Die Yoga-Lehrerin Dominique Hoppmann hat ein Übungsprogramm für Menschen mit Hochsensibilität entwickelt. Im Interview erklärt sie, was das Besondere daran ist und wie es Sensiblen hilft.
EMOTION.de: Dominique, du bezeichnest dich selbst als hochsensibel. Wie genau äußert sich das?
Dominique Hoppmann: Hochsensibilität ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das 15 - 20 Prozent der Bevölkerung betrifft. Es handelt sich um eine überdurchschnittliche Feinfühligkeit, insbesondere Sinneseindrücke werden intensiv wahrgenommen. Hochsensible Menschen wurden mit einem leicht erregbaren Nervensystem geboren, was sie innere und äußere Reize sehr viel stärker spüren lässt.
Nach aktuellen Forschungen nimmt ein hochsensibles Gehirn Informationen praktisch ungefiltert auf und verarbeitet diese tiefer. So haben Hochsensible oft einen ausgeprägten Blick für Details, nehmen eigene Emotionen oder Spannungen in ihrem Umfeld besonders stark wahr, werden von Geräuschen leicht irritiert, haben eine gute Intuition, sind präzise und empathisch. Sie sind aber auch schneller reizüberflutet und benötigen mehr Pausen als andere.
Wie hast du festgestellt, dass du hochsensibel bist?
Als ich zum ersten Mal den Begriff Hochsensibilität hörte, dachte ich, es handelt sich um ein Modewort und habe das Thema nicht weiter beachtet. Bis mich im Arbeitsumfeld jemand ansprach: "Kann es eigentlich sein, dass Sie sehr sensibel sind?" Diese Frage hat bei mir erstmal einen starken inneren Widerstand ausgelöst, da Sensibilität gesellschaftlich oft mit Schwäche assoziiert wird. So wurde mir als Jugendliche oft von Freunden geraten, "nicht so empfindlich" zu sein und mir doch "ein dickeres Fell" zuzulegen. Da ich aber den Eindruck hatte, dass mein Kollege Sensibelsein sehr positiv gegenübersteht, habe ich mich näher damit beschäftigt und dabei festgestellt, dass ich hochsensibel bin.
Was hat die Erkenntnis bei dir ausgelöst?
Rückblickend machte plötzlich Vieles Sinn: Dass ich schon als Kind sehr schmerzempfindsam war und aus der Disko meistens als Erste nach Hause ging (völlig überreizt und irritiert, dass meine Freundinnen den Lärm und die Enge scheinbar spielend aushalten). Dass ich Schwingungen im Raum stark wahrnehme und mich ein schlechtes Betriebsklima sehr beschäftigt. Dass ich Nuancen in Mimik und Ton bemerke, die anderen verborgen bleiben. Dass es für mich unmöglich ist, mich in Großraumbüros zu konzentrieren, weil ich die Geräusche einfach nicht ausblenden kann. Dass ich mich oft voll von Eindrücken fühle und einfach nur ausruhen möchte, um das Erlebte sacken zu lassen – während andere mühelos weitermachen.
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Wie bist du dann auf die Idee gekommen, Yoga für Hochsensible anzubieten?
Ich war selbst auf der Suche nach einem Kurs für Vinyasa und Hatha Yoga, der auf die Bedürfnisse von Hochsensiblen eingeht - habe aber kein entsprechendes Angebot gefunden. Parallel habe ich eine Fortbildung für traumasensibles Yoga absolviert, bei dem mir bewusst wurde, welche Ähnlichkeiten es zwischen Trauma- und Hochsensibilität gibt. Ich hatte schon lange den Wunsch, meine Yogalehrertätigkeit auszuweiten. Dann kam mir plötzlich die Idee, das zu verknüpfen und selbst Yoga für Hochsensible auf den Markt zu bringen.
Was ist der Unterschied zum normalen Yoga?
Beim meinen Kursen für Hochsensible hat die Feinfühligkeit voll und ganz Platz. Ich weiß selbst, wie intensiv sich äußere Einflüsse auf die Stimmung auswirken können, darum bin ich sehr achtsam mit der zusätzlicher Stimulierung der Sinne wie über Düfte, Musik und Berührung. Jeder darf sein Tempo gehen. Es gibt mehr Pausen, um nachzuspüren. Da sich Hochsensible in Menschenmengen oft unwohl fühlen, achte ich auf kleinere Gruppen, so dass genug Freiraum und Rückzug auf der eigenen Matte möglich ist. Weitere Elemente sind z.B. Übungen, die das Nervensystem nicht noch weiter hochfahren und bei Workshops die Möglichkeit, mit anderen Hochsensiblen ins Gespräch zu kommen.
Was genau bewirkt diese Form des Yoga bei Hochsensiblen langfristig?
Yoga ist eine tolle Möglichkeit für Hochsensible zu entspannen und sich gleichzeitig fit zu halten. Es bietet Raum, dem erhöhten Regenerationsbedürfnis nachzukommen, sich zu sortieren und Kraft zu schöpfen. Die Wahrnehmung wird sanft vom Außen ins Innen gelenkt. Das lässt Platz entstehen, sich damit auseinanderzusetzen, was einen selbst gerade bewegt. Diese bewusste Präsenz im Augenblick schult wiederum die eigene Gelassenheit sowie Fähigkeit, Grenzen zu erkennen und anzunehmen. Und das nährt langfristig eine Stabilität, die von innen heraus entsteht. Das kann gerade für Hochsensible sehr wertvoll sein.
Welche Übungen empfiehlst du hochsensiblen Menschen, die keine Möglichkeit haben, an deinen Kursen teilzunehmen?
Schon kleine Achtsamkeits- und Atemübungen zu Hause helfen, Überstimulation zu reduzieren und Abstand zu gewinnen. Auch Yoga, das nicht extra auf sensible Menschen eingeht, kann guttun. Dabei rate ich, immer in sich hinein zu spüren, was der eigene Körper gerade braucht – auch wenn das bedeutet, auf seiner Matte zu pausieren, während der Kurs weitergeht. Bei Duftempfindlichkeit kommt vielleicht eher ein Kurs infrage, bei dem keine Räucherstäbchen zum Einsatz kommen. Wenn man bei plötzlicher Berührung leicht erschrickt, besteht die Möglichkeit, dem Lehrer zu kommunizieren, dass ohne Abstimmung bitte keine körperliche Unterstützung erfolgen soll.
Bei einigen Übungen ist Vorsicht geboten, so kann die so genannte Feueratmung (Kappalabhati) das bei Hochsensiblen ohnehin schon erhöhten Stresslevel im Körper verstärken. Für diejenigen, die nicht in Berlin wohnen, biete ich in anderen deutschen Städten auch regelmäßig Workshops an.
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Was ist deine Lieblingsübung, was tut dir besonders gut?
Meine Lieblingshaltung im Yoga ist der klassische herabschauende Hund. Dabei kann ich wunderbar meinen Rücken dehnen, Altes abatmen und loslassen. Es tut mir auch sehr gut, morgens eine kurze Meditation zu machen, meine Aufmerksamkeit nacheinander auf meine Gedanken und Gefühle zu richten – sozusagen als Mini-Bestandsaufnahme. Dadurch erkenne ich, wie es mir wirklich geht. Und kann mehr bei mir, erfrischter in den Tag starten.
Was sind generell deine Tipps für Hochsensible?
Nicht nur im Berufsleben herrscht heute oft eine Höher-Schneller-Weiter-Mentalität. Dass viele Hochsensible mit ihrer Wesensart hadern, weil sie etwa mehr (unerwünschte) Pausen benötigen, ist nachvollziehbar. Und genau da rate ich anzusetzen und den Blick stattdessen auf die positiven Seiten der Hochsensibilität zu richten. Für sich selbst einzustehen und gut zu sorgen. Um so die Wahrnehmungsstärke nutzen und genießen zu können. Um es in den Worten einer Teilnehmerin von mir zu sagen: "Die Hochsensibilität ist ein Geschenk."
Mehr zu Dominiques Angebot lest ihr auf www.sensiblesyoga.de