Fan-Liebe geht oft so tief, dass wir glauben, Stars persönlich zu kennen. Dabei können sie unser Leben aber ganz real bereichern. Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Nicole Liebers erklärt das Phänomen im Interview.
EMOTION: Frau Dr. Liebers, was genau sind parasoziale Beziehungen?
Dr. Nicole Liebers: Parasoziale Beziehungen sind einseitige Beziehungen, die wir zu Medienpersonen entwickeln. Das Phänomen wurde zum ersten Mal in den 50er-Jahren untersucht, als die große Masse der Menschen immer mehr Film und Fernsehen konsumierte. In diesem Kontext fanden die US-Forscher Horton und Wohl heraus, dass eine Art Illusion der Interaktion entsteht, wenn der Moderator oder die Moderatorin die Zuschauer:innen zu Hause direkt anspricht. Langfristig kann sich daraus eine Illusion der Beziehung entwickeln, die wir als parasoziale Beziehung bezeichnen.
Lässt sich die mit alltäglichen sozialen Beziehungen vergleichen?
Bei uns im Gehirn laufen in beiden Fällen ähnliche Vorgänge ab: Wenn wir eine Medienperson immer wieder sehen, haben wir beispielsweise ähnlich wie im zwischenmenschlichen Alltag das Gefühl, sie mit der Zeit zu kennen. Man entwickelt dann nach und nach meist freundschaftliche Gefühle, manchmal aber auch romantische. Das funktioniert mit jeder Art von Medienperson, aus der TV- und Musikwelt, aus Serien oder Büchern. Sogar animierte Objekte oder Tiere können das in uns auslösen, solange sie sich menschlich verhalten. Man kann tatsächlich eine parasoziale Beziehung mit Spongebob Schwammkopf führen.
Hat sich diese Form der Beziehungen heute intensiviert?
Das ist schwer zu beantworten, weil wir keine Vergleichsstudien haben. Man kann aber sagen, dass mit Social Media das Phänomen einen neuen Hype erfahren hat, da wir so Medienpersonen, scheinbar, ganz nah kommen können. Influencer:innen teilen ständig ihren Alltag, was in uns noch mehr das Gefühl erzeugt, sie wirklich gut zu kennen und mit ihnen befreundet zu sein. Bedenkt man das, kann man schon annehmen, dass wir heute intensivere parasoziale Beziehungen führen als noch in den vergangenen Jahrzehnten.
Wie nutzen Medienmacher:innen das?
Influencer:innen-Marketing ist zum Beispiel ein riesiges Ding. Internet-Persönlichkeiten empfehlen ihren Follower:innen Produkte, wobei meistens natürlich kommerzielle Ziele im Fokus stehen. Studien haben hier gezeigt, dass eine parasoziale Bindung zu diesen Personen dazu führt, dass wir ihren Content weniger kritisch verarbeiten, weil wir ihnen vertrauen. Als Folge dessen sind wir dann verstärkt geneigt, die Produkte nachzukaufen, weil wir das Gefühl haben, der Empfehlung eines Freundes oder einer Freundin zu folgen, als, plump gesagt, auf eine Werbebotschaft reinzufallen.
Tun uns parasoziale Beziehungen trotzdem manchmal auch gut?
Ja, sie können zum Beispiel das Unterhaltungserleben steigern – das heißt stark vereinfacht gesagt, wir empfinden mehr Spaß, wenn wir Medien konsumieren. Darüber hinaus gibt es erste Befunde, die zeigen, dass auch diese einseitigen Beziehungen das Potenzial haben, in uns ein Gefühl der sozialen Eingebundenheit auszulösen. Wir fühlen uns also im besten Fall weniger allein. Das hat vor allem während der Pandemie, als wir uns isolieren mussten, unseren Annahmen nach vielen Menschen sehr geholfen.
Können wir von unseren medialen Bezugspersonen auch etwas lernen?
Wie im echten Leben auch können sie ein Vorbild für uns sein und als Inspirationsquelle dienen. Befindet sich diese Person in einer ähnlich schwierigen Situation wie ich und kämpft sich da durch, dann gibt es mir vielleicht Hoffnung und Kraft.
Inwiefern sind parasoziale Beziehungen für Teenager wichtig?
Bei Jugendlichen sind die romantischen parasozialen Beziehungen meist intensiver als bei Erwachsenen, da sie noch in einer Findungsphase sind. Medien und Medienpersonen bieten einen sicheren Rahmen für sie, um sich auszuprobieren. Was mag ich? Wer will ich eigentlich sein? Das kann vor allem hilfreich sein, wenn man eine sexuelle Identität erkundet, die nicht heteronormativ ist, und man vielleicht im ersten Moment Hemmungen hat, diese im echten Leben auszuleben.
Warum wird diese Form der Beziehungen in der Gesellschaft oft belächelt?
Gute Frage, denn eigentlich führt jede:r parasoziale Beziehungen, der oder die Medien konsumiert – bei manchen ist es nur eben intensiver als bei anderen. Solange wir uns durch sie besser fühlen und uns nicht einlullen lassen, Produkte zu kaufen, die wir eigentlich nicht brauchen, sind sie eine Bereicherung.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 1/2 22/23.
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