Kathrin Weßling spricht im Interview über ihr neues Buch "Nix Passiert", über toxische Maskulinität, Frauenliteratur und Wahrhaftigkeit.
Kathrin Weßling im EMOTION-Interview
EMOTION: Du hast dein neues Buch "Nix Passiert" aus der Perspektive von Alex geschrieben, einem Typen Anfang 30, der, von seiner Freundin verlassen, aus Berlin flüchtet und bei seinen Eltern in der Kleinstadt unterkommt. Was hat dich inspiriert?
Kathrin Weßling: Ich habe das Exposé geschrieben, als ich selbst in der Kleinstadt war, bei meinen Eltern. Ich bin sehr gerne im Sommer dort, weil es dieses riesige Wellenfreibad gibt, wo es so viel Platz gibt und man kann sich voll ausbreiten kann. Ich habe mich tatsächlich selbst länger mit dieser Vorstellung beschäftigt, dass alles gut wird, wenn ich aus Berlin aufs Land ziehe, als könnte das mein Exit sein. Deshalb habe ich mich damit theoretisch beschäftigt, aber auch praktisch, ich war nämlich einen Monat in der Kleinstadt bei meinen Eltern und habe gemerkt, das alles gar nicht so geil ist, wie man denkt.
Bei dir gewinnt also die Großstadt?
Ich möchte im Buch ausdrücken, dass weder die Großstadt noch die Kleinstadt der bessere Ort ist. Mein Protagonist Alex ist in einer ziemlichen Extremsituation, aber ich hoffe, dass deutlich wird, dass er nichts von beidem präferiert. Alex frühstückt natürlich alle Klischees ab, aber dann lacht er sich über sich selbst kaputt. Er merkt eben, dass das Dorf seine Vorteile hat und die Stadt auch, dass beide aber auch sehr viele Nachteile haben.
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Könntest du dir vorstellen, jemals wieder in die Kleinstadt zu ziehen?
Nein, dorthin, wo meine Eltern wohnen, tatsächlich nicht, weil es zu klein ist. Grundsätzlich bin ich super gerne da und genieße es. Aber es ist nichts, wo ich dauerhaft leben möchte. Außerdem könnte ich in der Kleinstadt beruflich nicht Fuß fassen, weil es nicht überall die Nachfrage gibt, nach dem was ich mache. Ich finde, dass die Entscheidung Stadt oder Land eine sehr große Entscheidung ist, gegen sehr viele Sachen, aber auch für einiges. In der Stadt fehlt mir die Natur und die Ruhe. Berlin macht mich komplett fertig.
Eine Frage, die du wahrscheinlich oft hörst: Fiel es dir schwer, das Buch aus der Sicht eines Mannes zu schreiben?
Ich hatte vorhin schon ein Interview und habe gewettet, wie lange es dauert, bis diese Frage kommt. (lacht) Nein, es fiel mir nicht schwer. Ich finde es krass, wie viel Gewicht darauf gelegt wird, obwohl das Buch andere große Themen hat. Ich finde auch krass, wie sehr sich daran die Geister scheiden. Das lustige ist, dass den meisten männlichen Lesern gar nicht aufgefallen ist, dass das Buch eine Frau geschrieben hat. Ich habe Alex mit Absicht so konzipiert, wie er ist, nicht als Chauvi oder Macho, sondern einfach als ganz normalen Menschen, der alles versucht, damit sein Liebeskummer besser wird.
Alex ist verlassen worden. Und ohne Jenny ist Berlin einfach nichts. Kurzentschlossen nimmt Alex sich eine Auszeit im Kaff seiner Kindheit. Doch statt Erholung sieht er sich mit einer Idylle konfrontiert, die keine ist, nie wirklich eine war – auf jeden Fall nicht für ihn. Statt Unterstützung gibt es Familienstreit, offene Rechnungen mit alten Freunden und vor allem Langeweile. Und Alex fragt sich, ob er die Kleinstadt eigentlich jemals hinter sich gelassen hat. Und was überhaupt Zuhause bedeutet.
"Nix Passiert" von Kathrin Weßling, Ullstein, 18,00 Euro, erschienen am 31.01.2020.
Meine männlichen Freunde machen alle Yoga, die weinen auch alle, wenn sie Liebeskummer haben…
Kathrin Weßling, AutorinTweet
Möchtest du sich mit deinem Buch für ein anderes Männerbild einsetzen?
Es scheint für viele krass zu sein, dass Alex Yoga macht und viel weint. Ich finde das absurd, meine männlichen Freunde machen alle Yoga, die weinen auch alle, wenn sie Liebeskummer haben. Meine Güte, haben die schon in meinen Armen geheult. Tatsächlich ging es mir im Buch ganz viel um toxische Maskulinität, die wir auch immer wieder im Gespräch in der Lektoratsphase thematisiert haben und auch vorher, weil wir wichtig fanden, das so zu transportieren. Hat ja offensichtlich sehr gut geklappt.
Wahrscheinlich ungewöhnlich genug, als Frau ein Buch aus der Perspektive eines Mannes zu schreiben, das ist eben keine Frauenliteratur...
Allein das Wort ist schon so schlimm. Auch diese Aufteilung in Unterhaltungsliteratur, Frauenliteratur, Sachbücher etc., die es in Deutschland gibt. Ich bin der Meinung, das Wort "Frauenliteratur" sollte verboten werden und die Buchläden sollten diese Aufteilung nicht beibehalten. Was soll denn bitte Frauenliteratur sein - und was Männerliteratur? Für mich gibt es Fiktion und Nicht-Fiktion.
Das Wort Frauenliteratur sollte verboten werden.
Kathrin Weßling, AutorinTweet
Als es im Buch um die Depression von Alex geht, möchte der Vater auf keinen Fall, dass es sich in der Kleinstadt rumspricht.
Genau das ist einer der Punkte, wo es mir um die stereotype Männlichkeit geht. Der Vater von Alex sagt, das erzählen wir jetzt keinem, weil es keine richtige Krankheit ist. Alex fragt sich auch selbst, warum er keine richtige Krankheit hat. Ich glaube, dass es ein riesiges Thema ist und wir denken, es hat sich so viel geändert und aber das stimmt tatsächlich nicht. Es handelt sich eben immer noch um ein Tabu, gerade auf dem Land, weil jeder sich kennt. Wenn so etwas publik wird, dann hat das eine andere Tragweite als in der Großstadt.
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Möchtest du mit deinen Büchern etwas an der Sichtweise auf Depressionen verändern?
Ja, aber ich bilde mir nicht ein, dass ich da wirklich etwas erreichen kann. Ich glaube schon, dass ich durch meine Arbeit in den letzten 10 Jahren vielen Leuten dabei geholfen habe, offener damit umzugehen. Das sind alles Menschen, die vielleicht einen kleinen Schubs brauchten, die aber nicht unbedingt in einem Umfeld leben, wo es gar nicht möglich ist. Ich will auf keinen Fall die Stimme der Depressiven sein. Das kann ich auch nicht sein, ich schreibe Romane und möchte für mein Werk gesehen werden.
Du bist mit deinen Büchern sehr erfolgreich. Wie erreichst du deiner Meinung nach die Leute?
Durch Wahrhaftigkeit. Ich lege sowohl in meiner persönlichen Kommunikation als auch auf der Bühne und in meinen Büchern, eigentlich überall, viel Wert auf Wahrhaftigkeit. Ich hasse Fakes und Leute, die so tun als ob und ich halte das für Zeitverschwendung, ich finde das viel zu anstrengend.
Ich hasse Fakes und Leute, die so tun als ob. Ich halte das für Zeitverschwendung.
Kathrin Weßling, AutorinTweet
Im Nachwort sagst du, dein Buch sei unter schwierigen Umständen entstanden. Wie hast du geschafft, es trotzdem fertig zu schreiben?
Durch meine Freund*innen. Ich habe die tollsten Freunde, die man sich vorstellen kann. Letztes Jahr, als ich ziemlich fertig war, haben sie mich aufgefangen und mit in den Urlaub an den Chiemsee genommen. Das hat mir tatsächlich den Arsch gerettet, weil ich so viel Liebe und Zuneigung von ihnen erfahren habe und sie sich jeden Abend mein Geheule angehört haben. Auf dem Rückweg im Zug habe ich die ersten 20-30 Seiten geschrieben. Ich habe das Buch zwar mir selbst gewidmet, weil ich es am Ende natürlich geschrieben habe, das habe ich aber nur durch meine Freunde geschafft.
Kathrin Weßling ist Autorin und Social-Media-Expertin. Auf Twitter und Instagram folgen ihr über 30.000 Menschen, die ihre Beiträge über Feminismus, psychische Erkrankungen und Popkultur verfolgen. Ihr letztes Buch, »Super, und dir?«, wurde von Presse und Leser*innen als »der Roman ihrer Generation« gefeiert. Sie schreibt außerdem regelmäßig für ZEIT ONLINE, Spiegel, MySelf uvm. Kathrin Weßling lebt in Berlin.