Gerade ist der Film "Tár" in den Kinos gestartet – mit einer tollen Cate Blanchett als Dirigentin und einer tollen Nina Hoss als Konzertmeisterin. Wir haben die beiden Schauspielerinnen auf der Berlinale getroffen, wo sie über einander ins Schwärmen geraten sind.
Was für ein wuchtiges Werk und was für ein Glücksfall, dass es gleich zwei unserer Lieblingsschauspielerinnen vereint: Im Zentrum von Todd Fields Film "Tár" steht die begnadete Dirigentin Lydia Tár (Cate Blanchett), die sich in der von Männern dominierten klassischen Musikszene durchgesetzt hat. Doch auf dem Höhepunkt ihrer Karriere wird sie von ihren eigenen Obsessionen eingeholt, Vorwürfe werden laut und ihr Leben gerät zunehmend außer Kontrolle, was sich auch auf die Beziehung zu ihrer Konzertmeisterin Sharon Goodnow (Nina Hoss) auswirkt …
Auf der Berlinale feierte "Tár" seine Deutschlandpremiere. Dort haben wir die beiden Darstellerinnen getroffen.
EMOTION: Lydia Tár lebt in dem Film offen lesbisch und ist mit Sharon Goodnow verheiratet. Wie haben die beiden Schauspielerinnen Cate Blanchett und Nina Hoss ihre Zusammenarbeit empfunden?
Cate Blanchett: Ich möchte mit keiner anderen Frau verheiratet sein (lacht). Nina ist fantastisch. Ich bewundere ihre Arbeit auf der Bühne und auf der Leinwand schon so lange. Vor "Tár" waren wir beide gleichzeitig in Budapest zu unterschiedlichen Dreharbeiten und haben uns zufällig im Frühstücksraum des Hotels getroffen. Wir hatten so ein tolles, offenes Gespräch, das war ein Segen. Es gab so viele Anknüpfungspunkte, wir haben so viele Gemeinsamkeiten. Sie ist eine Meisterin ihres Fachs und eröffnet mit ihrem Spiel immer wieder neue Möglichkeiten. Sie ist ein wahres Wunder.
Nina Hoss: Mit Cate zu arbeiten, ist so besonders, weil sie eine Schauspielerin ist, die sich absolut versenken kann und will. Sie ist ständig auf der Suche und dabei sehr wagemutig. Es wirkt so, als wäre sie für sich, aber das ist sie eben gar nicht. Sie ist sehr offen, nimmt ihre Partner und das Team wahr, ist wahnsinnig zuvorkommend und in jeglicher Hinsicht großzügig. Mit ihr zu arbeiten ist aufregend, weil man in jeder Minute denkt: Mal gucken, was wir jetzt machen, mal gucken, was jetzt passiert. Es gibt keine Minute, in der sie nachlässt oder routiniert spielt. Das interessiert sie alles nicht und mich eben auch nicht. Wenn ich sie beobachte, fühle ich mich bestätigt, dass alles darunter keinen Sinn hat, dass man immer alles geben sollte. Vielleicht verstehen wir uns auch so gut, weil wir beide Theater spielen. Wir begegnen uns auf einer Ebene, probieren und verwerfen Dinge, ohne dass uns das Angst machen würde. Es hat großen Spaß gemacht, sich mit Cate in der Welt von "Tár" zu versenken.
Im Film ist Lydia Tár Dirigentin der Berliner Philharmoniker, Sharon deren Konzertmeisterin. Gedreht wurde allerdings mit den Dresdner Philharmonikern. Wie war die Zusammenarbeit mit den Musiker:innen?
Nina Hoss: Dass ich mit den fantastischen Dresdner Philharmonikern zusammenarbeiten konnte, gehört zu den größten Erlebnissen und Geschenken, die ich bislang hatte in meinem Beruf. Das Faszinierende am Schauspielen ist ja, dass man immer wieder in andere Leben und Berufe reinblicken kann. Für zwei Wochen durfte ich die erste Geige sein. Neben mir saß Wolfgang Hentrich, der diese Position im wahren Leben bekleidet. Wie er das Ganze leitet, wie er auf jeden einzelnen eingeht, das hat mir viel über meine Rolle erzählt. Dadurch habe ich erst begriffen, wie viel Psychologie Sharon eigentlich draufhaben muss, wie verantwortungsvoll und machtvoll ihre Position als Vermittlerin zwischen Dirigentin und Orchester ist. Ich habe viel mit der Violine geübt, damit die Stücke, die man im Film sieht, auch sitzen. Als Cate dann zum ersten Mal zum Dirigieren angehoben hat und der Klang des Orchesters ertönte, dachte ich, ich drehe durch. Wann sitzt man schon mal in einem Orchester, während es spielt!
Die Dresdner Philharmoniker haben uns mit so viel Zuwendung und Zuneigung aufgenommen und manchmal auch wie lustige Tierchen betrachtet. Schön war, dass wir das Gefühl hatten, wir sind jetzt bei euch zu Gast, aber irgendwie seid ihr auch bei uns zu Gast, weil ihr in einem Film mitspielt, was ihr normalerweise auch nicht macht.
Cate Blanchett: Wegen der Pandemie mussten wir alle Orchesterszenen zuerst drehen. Das war sehr aufregend, ich hätte davor gern noch bisschen Zeit gehabt. Die Dresdner Philharmoniker sind nicht nur außergewöhnliche Musikerinnen und Musiker, sondern auch sehr freundliche und offene Menschen. Sie mussten schauspielern, ich dirigieren, wir waren ein gutes Team.
Seit den Dreharbeiten höre ich anders Musik. In der High School hatte ich eine Freundin, deren Onkel Musiker war. Ich erinnere mich, dass wir einmal bei ihm zum Essen waren. Dort war es so ruhig, dass man das Ticken der Uhr hören konnte. Ich fragte: Hören Sie gar keine Musik zum Essen? Und er sagte: Nein, ich achte die Musik. Musik ist nichts, was man im Hintergrund hört, man widmet sich ihr voll und ganz. Wenn ich jetzt eine Platte anmache, sitze ich da und höre wirklich zu, und nach diesen vielen Stunden, die ich Mahler gehört habe, bin ich tatsächlich in der Lage, Dinge zu hören, die ich vorher nicht gehört habe. Ich habe mit Simone Young über diese Gabe gesprochen, die auch ein Fluch ist, Dinge zu hören, die ein "normaler" Mensch nicht hören kann. Das kann einen sehr sensibel machen für Geräusche, gerade auch im häuslichen Umfeld. Das erleben wir auch bei Lydia Tár. Sie fühlt sich durch jedes kleine Surren gestört.
Was hat die beiden an ihren Rollen gereizt und worin lag die besondere Herausforderung?
Nina Hoss: Alles fing damit an, dass Regisseur Todd Fields um ein Zoom-Gespräch gebeten hat und ich überhaupt nicht wusste, worum es geht. Zum Glück kannte ich seine beiden Filme, die mir auch sehr im Gedächtnis geblieben sind. Als er mir erzählte, worum es geht und warum er das Skript geschrieben hat, merkte ich, wie intensiv und klug das alles ist. Und dann sagte er auch noch, er habe das Drehbuch für Cate Blanchett geschrieben. Keine Frage, dass ich an diesem Projekt beteiligt sein wollte. Der Film spricht so viele aktuelle Themen an, belehrt aber nicht und gibt mir in keiner Weise vor, was ich zu denken habe, sondern fordert mich in meinen eigenen Haltungen heraus. Ich kann keine der Figuren verurteilen, auch Lydia nicht, denn ich weiß im Endeffekt nicht, was sie eigentlich gemacht hat. "Tár" ist ein Film über das Wesen des Menschen, der in sich komplex und widersprüchlich ist. Dass der Mensch immer nur dem Guten entgegenstrebt, möchten wir vielleicht gern glauben, aber es entspricht nicht der Wahrheit. Als einziges Lebewesen mit einem freien Willen kann der Mensch auch Dinge tun, die überhaupt nicht gut für ihn oder für sein Umfeld sind.
Cate Blanchett: Ich war so absorbiert von dieser Rolle, dass da kein Platz mehr für etwas anderes war. Natürlich habe ich meine Tochter zur Schule gebracht und ihr Essen gemacht und solche Sachen, aber dieses Projekt hat mich völlig vereinnahmt. Nicht nur die Aufgabe, die Rolle zu spielen, sondern auch die Fragen, die der Film aufwirft. Es war eine große psychologische Herausforderung und die Fragen lassen mich bis heute nicht los. Ich habe in Todd und auch in Nina Seelenverwandte gefunden. Dafür bin ich sehr dankbar, denn man kann sich selbst herausfordern, aber wenn man sich gegenseitig herausfordert, ist das wirklich großartig. Dieser Film ist das Aufregendste, was ich je gemacht habe.
Eines der vielen Themen, die in dem Film aufgeworfen werden, ist Machtmissbrauch, was "Tár" auch zu einem MeToo-Beitrag macht. Dazu Nina Hoss:
Man hört bei diesem Film anders hin, weil hier einer Frau Machtmissbrauch vorgeworfen wird. Es ist noch nicht normal, dass eine Frau in so einer Position ist. Aber Frauen können eben auch alles sein – böse, undurchdringlich, lustig, zart - so wie Männer auch. Es war ein kluger Gedanke, die Geschichte über eine Frau zu erzählen, weil es wieder einen Raum für die MeToo-Diskussion öffnet. In diesem Fall urteilt man nicht so schnell, weil es schwieriger für uns ist, das Geschehen mit einer Frau in der Machtposition einzuordnen. Das erzählt natürlich auch wieder was über unsere Welt, dass es überhaupt nicht normal ist, dass es eine Chefdirigentin und eine Konzertmeisterin gibt.
Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass sich seit MeToo etwas an meinem Arbeitsplatz geändert hat. Es gibt jetzt zum Beispiel Leute, die bei Sexszenen dabei sind und diese koordinieren, um sicherzustellen, dass es keine Missverständnisse gibt. Dadurch sind gewisse Verhaltensweisen nicht mehr möglich. Aber es ist wichtig zu schauen, dass sich nicht nur für Schauspielerinnen und Schauspieler etwas ändert, sondern auch für den Rest des Filmteams. Ich finde es schade, dass man das Thema vor allem mit uns verknüpft. Wir sind halt die Exponiertesten, über uns kann man so schön berichten, weil man uns kennt, aber man muss in alle Bereiche gucken, auch in Wirtschaft, Politik, Medien. Wir müssen offen bleiben für das Thema MeToo und wir dürfen nicht schweigen.
Bei den Oscars, die am 12. März verliehen werden, ist "Tár" in sechs Kategorien nominiert, darunter als bester Film. Cate Blanchett hat gute Chancen, ihren dritten Oscar zu gewinnen. Als sie im Januar für ihre Rolle der Lydia Tár den Critics Choice Award bekam, äußerte sich die Schauspielerin kritisch über Filmpreise – und tat das auch in unserem Interview:
Es ist wunderbar zusammenzukommen und die Errungenschaften der Filmbranche zu feiern. Ich finde es aber nicht gut, dass wir dazu angehalten werden, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, und zu sagen, welchen Film wir am besten finden. Es gibt mindestens zehn Filme diese Saison, die ich gleich gut fand und unzählige Performances, die ich geliebt habe. Es ist ein bisschen so, wie zu sagen: Welches deiner Kinder magst du am liebsten? Wo führt das hin? Natürlich ist es wunderbar, von deinen Kolleginnen Anerkennung zu bekommen. Und für uns, die wir diesen Film gemacht haben, was sich ein bisschen wie ein gefährliches Experiment angefühlt hat, ist es toll, dass "Tár" so viel Beachtung findet. Aber ich möchte meine Schauspielkolleginnen nicht als Konkurrentinnen sehen, so arbeite und denke ich nicht. Es ist übrigens interessant, dass es dabei immer nur um die Darstellerinnen geht, so eine Konkurrenzdebatte dreht sich nie um die männlichen Darsteller. Alle wollen sehen, wie Frauen übereinander herfallen. Aber es tut mir leid, das werden sie nicht kriegen.
Hier kannst du dir den Trailer zum Film anschauen:
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