Manche Verbindungen fühlen sich besonders an, sind aber nicht dafür bestimmt, lange zu halten. Karmische Beziehungen nennt man so was. Unsere Autorin hat eine solche Beziehung erlebt – und teilt hier, was sie daraus gelernt hat.
"Wie findest du das neue Album von Harry Styles?" Dass diese WhatsApp-Nachricht der Beginn einer Beziehung werden würde, die meine Sicht aufs Leben nachhaltig verändern würde, hätte ich nicht gedacht. Sie kam von einem Bekannten aus Studienzeiten. Wir hatten zusammen in einer Eisdiele gearbeitet, sind in Small Talk über Trash-TV und Boybands eingetaucht, doch darüber hinaus? Hat uns nichts verbunden. Dachte ich.
"Es kam mir vor, als ob ich ihn schon mein Leben lang kennen würde"
Die Nachricht kam aus dem Nichts. Fast vier Jahre hatten wir uns nicht gesehen und in der Zwischenzeit vielleicht ein-, zweimal Kontakt. Das sollte sich Schlag auf Schlag ändern. Aus einer detaillierten Analyse des neuen Harry-Styles-Albums wurde ein mehrtägiges Gespräch über WhatsApp, am zweiten Tag schrieben wir vier Stunden lang einfach nur darüber, was wir gerne essen.
Plötzlich hatten wir jeden Tag Kontakt. Innerhalb kurzer Zeit wurde er zu meinem wichtigsten Gesprächspartner. Wir fingen an, uns wöchentlich zum Filmabend über Skype zu treffen (wir wohnen in verschiedenen Städten). Nach dem Film quatschten wir stundenlang, meist bis spät nachts. Und diesmal redeten wir nicht mehr nur über Trash-TV und Boybands (obwohl das auch nicht zu kurz kam), sondern auch über unsere größten Ängste, schlimmsten Selbstzweifel und einschneidendsten Familiendramen. Als in dieser Zeit meine Oma starb, war er der erste Mensch, dem ich davon erzählte, noch vor meinen besten Freund:innen.
Ich hatte so etwas noch nie erlebt. Es kam mir vor, als ob ich ihn schon mein Leben lang kennen würde. Ich habe mich noch nie von jemandem so verstanden gefühlt, nicht mal von meiner besten Freundin (sorry, Zora!). Wie kann ich mich mit diesem Menschen nach so kurzer Zeit so verbunden fühlen?
Karmische Beziehung: Seelenverwandtschaft, aber mit Ablaufdatum
Als ich im Netz über den Begriff "karmische Beziehung" gestolpert bin, dachte ich: Das ist es! Das Konzept kommt aus der Esoterik und ähnelt dem der Seelenverwandten. Nur, dass karmische Verbindungen nicht heilender Natur sind, sondern oft turbulent verlaufen und alle involvierten Menschen herausfordern. Diese Art von Beziehung tritt dabei wohl häufig in Phasen des Neuordnens auf, prägen ein Leben stark und sind sehr schnell sehr intensiv. Doch vor allem sind sie eins: temporär. So besonders sie sich auch anfühlen, karmische Beziehungen sind nicht dafür bestimmt, lange zu halten.
Kurz vor dem geplanten ersten echten Wiedersehen mit meinem ehemaligen (jetzt sehr vertrauten) Eisdielen-Kollegen, erzählte er mir: Er datet eine andere. Wir hatten unsere Beziehung nie definiert, aber im Kopf hatte ich mir schon ausgemalt, wie unsere Zukunft aussehen würde. Er hatte in mir nach langer Zeit wieder die Romantikerin rausgekitzelt, die ich hinter einem Riegel aus Zynismus und Selbstironie jahrelang weggesperrt hatte. Und ja, ich war enttäuscht.
Mein Leben lang bin ich schon Single, mein letzter Crush lag ewig zurück und verliebt war ich auch noch nie so richtig. "Kann ich solche Gefühle überhaupt entwickeln?", war eine Frage, die ich mir manchmal stellte. Ob ich in ihn verliebt war, kann ich bis heute nicht sagen. Oft verguckt man sich ja eher in die Vorstellung, was hätte werden können, weniger in den Menschen an sich. Doch er hat mir gezeigt, wie schön es sein kann, sein Herz zu öffnen, jemanden hinter die Mauern schauen zu lassen, keine Angst davor zu haben, verletzlich zu sein. Dafür bin ich ihm dankbar, auch wenn das Ende unserer karmischen Beziehung durchaus angenehmer hätte ablaufen können.
Man sagt, karmische Beziehungen würden vom Universum geschickt, mit der Intention, einem eine Lehre zu erteilen. Karma eben. Ich bin nicht besonders spirituell, Horoskope lese ich hauptsächlich, um mich darüber lustig zu machen, und dass manche Menschen tatsächlich ihr ganzes Leben nach den Sternen ausrichten, ist für mich schwer vorstellbar. Aber irgendwie hat die Erklärung etwas in mir ausgelöst. Ich habe durch meine karmische Beziehung sehr viel über meine Gefühle gelernt. Ich bin wohl doch kein eiskalter Roboter. Er sah etwas in mir, dass ich selbst (noch) nicht gesehen habe. Ich erzählte ihm von meinem Lebenstraum, irgendwann mal ein Buch zu schreiben. Für mich lag dieses Ziel noch in weiter Ferne. Worüber sollte ich schon schreiben? Ich hatte ja noch gar nichts erlebt! "Du hast interessante Beobachtungen und Gedanken, kannst super schreiben und dann auch noch die popkulturellen Referenzen – ich kann mir das richtig gut vorstellen", ermutigte er mich. Es war das erste Mal, dass ich dachte: Stimmt eigentlich, vielleicht kann ich das doch. Wenn er an mich glaubt, wieso sollte ich das nicht auch tun?
Was ich aus meiner karmischen Beziehung gelernt habe
Dieses Gefühl, dass ein Mensch einen so sieht, wie man ist, die Stärken und Schwächen, und trotzdem die Welt von einem denkt – das war neu. Und süchtig machend. Jede freie Minute wollte ich mit ihm verbringen. Logisch, durch ihn fühlte ich mich so selbstbewusst wie noch nie. Einfach pure Glückseligkeit.
Die Gefahr bei karmischen Beziehungen ist nur: dass man zu lange an ihnen festhält, gerade weil sie so guttun. Es ist bequem, wenn man jemanden hat, der einen pusht. Schließlich muss man es dann nicht selbst tun. Bedeutet aber auch: Abhängigkeit. Es soll oft vorkommen, dass karmische Beziehungen, deren Ende zu lange hinausgezögert wird, irgendwann toxisch werden. Man sagt nicht umsonst, was du liebst, lass frei. Also ist die Aufgabe jetzt: loslassen.
Bei etwas, das sich so schön angefühlt hat, ist das eine Herausforderung. Immer wieder erwische ich mich dabei, wie ich darüber nachdenke, was gewesen wäre, wenn… und versuche dann, mir klarzumachen, dass es bei karmischen Verbindungen vor allem um die Lehren geht, die man aus der Beziehung zieht. Das hört sich erst mal opportunistisch an, doch es hilft ungemein – auch gegen Liebeskummer – zu verstehen, dass ein Mensch, der mir so wichtig ist, da war, um Denkanstöße zu geben. Um mich in die richtige Richtung zu schubsen. Ich bin vermutlich nicht die einzige, die das erst kapiert hat, als die Beziehung vorbei war. Aber: Die nächsten Schritte meines Wegs muss ich letztendlich selbst gehen.
Mein karmischer Lebensabschnittsgefährte und ich haben seit unserem letzten Telefonat, bei dem wir das Was-auch-immer-wir-hatten beendet haben, keinen Kontakt mehr. Ich vermisse ihn, klar, aber vor allem vermisse ich, mich jemandem zugehörig und verbunden zu fühlen. Was mir das klargemacht hat? Ich möchte auch in Zukunft offen für dieses Gefühl sein. Ich möchte es mit einem Menschen wiederfinden, der offen für mich ist. Drückt mir die Daumen, dass das Universum diesmal was Langfristigeres für mich vorgesehen hat.
Dieser Artikel erschien zuerst in EMOTION 7/23.
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