Zeina Nassar scheut keinen Kampf. Den Kampf Hijabs weltweit bei Box-Wettkämpfen zu erlauben, hat sie gewonnen. Die fünffache Berliner Meisterin und deutsche Meisterin 2018 im Boxen setzt sich für Gleichberechtigung im Sport und für Schulbildung für Kinder überall auf der Welt ein.
Zeina Nassar motiviert. Und hat mit 21 Jahren schon viel erreicht. Wir sprachen mit der Box-Meisterin über ihren Willen zur Veränderung.
EMOTION: Als du 13 warst, hast du mit dem Boxen angefangen. Ein Jahr später solltest du deinen ersten Wettkampf antreten und dann hieß es: geht nicht. Zeina kann nicht mit Hijab boxen. Weder lange Ärmel noch lange Leggins sind erlaubt. Wie fühlt sich das an, wenn man in so einem Alter ist?
Zeina Nassar: Als ich mit dem Boxen angefangen habe und ein Jahr später dann auch bereit für meinen ersten Wettkampf im Ring war, hab ich erfahren, dass ich mit dem Kopftuch gar nicht bei Wettkämpfen boxen darf. 2013 hab ich mich noch nicht so richtig mit diesem Problem beschäftigt. Ich wollte einfach teilnehmen, gewinnen und mein Können im Ring unter Beweis stellen. Tatsächlich hat meine Trainerin es 2013 geschafft, für mich in ganz Deutschland die Wettkampf-Bestimmungen ändern zu lassen. Seitdem darf ich offiziell in Deutschland boxen. Meine Trainerin hat mir gezeigt, dass es möglich ist. Dass alles möglich ist, wenn man dafür kämpft.
Weil die internationalen Wettkampfbestimmungen unverändert waren, konnte ich als deutsche Meisterin meine Ziele nicht weiter verfolgen. Bei Olympia mitmachen, Europa oder sogar Weltmeisterin werden, war unmöglich. Das war für mich ein Schlag ins Herz. Ich habe gemerkt, wie sich alle auf die Wettbewerbe vorbereitet haben, und ich jedes Mal erstmal dafür kämpfen musste, überhaupt teilnehmen zu dürfen. Das fand ich nicht fair. Ich hab immer weiter trainiert, mich von nichts abhalten lassen. Und dann hat es funktioniert. Dann haben wir die Wettkampf-Bestimmungen auf der ganzen Welt ändern können.
Warum glaubst du, musstest erst du kommen, um diese Regel zu ändern, du kennst sicher Boxerinnen vor dir, die das auch gerne gemacht hätten.
Ich weiß gar nicht, ob ich tatsächlich die erste bin die sich stark dafür eingesetzt hat, aber für mich war halt einfach klar: Ich hab ein Ziel, ich habe total Bock zu boxen, dann mach ich das. Und keiner wird mich davon abhalten. Und natürlich war das ein langer Kampf und es war auch nicht einfach. Aber ich habe so lange gekämpft, bis die Regel geändert wurde. Das ist ein großer Gewinn für mich – aber auch ein großer Gewinn für die Frauen. Jetzt sind die Vorraussetzungen gleich. Jetzt geht's nur noch um die Leistung. Ich muss mich nur noch sportlich qualifizieren und darum sollte es ja auch beim Sport gehen. Und wenn ich es nicht schaffen sollte, irgendwann zu Olympia zu gehen, dann haben ganz viele andere Frauen ebenfalls die Möglichkeit, sich da zu qualifizieren. Das macht mich einfach unglaublich stolz.
Du zitierst sehr gerne den Satz: "Fighting is not about winning or losing. It's about learning". Was hast du denn in den letzten 7 Jahren im Kampfsport für dich gelernt?
Ich hab vorher noch lange Basketball und Fußball gespielt. Das waren Teamsportarten und die Abwechslung im Sport nur auf mich gestellt zu sein, fand ich total cool. Ich kann niemand anderem die Schuld geben, wenn ich im Ring verliere. Da gab es ja nur mich und die Gegnerin. Keine anderen Mitspieler. Bei meinem ersten Wettkampf habe ich verloren. Das war für mich ein Weltuntergang, denn ich war sehr überzeugt von meinem Können. Von meiner Trainerin habe ich dann beigebracht bekommen, diese Niederlage als Motivation zu sehen. Letztendlich bin ich total glücklich diesen Kampf verloren zu haben, weil ich dann danach fast alle Kämpfe gewonnen habe. Ich habe gelernt: es ist alles möglich, wenn man dran bleibt.
Wenn ich in einem Gespräch erwähne, dass ich Hobby-Boxerin bin, erlebe ich oft, dass dann von den Männern ein erschrecktes Einatmen und ein: "Oh nein, dann muss ich jetzt aber aufpassen was ich sage, sonst werde ich verprügelt"… Geht dir das auch so?
Ja, sowas kriege ich auch oft zu hören. Aber ich nehme das häufig gar nicht so wahr. Weil ich einfach fokussiert bin. Ich versuche mich mit dem Positiven zu beschäftigen. Das ist es auch, was ich versuche, anderen Mädchen und Jungen beizubringen: sich von niemandem unterkriegen zu lassen. Es ist egal wie du aussiehst, woher du kommst und welche Sprache du sprichst. Letztendlich geht es um die Leistung.
Es ist viel wichtiger was ich im Kopf habe, als auf dem Kopf.
Zeina NassarTweet
Es macht mich auch so glücklich zu sehen, dass ich andere zum Sport machen bewegen kann. Ich bekomme jeden Tag Nachrichten, von Kindern, die sagen, dass ich der Grund bin, dass sie nicht aufgeben. Und das macht mich so stolz.
Wenn du Menschen im Alltag begegnest, die dich nicht als Sportlerin und nicht als Zeina kennen, bist du mit Vorurteilen konfrontiert? Gibt dir der Sport da in einer Form Selbstvertrauen um ganz gelassen zu reagieren und dem Ganzen entgegen zu treten?
Ich hab nicht so oft erlebt, dass Menschen mich mit irgendwelchen Vorurteilen konfrontiert haben. Wahrscheinlich, weil ich auch einfach eine selbstbewusste Haltung habe. Ich tausche mich gerne mit anderen aus. Und ich glaube, dass es wichtig ist, dass ich mir selbst treu bleibe, dass ich dieses Selbstbewusstsein habe und es auch gar nicht zulasse, dass mir irgendjemand etwas Blödes sagt.
Fühlst du dich manchmal reduziert auf das Kopftuch? Auf die Boxerin mit dem Kopftuch?
Es war schon so, als würde man mir nicht nur weniger zutrauen, weil ich eine Frau bin, sondern auch noch doppelt so wenig, weil ich eben das Kopftuch trage. Aber diese Vorteile wollte ich entkräften. Mit 13 steckt man kritische Kommentare natürlich noch nicht so leicht weg. Mittlerweile sehe ich das aber als Motivation. Diese Message versuche ich auch zu verbreiten: Lass dich von niemandem unterkriegen!
Du bist Studentin, du bist Boxerin, du trainierst wahnsinnig viel, aber du spielst auch noch am Maxim-Gorki-Theater in Berlin in einem Stück namens "Stören" mit. Wie ist der Name gemeint? Spielt ihr Charaktere, die die Gesellschaft stören? Oder propagiert ihr das Stören?
Es geht darum, wie Frauen in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Wie unsere Emotionen wahrgenommen werden. Was uns an der Gesellschaft stört. Was anderen Menschen an uns Frauen stört. Das ist ein selbstentwickeltes Stück. Wir präsentieren Persönlichkeiten auf der Bühne, die selbstbewusst sind und sich nicht unterkriegen lassen. Aber in erster Linie ist es uns wichtig, bewusst zu machen, was Frauen auf der Straße so passiert.
Du hast Einfluss. Du hast eine große Stimme und nutzt sie sehr gerne. Wo möchtest du noch stören? Welche Grenzen willst du noch überschreiten? Was möchtest du aufbrechen?
In erster Linie ist mir weiterhin wichtig, dass ich Vorurteile bekämpfe. Dass ich Menschen zeige, was alles möglich ist, wenn man kämpft. Egal in welchem Bereich. Ich möchte noch mehr Menschen erreichen. Und ich möchte, dass Frauensport mehr anerkannt wird. Mittlerweile bin ich auch Botschafterin von "Visions for Children" eine Organisation mit der Vision, dass jedes Kind auf der ganzen Welt lesen und schreiben kann. Dass jedes Kind zur Schule gehen kann. Das ist mir verdammt wichtig. Ich werde auch oft in Krankenhäuser eingeladen, um Jugendliche dort zu motivieren. Das werde ich auch weiterhin machen.