Am 6. Juli 2022 startet die Frauenfußball-EM in England. Aber wer bekommt davon überhaupt was mit? Wieso feiern wir Messi, Müller und Modeste, aber haben mit Frauenfußball so wenig am Hut? So geht es nicht weiter, findet unsere Autorin.
Es gibt verschiedene Rollen, mit denen ich im Leben bestehe: Mutter, Partnerin, Freundin, Kollegin, Expertin, Tochter. Aber ganz am Rande des Rollenmosaiks kommt noch eine hinzu, die ich besonders toll finde: Fan sein. Ich habe ein großes Talent fürs Fansein. Im Buch "Team F – Feminismus einfach leben" habe ich ein ganzes Kapitel über die Bedeutung von Role Models geschrieben und ich glaube mit glühendem Herzen daran, dass in unserer Wahl, wem wir zuhören, zusehen, zujubeln, ein wichtiges Instrument zur Veränderung liegt. Und: In unserer Aufmerksamkeitsökonomie lassen sich Zuneigung und Zeit umwandeln in Einkünfte. Wen ich lese, wem ich folge – für die bin ich auch bereit, Geld auszugeben.
Was Fansein mit dem Male Gaze zu tun hat
Eine Leerstelle gibt es aber bei meiner Role-Model-Leistungsshow: Fußballerinnen. Ich habe eine Vergangenheit als Sportjournalistin, eine Dauerkarte des FC St. Pauli und mein letztes Buch war die Biografie von Miroslav Klose – kurz: Ich verstehe und liebe Fußball. Aber die Fußballerinnen haben es nie in meinen persönlichen Pantheon geschafft; mein Fan-Hirn kennt bei Bayern München eher Thomas Müller als Lina Magull, die gerade vom "Guardian" in der Top 100 der besten Fußballerinnen auf Platz 26 gewählt wurde. "The male gaze", der männliche Blick, hat meinen beeinflusst. Ich möchte das ändern. Die großartige Almuth Schult, Nationaltorhüterin, Spielerin beim Vfl Wolfsburg, TV-Expertin und energische Reformerin des DFB mit der Initiative "Fußball kann mehr", sagte neulich im Podcast "FE:male view on football", dass wir noch ewig den Ball in diesem Blame-Game-Dreieck herumschieben können: "Die Strukturen sind unprofessionell/Es gibt zu wenig Sponsoren und Einnahmen/Es gibt zu wenig Zuschauerinnen." Eine:r muss sich bewegen. Warum nicht ich? Nur: Wo fange ich damit an?
Neue Role Models
Schritt 1: Ich suche mir eine Heldin. Im Dezember wurde ein Clip in meine Twitter-Timeline gespült: Man sieht einen Flitzer auf dem Feld des Spiels von Chelsea London gegen Juventus Turin. Das Publikum pfeift, aber anders als ich es von Männerspielen kenne, wo die Security mit einem Tempo auf den Eindringling zuläuft, als müsse die Queen vor einem Attentat geschützt werden, spaziert der Mann hier unbedrängt zwischen den Spielerinnen herum. Bis eine die Nase voll hat. Sam Kerr, Stürmerin für Chelsea und Nummer 3 der "Guardian"-Weltbesten-Reihe, checkt den Mann mit einer brachialen Eleganz zu Boden, dass man jubeln möchte. Kerr, wie auch Almuth Schult, haben diese "Bigger than life"-Ausstrahlung, die ich bei Menschen liebe, dieses hart erarbeitete, nüchterne Selbstbewusstsein von Leistungsträgerinnen.
Frauenfußball ist ein Riesen-Inspirationstool
Ich klicke mich weiter durch die Reihe der Fußballerinnen und sehe beeindruckende Frauen. Authentische Role Models für Phasen des Selbstzweifels, der fehlenden Motivation, des Durchhängens. Die Dänin Nadia Nadim hat gerade ihre Ausbildung als Ärztin abgeschlossen, Schult ist die einzige Mutter in der Bundesliga. Sozialer Aufstieg, Team-Zusammenhalt, Queerness ohne große Erklärungen – Fußballerinnen bilden eine vielfältige, freundliche Zukunftsvision, wir wären saublöd, wenn wir uns diesen Riesen-Inspirations-Pool entgehen ließen. Also Europameisterschaft im Juli schauen, davor das Finale der Frauen-Championsleague am 21.5., das der Streamingdienst DAZN frei auf Youtube überträgt.
"Für mich gibt es keine Göttinnen oder tapferen Frauen, nur weil sie Sport treiben."
Im letzten Jahr habe ich an einer Veranstaltung der "Football Supporters Europe" teilgenommen, auf der Sportjournalistinnen über ihre Arbeit berichteten, u. a. die in Berlin lebende Italienerin Giorgia Bernardini, die "Zarina" schreibt, einen Newsletter über Frauensport. Sie erzählte an dem Abend, es sei ihre bewusste Entscheidung gewesen, über Frauenfußball zu schreiben. Und zwar nicht, indem sie die Sportlerinnen auf ein Podest stellt: "Für mich gibt es keine Göttinnen oder tapferen Frauen, nur weil sie Sport treiben." Bernardini mag den Zauber des Anfangs: "Ich mag den Frauenfußball, weil er eine Sportart im Entstehen ist. Es ist weniger Geld im Spiel, jeder Sieg hat fast existenzielle Bedeutung. Die Fußballerinnen sind präsent und verstehen, dass alles für das Wachstum der Bewegung wichtig ist: der Fußball, die Sportlerinnen, die Medien, die darüber berichten. Das macht Spaß."
Mach es wie Giorgia! Ab jetzt will ich möglichst viel Frauenfußball sehen, am liebsten am Spielfeldrand, mit meiner Tochter oder mit Freundinnen. Man findet immer etwas, was man toll findet: die Dynamik, den Jubel, die Grätschen. Ich mache Kreuze im Spielplan.
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