Online-Dating liefert uns eine riesige Auswahl potentieller Partner:innen – sollte es da nicht einfacher sein als früher, jemanden zu finden, der zu uns passt? Dating-Coachin Carolyn Litzbarski beobachtet etwas anderes: In Wirklichkeit wird es eher komplizierter und anstrengender. Was tun?
EMOTION: Sie sagen, dass Beziehungen immer herausfordernder werden. Trifft das auch auf Dating zu?
Carolyn Litzbarski: Ja, ich denke, dass Dating heute definitiv schwieriger ist als früher. Letztendlich haben wir im Dating genau die Problematiken, die sich häufig auch in Beziehungen zeigen: fehlende Verbindlichkeit, unbegrenzte Möglichkeiten und ein Spannungsfeld von Autonomie und Nähe.
Carolyn Litzbarski begleitet als Beziehungscoachin Menschen in modernen Beziehungen. Ihr Buch "Beziehung kann ich doch" beleuchtet die Herausforderungen, mit denen Paare und Singles heutzutage konfrontiert sind, und bietet konkrete Lösungen für eine erfüllende Partnerschaft in einer schnelllebigen Welt.
Wie kommt das?
Es gibt mehrere Faktoren, die dazu beitragen. Zum einen gibt es heute durch Online-Dating oder auch Social Media viel mehr Optionen als früher. Innerhalb Sekunden kann man sich überall und jederzeit mit Menschen connecten. Viele Optionen zu haben bedeutet aber auch, dass es schwieriger ist, sich zu entscheiden.
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Gleichzeitig sinkt die Bereitschaft, sich eventuell auch schon im Dating mit der ein oder anderen Herausforderung auseinanderzusetzen. Kein Funken beim ersten Treffen? Vielleicht bringt das nächste Date mit einer anderen Person, die ohnehin nur einen Swipe entfernt ist, Funken und Feuerwerk! Warum dann das zweite oder dritte Date abwarten – ganz nach dem Motto: Man lebt nur einmal.
Das klingt, als wäre das für Menschen, die nach einer festen Beziehung suchen, ein Nachteil. Wie sieht es mit Menschen aus, die nach etwas Unverbindlichem suchen – profitieren sie im Umkehrschluss von dieser Entwicklung?
Wer unverbindlich unterwegs ist, hat durch die vielen Möglichkeiten natürlich die Chance, alles mal auszuprobieren und anzutesten. Darauf reagiert der Markt schon durch ein breiteres Angebot an Dating-Plattformen und -Apps, die sich auf Casual Dating oder Hook-up konzentrieren. Die Frage ist allerdings: Sucht jemand gezielt etwas Unverbindliches – oder weiß er oder sie gerade gar nicht, ob eine Beziehung in Frage kommt? Im zweiten Fall hat die Person im Markt der unverbindlichen Möglichkeiten eventuell nie die Chance, sich zu entwickeln und ihren Beziehungswunsch von "ich weiß nicht" auf "ich weiß, was ich will" zu transformieren.
Irgendwann gab es ein richtiges Dating-Buffet – Überfressen inklusive
Seit wann beobachten Sie, dass Dating sich verändert? Gab es so etwas wie einen Wendepunkt?
Ich bin Jahrgang 1990. Einen großen Shift sehe ich vor allem zwischen der Generation meiner Eltern und meiner Generation, den Millenials. Einen wirklichen Wendepunkt gab es aber in den 2010er-Jahren, als Dating-Apps wie "Tinder" immer populärer wurden. Irgendwann gab es ein richtiges Dating-Buffet – Überfressen inklusive.
Spielt "The Fear Of Missing Out", also das ständige Gefühl, etwas zu verpassen, dabei eine Rolle?
Ja. Und zwar in zwei Ausprägungen. Einerseits treibt FOMO Menschen in Beziehungen, weil sie ständig das Gefühl haben, ansonsten eine:n potentielle:n Traumpartner:in zu verpassen. Das macht einige zu richtigen Beziehungssurfenden mit vielen Kurzzeitbeziehungen. Ich habe viele Menschen kennengelernt, die sich dadurch auf sehr ungesunde und auch einseitige Beziehungen einlassen. FOMO kann Menschen aber auch aus einer Beziehung treiben. Um bei dem Bild vom Buffet zu bleiben – dort könnte es ja jemanden geben, der viel besser zu einem passt. Das kann man sich nicht entgehen lassen, so lautet der Tenor ungefähr. In diesem Fall sucht man immer etwas Besseres, hat ständig das Gefühl, dass etwas fehlt.
Immer öfter wird über Dating-Phänomene wie "Breadcrumbing" oder "Ghosting" berichtet. Was haben die damit zu tun, dass Dating als immer anstrengender empfunden wird?
Dating-Phänomene können definitiv dazu beitragen, dass Dating herausfordernder wird. Ich sehe sie gleichzeitig als Ursache und Symptom der aktuellen Entwicklung. Plötzlicher Kontaktabbruch, also Ghosting, kann beispielsweise ein Symptom von Beziehungs-FOMO sein. Weil jemand vielleicht denkt, dass es etwas Besseres gibt und gleichzeitig vermeidet, der anderen Person aktiv abzusagen. Während diese andere Person sich also vielleicht wundert oder gar verletzt ist, ist die ghostende Person vielleicht schon beim nächsten Date. Wenn man wiederholt geghostet wird, kann das auf Dauer das Vertrauen schädigen. Genau das brauchen wir aber, um uns überhaupt auf eine erfüllende Datingerfahrung einlassen zu können.
Beim Breadcrumbing werden immer wieder Brotkrumen im Sinne von Kontaktaufnahmen gestreut. Eine wirkliche Verbindlichkeit gibt es dabei allerdings nicht. Diese ambivalenten Signale können verunsichern und verletzen. Auf psychologischer Ebene kann dies wie eine sogenannte intermittierende Verstärkung wirken. Das ist eine Art Belohnungsstrategie, bei der auf ein bestimmtes Verhalten nur unregelmäßig eine Belohnung folgt. Das kann dazu führen, dass das Verhalten, das zu der Belohnung geführt hat, verstärkt wird, da die Person immer wieder versucht, die Belohnung zu erhalten. Weil ab und an doch Bestätigung zurückkommt, schöpft man immer wieder neue Hoffnung. Aber die Enttäuschung ist vorprogrammiert. Auch beim Breadcrumbing spielt FOMO eine Rolle, es begünstigt das Phänomen nämlich. Die Person, die sich eigentlich nicht binden möchte und dem anderen deshalb nur Brotkrumen hinwirft, könnte denken, dass der- oder diejenige doch der oder die Traumpartner:in sein könnte – und hält sich diese Person für den Fall der Fälle deshalb warm.
So etwas wie Beziehungsunfähigkeit gibt es grundsätzlich nicht
Trotz all dieser Schwierigkeiten: Ist Dating in den letzten Jahrzehnten nicht auch viel gleichberechtigter geworden?
Ja. Früher wurde von Männern eigentlich immer erwartet, den ersten Schritt zu machen. Heute ergreifen auch Frauen die Initiative, sind selbstbewusster und aktiver. Bei manchen Dating-Apps (Anm. der Redaktion: beispielsweise "Bumble") wurde das ja sogar zum Prinzip gemacht. Auch für die LGBTQIA+-Community wird das Dating einfacher – man kann heutzutage offener über sexuelle Orientierungen sprechen, ist dadurch freier in der Wahl der Partner:innen. Auch hier können Apps hilfreich sein. Insgesamt ist Dating im Vergleich zu früher also gleichberechtigter geworden, aber es gibt noch Luft nach oben. Leider gibt es immer noch unterschiedliche Erwartungen an das Verhalten von Männern und Frauen in puncto Dating. Um nur eine zu nennen: Immer noch gibt es die stereotype Vorstellung, wer bei einem Date bezahlen sollte.
Ist es durch Dating-Apps einfacher geworden, jemanden zu finden, der zu einem passt?
Ja. Durch Online-Dating-Plattformen haben Menschen Zugang zu einem größeren Pool potenzieller Partner:innen und können leichter Menschen kennenlernen, die sie aufgrund von räumlicher Entfernung oder anderen Faktoren sonst nie getroffen hätten. Allein in Deutschland leben zum Beispiel schätzungsweise 1,5 Millionen binationale Paare. Und auch jemanden zu finden, der den persönlichen Kriterien und Präferenzen entspricht, ist einfacher. Bei Dating-Apps kann man mittlerweile viele Kriterien im eigenen Profil angeben.
Millennials und der Gen Z wird oft Beziehungsunfähigkeit unterstellt. Ist das gerechtfertigt?
Grundsätzlich sind Menschen dafür ausgestattet, in einer Beziehung zu sein. So etwas wie Beziehungsunfähigkeit gibt es also nicht. Aus Sicht der Generation meiner Eltern oder Großeltern kann aber der Eindruck entstehen, dass jüngere Generationen nicht fähig sind, langanhaltende und bindende Beziehungen zu führen. Das zeigt sich für sie etwa daran, dass das Heiratsalter oder auch auch das Alter, mit dem Menschen im Schnitt ihr erstes Kind bekommen, statistisch steigen. Auf der Mikroebene erleben Eltern der Generation Y und Z vielleicht, dass immer mehr Beziehungspartner:innen vorgestellt werden.
Und haben Millennials und die Gen Z Ihrer Einschätzung nach tatsächlich Schwierigkeiten, Beziehungen zu führen – oder legen sie vielleicht einfach weniger Wert darauf?
Es gibt viele Faktoren, die dazu beitragen können, dass Menschen Schwierigkeiten haben, Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Das ist grundsätzlich generationsunabhängig. Die Gen Y, also Millennials, und die Gen Z erleben aber viel mehr eine auf das Individuum ausgerichtete Gesellschaft. Das ist das sogenannte Beziehungs-Dilemma. Eigentlich sind wir Menschen auf Bindung und Beziehungen ausgerichtet. Eine erfüllende Beziehung ist für die meisten Menschen weiterhin ein Lebensziel. Gleichzeitig wollen wir autonom leben und alle Möglichkeiten der Selbstverwirklichung ausschöpfen. Beziehung und grenzenlose freie Lebensgestaltung kommen sich da schon mal in die Quere.
Das kann sich im Dating und in Beziehungen entweder in der Beziehungs-FOMO zeigen (in allen Ausprägungen: viele Kurzzeitzeitbeziehungen als Beziehungssurfende, nach dem ersten Konflikt in den Beziehungsexit, lieber Single als Beziehung mit Kompromissen), oder in Konflikten zwischen Nähe und Autonomie: eine Auslandsentsendung der Firma, die Weltreise oder auch schon das Party-Wochenende mit Freund:innen erfordert in einer Beziehung eben auch Kommunikation und den ein oder anderen Kompromiss. Die Gen Y und die Gen Z sind außerdem weniger romantisch eingestellt als frühere Generationen, sie geben nicht mehr so viel auf Monogamie. Auch das kann sowohl ein Symptom als auch eine Lösung für dieses Beziehungs-Dilemma sein.
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