Prinzessin, Mutter, Geschäftsfrau: Wir sprachen mit Märtha Louise von Norwegen über ihr neues Buch. Darin schreibt die älteste Tochter des Königspaares über ihre Hochsensibilität – und wie sie damit umgeht.
Märtha Louise von Norwegen ist die ältere Schwester von Kronprinz Haakon und gilt als das unkonventionellste Kind der norwegischen Königsfamilie. Zusammen mit ihrer Freundin Elisabeth Nordeng betreibt sie die Firma "Soulspring", über die sie Kurse und Vorträge zu Hochsensibilität und zu spirituellen Themen anbietet. Gerade haben die beiden das Buch "Hochsensibel geboren" herausgebracht (Goldmann Verlag). Darin schreiben sie sehr offen über ihre Hochsensibilität und was ihnen hilft, damit zu leben. Wir haben die Autorinnen in Hamburg getroffen.
EMOTION.DE: Sie sind gerade auf Pressetour für Ihr Buch. Das ist heute bereits Ihr fünftes Interview. Sind das Situationen, die Sie als Hochsensible besonders stressen?
Märtha Louise: Heute kann ich gut damit umgehen. Wir haben uns gute Techniken angeeignet, die uns helfen, mit genug Energie durch den Tag zu kommen.
“Ich habe sehr lange versucht, normal zu sein” ist einer Ihrer Sätze in dem Buch. Können Sie beschreiben, wie sich das “nicht normal sein” für Sie anfühlt?
Märtha Louise: Als hochsensible Person reagierst du sehr empfindlich auf Gerüche, Licht und Geräusche. Du verarbeitest Dinge viel intensiver als andere. Du fühlst dich ein bisschen wie eine App auf einem Handy, die ununterbrochen Informationen hochlädt und verarbeitet. Wenn du sie nicht stoppst, dann zieht sie eine Menge Strom aus deiner Batterie. Das bedeutet, dass du schnell müde und erschöpft wirst, besonders, wenn du in Situationen mit sehr vielen Leuten bist, was ich schon als kleines Kind sehr oft war.
“Ich verstand nicht, warum die Menschen nicht ehrlich sein wollten”
Was bedeutete das für Ihre Kindheit?
Märtha Louise: Eine der stärksten Erinnerungen ist, dass ich als Kind oft verwirrt war, wenn ich andere Menschen traf. Ich fragte sie, wie es ihnen ginge und sie antworteten: “Oh, es geht mir gut.” Doch ich spürte oft, dass es ihnen nicht gut ging, sondern dass sie sehr wütend waren oder sehr traurig. Ich verstand nicht, warum die Menschen nicht ehrlich sein wollten. Es irritierte mich und ich begann ein bisschen, den Leuten zu misstrauen. Ich fühlte mich verkehrt, weil niemand um mich herum das Gleiche zu fühlen schien wie ich.
Sich über so viele Jahre “verkehrt” zu fühlen – das muss hart sein für ein Kind.
Märtha Louise: Ja, natürlich, und ich denke, dass es vielen Hochsensiblen genauso geht, weil sie in einer Umgebung sind, der diese Gefühle fremd ist. Heute gibt es zum Glück mehr Offenheit dafür, weil wir mehr über Hochsensibilität wissen. Aber als ich aufwuchs, gab es noch kein Wort dafür.
Was ging in Ihnen vor, als sie das Wort “hochsensibel” und seine Bedeutung entdeckten?
Märtha Louise: Ich stieß irgendwann auf die Studien und die Tests, die die Psychologin Elaine Aron als Erste über hochsensible Personen machte. Ich dachte: “Oh, also das ist es, was ich bin! Ich bin nicht schräg, sondern hochsensibel, also total normal!” Heute wissen wir, dass 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung hochsensibel sind. Ich habe so viel Zeit meines Lebens damit zugebracht, die Teile irgendwie zusammenzufügen – auch meine Rollen als Prinzessin und als Privatperson. Nun habe ich den Kern meines Wesens gefunden und kann ich selbst sein, egal, in welcher Situation ich mich gerade befinde. Das hilft mir sehr.
Sie beschreiben sich als extrovertiert – Sie sind also nicht nur sensibel sondern gleichzeitig aufgeschlossen und abenteuerlustig. Hilft Ihnen das? Oder führt es dazu, dass Sie sich oft überlasten?
Märtha Louise: Ich denke, es hilft mir, dass ich extrovertiert bin. Als Kind war ich auch tough und offen, was dazu führte, dass wenige Menschen meine sensible Seite wahrnahmen – aber am Ende hat es mir geholfen, damit zurechtzukommen.
Elisabeth Nordeng: Für mich war es tatsächlich schwieriger, weil ich ein introvertierter Mensch bin – wie die meisten Hochsensiblen. Nur etwa 30 Prozent sind extrovertiert.
“Viele Hochsensible können besser mit Tieren kommunizieren als mit Menschen.”
Prinzessin Märtha Louise von Norwegen über ihre #Hochsensibilität. #HSPTweet
Als Prinzessin waren Sie schon früh immer im Rampenlicht – was für jeden Menschen anstrengend ist, aber besonders für hochsensible. Wie sind Sie damit umgegangen?
Märtha Louise: Ich bin oft zu den Pferden geflohen. Ich habe mich immer sehr sicher gefühlt in der Gesellschaft von Tieren. Viele Hochsensible können besser mit Tieren kommunizieren als mit Menschen. Wie ich schon sagte: Menschen zeigen oft diese zwei Ebenen – das, was sie vorgeben zu sein, und das, was sie wirklich fühlen. Tiere sind anders. Sie zeigen immer ihre echten Gefühle.
Durch eine Menschenmenge gehen? Der Horror für die junge Märtha
Ein zentrales Bild in ihrem Buch ist das des Mittelgangs, den Sie als Kind oft entlang gehen mussten. Können Sie beschreiben, was das für Sie bedeutete?
Märtha Louise: Ich glaube, es ist für jeden unangenehm, durch einen Mittelgang zu gehen mit sehr vielen Menschen um dich herum, die alle aufstehen und dich schweigend anstarren. Aber ich dachte tatsächlich, dass ich sterben müsste. Ich dachte, alle seien sauer auf mich, darum blickte ich die ganze Zeit auf den Boden. Inzwischen habe ich gemerkt, dass die Menschen mir wohlgesonnen sind und mich anlächeln. Jetzt kann ich solche Gänge mehr genießen.
“Sensibilität ist auch eine Stärke” – das ist eine der zentralen Botschaften in Ihrem Buch. Welche Stärken gibt es Ihnen beiden?
Elisabeth: Eine der positiven Seiten von Hochsensibilität ist die blühende Fantasie und die Fähigkeit zu Tagträumen. Und natürlich deine Gefühle. Als ich aufwuchs, versuchte ich oft, meine Gefühle abzuschalten, weil ich so viele davon habe. Heute sehe ich, dass es ein Geschenk ist, dass ich so viel spüren und anderen Menschen den Raum für ihre Gefühle geben kann. Viele Leute haben heute den Kontakt zu ihren Gefühlen verloren. Sie existieren nur in ihrem Geist und versuchen, immer das Richtige zu tun. Doch es ist wichtig, dass wir wieder in den Kontakt zu unseren Gefühlen und Sinnen kommen.
Märtha Louise: Eine weitere Stärke ist, dass du so viele Nuancen wahrnimmst – und dadurch tiefgehende Erfahrungen machst. Egal, ob du dir einen Sonnenuntergang ansiehst, in der Natur bist oder Musik hörst.
Überträgt sich Hochsensibilität auf die Kinder?
Märtha Louise: Tatsächlich ist es sehr wahrscheinlich, dass auch die Kinder diese Eigenschaft erben – aber sie kann natürlich auch eine Generation überspringen.
Märtha weinte, wenn der König ihren Bruder Haakon ausschimpfte
Haben Sie als dreifache Mutter einen Rat an Eltern? Wie können wir hochsensible Kinder erkennen und unterstützen?
Märtha Louise: Darum wird es in unserem nächsten Buch gehen. Wir erklären zum Beispiel, dass sensible Kinder stark auf harsche und laute Stimmen reagieren. Daher ist es besser, sanft mit ihnen umzugehen als streng zu sein. Ein Beispiel: Mein Großvater, König Olav V., war manchmal recht streng – wenn er meinen kleinen Bruder Haakon ausschimpfte, dann fing ich an zu weinen, obwohl ich gar nicht gemeint war. Wenn du einem hochsensiblen Kind in einer normalen, ernsten Stimme sagst “Das war nicht okay”, hat es den gleichen Effekt wie Anbrüllen auf andere Kinder. Eine weitere Besonderheit bei hochsensiblen Kindern: Sie haben schon früh sehr tiefgehende Fragen. Es ist wichtig, sie ernstzunehmen und mit ihnen darüber zu reden.
Muss sich unsere Gesellschaft insgesamt besser auf die Bedürfnisse von Hochsensiblen einstellen? Im Schulsystem zum Beispiel?
Elisabeth: Es ist heute schon viel normaler geworden – und je mehr Information da draußen ist, desto mehr Kinder trauen sich, ihre Sensibilität zu zeigen. Aber die Intention sollte nicht sein, diese Kinder als besonders zerbrechlich zu behandeln und sie dauernd beschützen zu wollen. Sie müssen auch raus in die reale Welt. Und sie haben keine schwachen Persönlichkeiten. Sie sind superstark. Sie brauchen nur ab und zu etwas Raum für sich.
Haben Sie als Familie besondere Rituale, um sich besser zu fühlen?
Märtha Louise: Mahlzeiten sind mir sehr wichtig. Ich möchte nicht, dass wir dabei laute Musik hören, sondern uns stattdessen aufs Essen konzentrieren und uns unterhalten. Und wenn wir schlafengehen, achte ich darauf, dass wir zur Ruhe kommen – und es nicht so stressig abläuft. Meine Kinder haben schon früh gelernt, dass sie sich Zeit für sich nehmen können. Wenn es alles zu viel wird, dann ziehen sie sich einfach raus – oder ich sage Ihnen, dass sie es tun sollen, wenn ich spüre, dass sie gestresst sind.
Was möchten Sie mit Ihrem Buch erreichen?
Märtha Louise: Für uns war es ein Erweckungsmoment, als wir den Begriff “hochsensibel” entdeckten. Und es gibt so viele Leute, die nicht mal wissen, dass sie hochsensibel sind. Wir hoffen, dass wir anderen Menschen helfen können, das zu erkennen und ihr Leben so anzupassen, dass es ihnen besser geht.
Welches Feedback bekommen Sie von Ihren Lesern?
Märtha Louise: Oh, wir bekommen sehr viel Feedback von Menschen, die uns danken. Ich denke, es liegt daran, dass wir in unseren Geschichten so ehrlich sind.
Wie zum Beispiel bei der Geschichte über einen missglückten Autoausflug zu einem Reitturnier, der darin endete, dass Sie komplett ausflippten …
Märtha Louise: Genau. Es ist typisch: Du hast eine ganz normale Situation, in der etwas nicht funktioniert – in dem Fall die Anhängerkupplung - und du wirst davon total überwältigt. Heute weiß ich, warum das passiert und es ist nicht mehr merkwürdig. Vorher dachte ich, dass etwas nicht mit mir stimmte, weil ich so viel stärker reagierte als andere Leute.
Was ist Ihre Technik, um mit stressigen Situationen umzugehen und sich zu beruhigen?
Märtha: In unserem Buch beschreiben wir verschiedene Techniken. Eine heißt “Ablösung”, eine Meditation, die wir mehrmals am Tag machen. Wenn du eine Aufgabe erledigt hast – zum Beispiel ein Interview – dann hilft dir diese Technik, die Energie der anderen, die du in dir aufgenommen hast, wieder abzugeben und deine eigene Energie wieder aufzuladen.
Mögen Sie das Märchen “Die Prinzessin auf der Erbse” eigentlich noch?
Märtha Louise: Das hat sich über die Jahre etwas verändert. Als ich klein war, dachte ich wirklich, ich sei diese Prinzessin. Ich habe sogar den Test mit den Matratzen gemacht und war sehr enttäuscht, als ich aufwachte und die Erbse nicht gespürt hatte. Aber heute ist mir klar, dass es eigentlich darum geht, wie es ist, hochsensibel zu sein und Dinge zu spüren, die sonst niemand wahrnimmt. Daher hat es heute immer noch eine Bedeutung für mich.