Es ist warm, die Sonne scheint – wie kann man da schlecht drauf sein? Nun ja, der Sommer heilt eben doch nicht alle Wunden. Vielen Menschen geht es in der für andere schönsten Zeit des Jahres eher schlechter. Warum das so ist und wieso wir den Sommer ent-romantisieren sollten? Verrät unsere Autorin Selina Jüngling.
"I got that summertime sadness", singt Lana Del Rey in ihrem Hitsong aus 2012 mit ihrer berühmten, vor Melancholie triefenden Stimme. Das ganze Lied hat eine Schwere, wie ein schwüler Sommertag, der einem jegliche Kraft entzieht und an dem man am liebsten nicht aus dem Bett möchte. Die US-amerikanische Sängerin fängt damit ein Gefühl ein, das sich zunächst wie ein Paradoxon anhört: Sommer-Schwermut.
Moment mal, im Sommer ist doch alles supi, man ist viel draußen, die Blumen blühen und die Sonne setzt das Glückshormon Serotonin frei! Das mag alles stimmen, aber auch wenn draußen die Sonne scheint, gibt's mal dunkle Tage – bei manchen im Sommer sogar noch häufiger als sonst. Während die einen im Garten den aufblasbaren Pool aufstellen und sich auf die warmen Temperaturen freuen, geht bei den anderen die Stimmung in den Keller.
Sommer, Sonne, saisonale Depression
Die Sommer-Schwermut ist weiter verbreitet, als man vielleicht denkt: Eine Umfrage der Dating-App "Bumble" hat ergeben, dass 58 Prozent der Deutschen in dieser Zeit Schwankungen in ihrer mentalen Gesundheit erleben. Wenn es besonders stark ausgeprägt ist und sogar Züge einer Depression annimmt, nennt sich das Phänomen im Englischen (ironischerweise) SAD, kurz für "Seasonal Affective Disorder" (Deutsch: saisonal-affektive Störung). Über die Winter- oder Herbstdepression wird in dem Zusammenhang oft gesprochen, doch dass die saisonal-affektive Störung auch im Sommer, nun ja, Saison hat, bekommt selten Erwähnung.
Liegt wahrscheinlich auch daran, dass der Sommer einfach ein unglaublich gutes Image hat. Von allen Seiten wird uns vermittelt, dass es DIE Zeit des Jahres ist. Filme, Serien und Musik erzählen uns von diesem unfassbar tollen summer feeling, von Werbeplakaten rufen uns lachende, braungebrannte Gesichter zu: "Es ist Sommer, mach was draus! Wenn nicht jetzt, wann dann?"
Genau das kann großen Druck ausüben, nach dem Motto: "Die Sonne scheint doch, wieso bist du nicht glücklich?" Toxic Positivity at its best. Ach ja, und wehe, man nutzt das gute Wetter nicht! Im Sommer fühlt man sich schon schlecht, wenn man einen Tag lang mal lieber mit seiner Lieblingsserie im Bett verbringt, statt mit Freund:innen zum See zu fahren. In keiner anderen Jahreszeit ist die FOMO (= "fear of missing out"), also die Angst, etwas zu verpassen, so omnipräsent wie im Sommer – das bestätigten auch 60 Prozent der Befragten der "Bumble"-Studie. Kein Wunder, wenn auf Social Media alle ihre total spaßigen Sommer-Aktivitäten posten.
Lasst uns den Sommer ent-romantisieren!
Der Sommer mag auf den ersten Blick die unbeschwerteste aller Jahreszeiten zu sein, doch der Schein trügt. Zum Druck, die beste Zeit seines Lebens zu haben, kommt schließlich auch noch der Druck, sich die perfekte Bikini-Figur anzutrainieren (Reminder: Jeder Körper sieht toll im Bikini aus!). Ufff. Tja, und dass die heißen Temperaturen ein Warnzeichen des Klimawandels sind, macht's auch nicht gerade besser.
Lasst uns also den Sommer ent-romantisieren! Klar, es ist schön, wenn es warm ist und die Sonne scheint. Aber es ist eben auch völlig normal, wenn es dir trotzdem schlecht geht und du Zeit für dich brauchst. Versuche, dich von den Erwartungen anderer zu befreien und in dich hineinzuhorchen: Was tut dir gerade gut? Gibt es Menschen, deren Anwesenheit dir wieder ein bisschen Energie bringt? Oder brauchst du einfach eine Pause von allem? Wenn alle Stricke reißen: Mach dir "Summertime Sadness" von Lana Del Rey an und suhle dich in deiner Sommer-Melancholie. Tut auch mal gut!
Mehr Themen: