Warum ist Lesen so wichtig für uns? Und was passiert mit Körper und Psyche, wenn wir lesen? Spannende News aus der Hirnforschung und Psychologie.
Lesen: die schönste Beschäftigung der Welt
Für uns ist Lesen eine der schönsten Beschäftigungen der Welt, auch – oder vor allem gerade – im digitalen Zeitalter. Dass Lesen gut für uns ist, wissen wir. Aber was genau sind eigentlich die Benefits daran? Was genau passiert in unseren Köpfen, wenn wir ein Buch oder ein Magazin lesen? Und was sagt der aktuelle Stand der Forschung dazu?
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Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir lesen?
Die Professorin für kindliche Entwicklung und Kognitions- und Literaturwissenschaftlerin Maryanne Wolf hat sich bereits in ihrem ersten Buch "Das lesende Gehirn" (2009) mit den Vorgängen beschäftigt, die während des Lesens im Gehirn ablaufen. Sie sagt: "Viele interaktive und komplexe Prozesse laufen gleichzeitig ab. Wenn wir lesen, verbinden wir in unserem Gehirn visuelle, sprachliche, emotionale und sogar motorische Areale."
8,55 Millionen Menschen in Deutschland nehmen täglich ein Buch in die Hand.
Quelle: Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA)Tweet
Neue Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Lesen die Strukturen in unserem Gehirn sogar verändern kann. Ein Team von Hirnforscher*innen des Collège de France fand etwa heraus, dass belletristisches Lesen die linke Gehirnhälfte besonders anspricht und diese die Handlungen von Büchern als simulierte Situationen verarbeitet. Psycholog*innen schließen daraus eine erhöhte Fähigkeit zum Perspektivwechsel und verbesserte soziale Kompetenzen. Forscher*innen des Max-Planck-Instituts erkannten aus einer Studie mit Kernspintomographie, dass sich außerdem die Verknüpfungen im Gehirn erhöhen. Einzelne Bereiche werden besonders stimuliert und gestärkt, wie die Großhirnrinde oder die Verbindung zwischen Sehrinde und Thalamus. Wer viel liest kann demnach besser zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen unterscheiden.
Lesen fördert Empathie und Kreativität
Laut Psychologie hilft uns tiefgründiges Lesen auch beim Erlernen von Empathie. "Theory of mind" heißen die Denkprozesse, die man braucht, um sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen und Mitgefühl zu entwickeln. Es gibt erste Studien, die andeuten, dass Menschen, die regelmäßig und viel lesen, eine bessere "Theory of mind" haben. Ein prominentes Beispiel eines Menschen, dem diese fehlt: Donald Trump. Wolf sieht einen Zusammenhang zwischen der Politik des US-Präsidenten, seiner Obsession für Twitter und der Tatsache, dass er höchstens für ein Fotoshooting ein Buch in die Hand zu nehmen scheint.
Mit dem Lesen kann man gar nicht früh genug anfangen!
- Laut Stiftung Lesen entwickeln Kinder durch den frühen Kontakt mit Büchern einen besseren Zugang zu Sprache und ein Gefühl für Satz- und Textstrukturen, ihr Wortschatz vergrößert sich. Hinzu kommt: Wer schon früh in Geschichten eintaucht, übt sich in Fantasie.
- Der Input, den wir aus Büchern bekommen, führt zu kreativem Output. Das beginnt schon mit dem Vorlesen, denn Kinder, denen oft vorgelesen wird, greifen später häufig selbst zum Buch. Regelmäßiges Vorlesen erleichtert das Lesenlernen und dementsprechend das Erlernen all der genannten positiven Effekte.
- Ein aktueller Report des Instituts der deutschen Wissenschaft zeigt, dass Grundschüler*innen, die in ihrer Freizeit regelmäßig Bücher lesen, später bessere Schulnoten haben, nicht nur in Deutsch und Fremdsprachen.
- Bücherlesen beeinflusst etwa auch die Leistungen in Mathematik positiv, denn die Fähigkeit, Verknüpfungen zu sehen und komplexe Zusammenhänge zu verstehen, wird trainiert.
- So hilft Lesen auch dabei, die Vielschichtigkeit von Themen zu beurteilen. Laut der aktuellen PISA-Studie zahlt es sich vor allem auch im Umgang mit dem Internet aus, denn dann gelingt es uns besser, Informationen im Netz zu bekommen, zu bewerten, ihre Glaubwürdigkeit zu beurteilen.
Lesen beugt Krankheiten vor
Lesen soll zudem eine vorbeugende Wirkung in Hinsicht auf mögliche Altersdemenz haben. Wer sein Leben lang geistig aktiv war, schützt sein Gehirn vor dem frühen Abbau. Die Begründung dahinter ist einfach: Unser Gehirn ist ein Muskel und der muss trainiert werden, damit er nicht verkümmert.
Digitales Lesen ist nicht gleich analoges Lesen
Digitales Lesen ist noch nicht annähernd so weit erforscht, erste Ergebnisse zeigen jedoch, dass es sich vom analogen deutlich unterscheidet. Eine norwegische Studie besagte zu Beginn des Jahres, dass längere Texte eine größere Aufmerksamkeit und kognitive Präsenz über einen längeren Zeitraum verlangen. Dieser vertiefte Leseprozess gelinge weniger mit digitalem Lesen. Letzteres habe aber auch Vorteile, weil man sich beispielsweise über Hyperlinks Hintergrundinformationen beschaffen kann.
Lesen im 21. Jahrhundert: Greift mal wieder zu Buch und Zeitschrift - analog oder digital
Täglich verbringen wir Stunden an Bildschirmen, scrollen uns durch unsere Social Media Feeds. Unsere Aufmerksamkeitsspanne ist begrenzt. Smartphones halten uns vom konzentrierten Lesen ab, da sie Ablenkungen bieten, die kurzfristig schneller befriedigen, so Wolf.
Dennoch ist die Entweder-oder-Frage nach analog oder digital nicht zukunftsfähig, denn beide liefern unterschiedliche Benefits. Fakt ist: Lesen, egal auf welchem Medium, ist keine Kunst, sondern eine Notwendigkeit. Und es ist politisch: Die durch das Bücher- und Magazinelesen aktivierten Prozesse sind laut Maryanne Wolf die Grundlage für eine offene und demokratische Gesellschaft: "Lesen schafft bessere Menschen und eine bessere Demokratie."
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