Wie wir Situationen erleben und darauf reagieren ist subjektiv und hängt von unserer Wahrnehmung ab. Mit diesen Tipps trainierst du deine positive Wahrnehmung.
Eine kleine Gedankenreise...
Stell dir vor, du gehst an einem schönen Sommertag im Park spazieren. Um dich herum wachsen wunderschöne Blumen, Kinder toben und die Sonne scheint. Ein paar Meter hinter dir läuft eine weitere Person, sie nimmt den gleichen Weg, erlebt die gleichen Dinge. Trotzdem werdet ihr diesen Sommerspaziergang vielleicht unterschiedlich in Erinnerung behalten. Warum?
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Gefilterte Wahrnehmung
Menschen können die gleichen Situationen ganz unterschiedlich wahrnehmen. Das kommt daher, dass äußere Reize eine Art Filtersystem durchlaufen, bis sie in unserer Wahrnehmung ankommen:
Neurologische Filter sorgen dafür, dass unser Gehirn nicht überlastet wird – denn alle Reize, die uns täglich begegnen, können wir gar nicht wahrnehmen. Deshalb verallgemeinern wir zum Beispiel (unbewusst) Informationen oder sie werden gelöscht, indem wir nur das hören, was wir hören wollen.
Deine innere Welt erzeugt deine äußere Welt. Es sind deine inneren Überzeugungen, deine Gedanken, deine Gefühle und deine Entscheidungen, die letztendlich für die Wahrnehmung deiner äußeren Welt sorgen.
Laura Malina Seiler in "Schön, dass es dich gibt", Rowohlt VerlagTweet
Kulturelle und soziale Filter haben mit unserer Erziehung und der Gesellschaft, in der wir leben, zu tun. Während es zum Beispiel in einigen Teilen der Welt anerkannt ist, Geister und Gespenster wahrzunehmen, gelten sie in unserem Kulturkreis als Fiktion.
Individuelle Filter beeinflussen unsere Wahrnehmung auf Grundlage persönlicher Erfahrungen. Ähnlich wie beim kulturellen Filter werden auch hier bestimmte Informationen privilegiert, während andere eher vernachlässigt oder überhaupt nicht wahrgenommen werden.
Die Kontrolle über deine Wahrnehmung gewinnen
Während die neurologischen Filter weitestgehend automatisch ablaufen und wir unsere Erziehung und die Gesellschaft, in der wir leben, nur begrenzt beeinflussen können, bergen die individuellen Filter Potenzial, unsere Wahrnehmung zu beeinflussen.
Spaziergang: Entspannung oder Stress?
Nochmal zurück zum idyllischen Spaziergang: Während du gut gelaunt bist, ein Eis genießt und deine gesamte Aufmerksamkeit den schönen bunten Blumen widmest, steckt die andere Person vielleicht gerade in einer Beziehungskrise, friert, weil sie ihren Schal zuhause vergessen hat und sieht überall nur die glücklichen Pärchen herumspazieren. Der Ball von ein paar spielenden Kindern fliegt in eure Richtung und trifft dich. Während du dir lachend den Staub von der Shorts klopfst, den Ball zurückspielst und dich freust, dass die Kinder so viel Spaß haben, wäre die andere Person vermutlich wütend geworden, hätte gefragt, ob die Kinder nicht aufpassen könnten und den Ball voller Frust liegen lassen.
Aufmerksamkeit, unser Wohlbefinden und auch unser Stresslevel tragen einen großen Teil zu unserer Wahrnehmung bei. Sind wir gestresst, bleiben weniger Ressourcen zum Denken und wir ärgern uns zum Beispiel sehr viel schneller, als wenn wir ausgeglichen und entspannt sind.
Du kriegst, was du erwartest
Neben unserer aktuellen Verfassung gehören auch unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit und die daran geknüpften Erwartungen zum individuellen Filter und beeinflussen unsere Wahrnehmung. Die Macht von Erwartungen beschreibt der bekannte "Placebo-Effekt", der bereits in zahlreichen Studien belegt wurde: Wenn man eine bestimmte Wirkung erwartet nimmt man diese manchmal auch ohne Ursache wahr. Tatsächlich kann das so weit gehen, dass unser Gehirn die wahrgenommenen Reize so verzerrt und aussortiert, dass sie unsere Erwartungen möglichst erfüllen. Während du also davon ausgehst, dass die Kinder dich nicht absichtlich mit dem Ball getroffen haben, befinden sich die andere Person vielleicht gerade in der Opferhaltung und erwartet, dass die ganze Welt gegen sie ist – auch die spielenden Kinder.
Die Kontrolle über deine Wahrnehmung gewinnen
Wir nehmen also nur einen kleinen Teil der Realität wahr und konstruieren daraus unsere individuelle Wirklichkeit – da bleibt viel Platz für Interpretation. Und die könnten wir doch möglichst positiv gestalten, oder?
Wahrnehmung ist ein psychophysiologischer Prozess. Sie entsteht nicht in den Sinnesorganen, sondern im Hirn.
Friedbert Steigerwald in "Psychologie, Soziologie und Pädagogik" (1997)Tweet
Hier kommen sechs Tipps, mit denen du deine Wahrnehmung positiv beeinflusst:
Tipp 1: "Drei gute Dinge" Tagesrückblick
Eine erprobte Übung aus der positiven Psychologie, die das Glücksempfinden und die Zufriedenheit stärken soll: Nimm dir mindestens eine Woche lang jeden Abend ein paar Minuten Zeit und lasse den Tag Revue passieren. Notiere dir drei Dinge, die heute positiv bzw. schön waren und schreibe auf, was du dazu beigetragen hast. Dadurch nimmst du die Momente bewusst wahr und sie bleiben dir eher in Erinnerung. Darüber nachzudenken, was du zu positiven Situationen beigetragen hast, stärkt die Selbstwirksamkeit und zeigt dir, durch welche Verhaltensweisen du positive Gefühle erlangst. Das gelingt besonders gut beim Journaling, einer Methode, die unser Mindset nachhaltig verändern kann.
Tipp 2: Finde Ursachen
Frag dich in konkreten Situationen, die dich ärgern, was das Problem ist. Am Anfang ist es ungewohnt, einen Schritt zurück zu treten und die Situation von außen zu betrachten. Aber mit der Zeit und etwas Übung wird es einfacher und man lernt, die eigenen Emotionen besser zu verstehen. Ärgert sich die Person auf unserem Herbstspaziergang wirklich über die Kinder, oder wurde sie kürzlich von einer anderen Person enttäuscht und erwartet jetzt das gleiche vom Rest der Welt? Ist es wirklich so schlimm, dass die Dame vor uns an der Supermarktkasse etwas länger braucht, um ihre Einkäufe einzupacken oder sind wir einfach nur hungrig und sollten uns vielleicht noch einen kleinen Snack erlauben? Wer die Ursachen seiner Emotionen kennt, nimmt Situationen plötzlich anders wahr und kann im Zweifel gegensteuern.
Tipp 3: Nimm nicht alles persönlich
Auch wenn wir uns über andere ärgern oder sie uns kränken, kann es helfen, nach den Ursachen zu fragen. Denn wie häufig beziehen wir das Verhalten oder Kommentare anderer auf uns selbst oder nehmen Dinge persönlich, die mit uns überhaupt nichts zu tun haben? Vielleicht ist die Chefin mal gestresst und lässt es an dir aus – das hat nicht unbedingt etwas mit deiner Arbeit zu tun, sondern wahrscheinlich steht sie selbst unter Druck. Wenn uns eine Freundin nicht antwortet, tut sie das meist nicht, weil sie keine Lust auf uns hat, sondern weil sie gerade eine sehr stressige Zeit durchmacht. Wir suchen Ursachen gerne bei uns – dort liegen sie aber häufig nicht. Das heißt nicht, dass wir jegliche Verantwortung von uns schieben können. Doch ein reflektierter Blick hilft zu erkennen wo wir vielleicht zu viel hineininterpretieren oder uns in die Opfer-Rolle begeben – und schärft die Wahrnehmung für das, was wirklich Sache ist.
Tipp 4: Es gibt (fast) immer eine positive Seite
Es klingt vielleicht abgedroschen, aber es gibt immer zwei Perspektiven. Wenn du im Stau stehst, hast du vielleicht Zeit für das neue Album deiner Lieblingsband. Wenn deine Beziehung zu Ende geht, lernst du im besten Fall etwas daraus und wirst davon in deiner nächsten Beziehung profitieren. Jede*r kennt Beispiele, bei denen sie oder er aus einer blöden Situation am Ende trotzdem etwas Positives ziehen konnte. Und da an den meisten dieser Situationen nichts zu ändern ist, ist es manchmal das Beste was man tun kann, sich an genau diesen positiven Aspekten festzuhalten. Ein bisschen wie früher in den Kinderbüchern, bei denen man zwischen dem "guten" und dem "bösen" Ende wählen konnte.
Tipp 5: Keine toxische Positivität
Die positive Seite zu sehen, soll nicht heißen, in toxische Positivität abzurutschen. Die beschreibt die zwanghafte Konzentration auf positive Emotionen und die konsequente Ablehnung unangenehmer Gefühle. Wenn wir immer versuchen "emotionale Abkürzungen" zu nehmen und negative Gefühle verdrängen, werden die nicht verarbeitet. Auch negative Gefühle haben ihre Berechtigung, Angst zum Beispiel kann uns vor drohenden Gefahren warnen und Trauer ist notwendig, um Verluste zu verarbeiten. Also: Auch wenn wir versuchen positiv zu denken und das Gute in Dingen zu sehen, kann und muss nicht immer alles gut sein. Alle Emotionen gehören dazu.
Tipp 6: No pressure
Erwarte bitte nicht, dass sich deine Wahrnehmung von jetzt auf gleich um 180 Grad dreht. Eine positive Grundhaltung will trainiert werden – und das braucht Zeit. Auch die kleinen Erfolge bewusst wahrzunehmen und zu feiern hilft dabei genauso wie zu akzeptieren, dass manche Tage einfach nicht für's positive Denken gemacht sind – und auch das okay ist.
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