Gibt es eigentlich noch Teenager:innen, die ganz normal zur Schule gehen – oder sind die schon alle steinreiche Social-Media-Stars und -Unternehmer:innen? Warum die unternehmerische Chuzpe der Generation Z das Weltbild aller ins Wanken bringt, die älter als 15 sind.
Ping, neue Nachricht auf LinkedIn von Davide Mercatali. Wer ist das? Ich habe längst den Überblick über mein digitales "Netzwerk" verloren. Egal, ich bin neugierig und öffne die Nachricht. "Ich bin 15 Jahre alt, Schüler und Unternehmer", schreibt Davide. "In den vergangenen Monaten habe ich an einem neuen Projekt gearbeitet. Anbei findest du die Pressemitteilung."
Es stellt sich heraus, dass Davide eine Marketingagentur für Tiktok-Inhalte gegründet hat. Mehrere Medien haben bereits über den jungen Gründer berichtet, unter anderem die Wirtschaftswoche. Alle stellen ihm die gleichen Fragen, auch ich: Warum wolltest du jetzt schon gründen? Ist das nicht superanstrengend, so neben der Schule? Was sagen deine Eltern dazu? Und hast du auch noch ein "normales" Leben?
Mit seinen Antworten überrascht mich Davide. "Das Gründen als Schüler ist perfekt", schreibt er mir. "Man hat nachmittags viel Zeit, man hat eine Absicherung (die Eltern), aber keine Verpflichtungen. Deswegen kann man ohne Druck (außer man macht sich selber welchen) sein eigenes Ding aufbauen. Also (fast) die beste Zeit zum Gründen." Im Übrigen sei es in seiner Generation ziemlich normal geworden, Unternehmer:in sein zu wollen, fügt Davide noch an: "Influencer machen es ja vor und zeigen oft ihre unternehmerischen Tätigkeiten."
Gründen neben der Schule – der perfekte Zeitpunkt?
So habe ich das Thema noch nicht betrachtet – dass Gründen aus dem Kinderzimmer natürlich bequem ist, wenn Mama oder Papa hin und wieder ein Butterbrot vorbeibringt und die Dreckwäsche mitnimmt.
Aber mal im Ernst: Mich beeindruckt die unternehmerische Chuzpe der Generation Z. Die machen einfach. Wenn Unternehmen sich so schwer damit tun, irgendwelche halbwegs unreinlichen Social-Media-Inhalte zu erstellen – warum soll dann nicht ein 15-Jähriger kommen und sie beraten? Also, da habe ich als Teenie weitaus anstrengendere, weniger lukrative Taschengeld-Aufbesser-Jobs erledigt (zum Beispiel Lateinnachhilfe – puh).
Dass die ganz junge Generation nicht lang zögert und zaudert und erst recht nicht wartet, bis irgendjemand irgendwas erlaubt, dass steile Corporate-Karrieren nicht mehr als die einzig heiligen beruflichen Ziele gelten – das gefällt mir. Davide ist ja nur einer von vielen Teenies, die neben der Schullaufbahn eine veritable Selbständigen-Karriere aufbauen – man denke nur an die vielen, vielen Influencer-Kids.
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Natürlich kann und muss man das Thema kritisch betrachten. Nicht von ungefähr ist es in Deutschland sehr genau geregelt, wie Minderjährige arbeiten können. Die Hast von Teenager:innen wie Davide erschreckt mich deshalb auch – warum diese Eile? Lernt erst mal das wirkliche Leben kennen, denke ich, wenn ich von superjungen Unternehmer:innen lese, macht doch erst mal eure Ausbildung fertig. Ich denke über Abschlüsse und Qualifikationen nach und über die Frage, ob man wirklich für sich beanspruchen kann, mit kaum Berufs- und Lebenserfahrung direkt Unternehmer:in sein zu wollen. Ob man schon erfassen kann, was es heißt, nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Verantwortung zu übernehmen. Und falls ja, was ich gar nicht pauschal absprechen will – wieso genießt man dann nicht die Freiheit der Jugend, sich erst einmal verschiedene Branchen anzuschauen, herauszufinden, was man wirklich machen will im Leben?
Was sagt es über die Arbeitswelt aus, wenn Teenager lieber gründen wollen als sich in Unternehmen "hochzuarbeiten"?
Offen gestanden: Teenie-Entrepreneure lassen mich am Arbeitsleben verzweifeln. Aber nicht aus Generationenneid – sondern weil die Unlust von Teenagern, sich in Betrieben unterzuordnen, doch total bezeichnend ist für die Schwachpunkte der gegenwärtigen Arbeitswelt. Was steckt da für eine Vorstellung vom Arbeitsleben dahinter, die die Selbständigkeit als Ideal, eine mühsame Karriere im Betrieb hingegen komplett unattraktiv erscheinen lässt?
Darüber müssten wir nachdenken, wenn Friseurbetriebe keine Azubis mehr finden, weil geschickte Hairstylist:innen natürlich lieber auf eine Tiktok-Karriere spekulieren, als sich für ein paar Hundert Euro im Monat zum Haare fegen verdonnern zu lassen.
Und auch darüber, was wir von der Gen Z lernen können: nämlich, sich die Freiheit zu nehmen, sich von persönlichen und gesellschaftlichen Idealen zu lösen. Schließlich wird niemand gezwungen, unglücklich vorm Großraum-Computer zu hängen.
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