt zeigt eindringlich, dass die Chancen auf ein glückliches Leben nicht gerecht verteilt sind. Menschen, die Krieg erleben oder davor flüchten müssen, haben nicht die Wahl. Die Frage „Bin ich glücklich?“ stellt sich ihnen kaum. Sie sind konfrontiert mit der existenziellen Frage nach dem Überleben. Was ist mit meiner Familie? Meiner Freundin, den Arbeitskolleg:innen?
Angesichts dieser Katastrophe scheint die Frage nach Glück abwegig. Oder wie ein enormer Luxus. Die Menschen der westlichen Welt sind in den vergangenen Jahrzehnten jedoch immer weniger in der Lage gewesen, ihn als solchen wahrzunehmen. Obwohl wir in wachsendem Wohlstand und immer größerer Sicherheit vor Krankheit und Gewalt leben, steigt jedes Jahr die Zahl derer, die an Depressionen und Ängsten leiden. "Das ist statistisch gut beobachtbar und über klinische Diagnosen hinaus in Umfragen, in dem wachsenden Verbrauch von Psychopharmaka und in den Wartelisten psychotherapeutischer Praxen dokumentiert", schreibt der bekannte Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer in seinem Buch "Der Fortschritt und das Glück. Eine gescheiterte Beziehung". Schmidbauer diagnostiziert, dass ein übergroßes Kontrollbedürfnis uns unglücklich machen kann. "Zunehmend versuchen wir, nicht nur körperlichen Schmerz, sondern auch seelischen Schmerz präventiv von uns fernzuhalten. Das mag durchaus sinnvoll klingen, bedarf aber einer so starken Kontrolle sozialer Interaktionen, dass diese zugleich unweigerlich auch jene Glücksmomente unterbindet, die nur entstehen können, wenn wir uns ohne ständige Angst vor Regelverstößen empathisch begegnen."
Statt beherzt das Risiko des Scheiterns, Schmerzes und Verlusts zu akzeptieren und es auch einzugehen, wollen wir uns dagegen absichern oder erwarten, dass all das wie durch Geisterhand von uns ferngehalten wird – und lernen so zu wenig, Krisen als Normalfall anzuerkennen und sie erfolgreich zu bewältigen. Wenn wir es also üben können, mit der (unvermeidlichen) Tragik des Lebens umzugehen, können wir dann auch Einfluss auf unser Glück nehmen?
Die vielen Anleitungen zum Glücklichsein können wirklich funktionieren
Glücksgefühle lassen sich nicht ad hoc erzwingen, die Tür weit aufmachen können wir dem Glück schon. Die vielen "Anleitungen zum Glücklichsein", die Psycholog:innen verfassen, sie sind durchaus hilfreich. Sie laden ein, mögliche Fallstricke (Perfektionismus, Schwarz-Weiß-Denken oder Schlafmangel) zu identifizieren und stellen die vielfältigen Ressourcen (Dankbarkeit, Verzicht, Offenheit, Humor) vor, aus denen wir schöpfen können. Besonders die Positive Psychologie hat Pionierarbeit geleistet und hilfreiche Strategien populär gemacht. Wir können etwa mit verschiedenen Techniken unsere Aufmerksamkeit bewusst auf Beglückendes lenken, zum Beispiel mit einem Dankbarkeitstagebuch.
Man darf sich das wie einen Lichtkegel vorstellen, den wir gedanklich auf eine Sache richten, während anderes dafür im Halbschatten bleibt. Unser Glück hängt aber auch schlicht davon ab, wie es unserem Körper geht. Rückenschmerzen tun weh und schlagen aufs Gemüt. Umgekehrt zeigen sich seelische Belastungen oft in körperlichen Symptomen. Diese Wechselwirkung von Körper und Geist nennt sich Embodiment, Verkörperung. Über das Körperliche können wir tatsächlich auch aktiv unser Glücksempfinden steigern. Die Embodiment-Forschung zeigt, dass es Bewegungsabläufe gibt, die die Stimmung heben. So kann eine nach oben gerichtete und öffnende Qigong-Übung etwa dazu führen, dass wir uns verstärkt an positive Dinge erinnern. Eine aufrechte Haltung, einmal tief durchatmen – selbst das kann ein kleiner Glücksbringer sein.
Wie Kunst und Kultur uns vor Stress schützen
Und manche Forschungsergebnisse sind einfach "Ups": Paula Williams, Psychologin und Stressforscherin an der University of Utah/USA, stellte selbst davon überrascht fest: Je öfter ein Mensch bei ästhetischen Darbietungen eine Gänsehaut bekommt, desto stärker ist er vor Stress geschützt. Ob Arie oder Popsong, Theater oder Blockbuster, in der Ergriffenheit, die Kunst auszulösen vermag, zeige sich eine grundsätzlich positive Gefühlslage. Eine Spotify-Playlist, die uns einen wohligen Schauer beschert, bitte her damit! Auch jetzt, gerade jetzt.
Dieser Text erschien zuerst in der EMOTION 06/22.
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