Winzerin Juliane Eller wollte gar nicht ins Familiengeschäft einsteigen. Jetzt führt sie das Weingut im Einklang mit der Natur, viel Bauchgefühl und Persönlichkeit.
Winzerin Juliane Eller übernahm mit 23 Jahren den Familienbetrieb
Eigentlich wollte sie raus aus „A-town“, raus aus dem hessischen Alsheim. Aber dann bekam Juliane Eller von ihrem Vater alle Zügel in die Hand. Seit 2013 leitet sie das Weingut und steht mit Namen und Gesicht für die Marke "Juwel - trockene Qualitätsweine aus Nordhessen". Außerdem produziert Juliane Eller zusammen mit Joko Winterscheidt und Matthias Schweighöfer den „III Freunde“-Wein und führt einen Instagram-Account mit über 33 Tausend Follower*innen. Im Interview verrät Juliane Eller uns, was ihr zu Beginn schlaflose Nächte bereitete, wie ihr der Neustart gelang und wie sie lernte, ihrem Bauchgefühl zu vertrauen.
WORKING WOMEN: Frau Eller, Weinliebhaber kennen das Wort „Terroire“, das ja auf Deutsch nicht genau zu übersetzen ist. Was bedeutet Ihr Terroire für Sie?
Juliane Eller: Unser Terroire ist mehr als Rheinhessen und der Boden – es ist die Herkunft, die Heimat, es ist das, was uns ausmacht und was wir ins Glas transportieren wollen.
Ich kenne keine Branche, die ein so malerisches Vokabular benutzt wie die Winzerei. Welche Adjektive schreiben Sie Ihren Weinen zu?
Beziehen wir uns wieder auf den Boden, dann ist er sehr mineralisch und salzig. Dadurch hat man immer diese Frische, diese Leichtigkeit und Eleganz, die ich als fast tänzelnd beschreiben würde.
Finden Sie sich als Frau in diesen Beschreibungen wieder?
Total. Ich bin die Winzerin, ich mache konsequent nur das, was mir schmeckt. Da ist nichts überladen, nie zu viel gewollt. Straight, saftig und frisch, sodass es animierend wirkt. Das bin ich, das mag ich gern. Es steckt wirklich viel von mir in jeder Flasche.
Als Winzerin haben Sie nur einmal im Jahr die Chance, es richtig zu machen ...
Das stimmt. Du hältst die Trauben in der Hand, dein Baby, und du bist den Launen der Natur völlig ausgeliefert. Frost, Hitze, Hagel – sie gibt den Takt vor. Minuten können über eine ganze Ernte entscheiden.
Waren Sie immer schon risikofreudig?
Ich weiß gar nicht, wo ich das herhabe. Ich bin Bauchmensch und vertraue ganz auf mich selbst. Wenn es sich gut anfühlt: vorwärts. Ansonsten gucke ich noch mal nach links und rechts. Ich hole mir Feedback bei meinen Leuten und meinem Mann, aber den Keller würde ich nie aus der Hand geben. Manchmal frage ich mich, wie man das überhaupt anders machen kann.
Sie stecken nicht nur im Geschmack, sondern sind auch das Gesicht, ja, sogar im Namen „Juwel“, Juliane Eller Weine. Ist Personal Branding auch für Winzer*innen unverzichtbar geworden?
Ja, aber das darf man auch nicht übertreiben. Ich muss auch verzichtbar sein. Ich kann ja nicht überall sein, wo mein Wein ist ... Das verlangen die Leute aber schnell.
Ich habe keinen wirklichen Alltag, weil wir so saisonal arbeiten. Im Sommer sind wir immer im Weinberg, nach der Ernte beginnt die wichtigste und spannendste Phase, der Keller. Im Januar ist es ruhiger, aber dann gehen schon die Veranstaltungen los.
Juliane Eller, WinzerinTweet
Ihre Zunge entscheidet über das finale Produkt, Sie stellen Mitarbeiter ein, leiten das Weingut. Fielen Ihnen Entscheidungen immer schon leicht?
Anfangs gar nicht, weil ich meinen Weg noch nicht gefunden hatte. Aber mittlerweile bin ich tiefenentspannt. Ich habe meinen Platz gefunden, ich weiß genau, was jeden Tag auf dem Weingut passiert, und wir halten uns gegenseitig den Rücken frei – jetzt treffe ich Entscheidungen entspannt aus dem Bauch heraus.
Die „Wirtschaftswoche“ hat geschrieben, die deutsche Weinbranche sei behäbig. Erleben Sie das auch so?
Ich weiß, was damit gemeint ist. Aber es hat sich unheimlich viel getan in den letzten Jahren. Wir wurden wahnsinnig von den Traditionswinzern hinterfragt, aber so langsam machen sie Platz für die junge Generation. Wir dürfen nicht vergessen, was die alten Winzer für den deutschen Wein getan haben – und dass wir jetzt auf dem internationalen Markt ihre Lorbeeren ernten dürfen. Aber wir müssen weiterhin Gas geben.
Wein machen ist auch Trend geworden. Viele Promis oder Manager*innen machen jetzt in Wein. Machen solche Projekte den Markt kaputt?
Das kommt sehr darauf an. Mit „III Freunde“ haben wir dasselbe in Klein gemacht – und damit eine Wahnsinnsaufmerksamkeit für den deutschen Wein generiert. Das ist toll. Gleichzeitig muss man auch aufpassen, dass man mit solchen Produkten nicht die Preise kaputt macht.
Wie ging es Ihnen eigentlich nach der Entscheidung, das Weingut der Eltern zu übernehmen?
Schlaflose Nächte! Ich habe ja anfangs nur Geld gekostet. Ich hätte 35 Jahre Arbeit, die gesamte Existenz meiner Eltern gegen die Wand fahren können.
Haben Sie nicht. Aber Sie haben alles umgekrempelt ...
Von 35 Weinsorten auf sechs – von der maschinellen zur Handlese. Ich wollte zurück zur Natur, zu den Basics. Das hätte in die Hose gehen können. Schon alleine familiär: Die ganze Familie arbeitet auf dem Weingut, wir sind 24/7 zusammen – und plötzlich war ich Chef. Aber es ist glattgelaufen. Jeder hat seinen Schaffensbereich, und wir sind super eingespielt.
Deutsche Konsument*innen sind ja eher verwöhnt und erwarten, dass das Avocado-Sandwich im selben Laden auch immer gleich schmeckt ...
Bei meinem Vater war das noch so, ja. Da hatte der Dornfelder Halbtrocken jedes Jahr denselben Zuckergehalt, dieselbe Säure, und die Kunden wollten das auch so. Ich sage: Ich produziere trockene Weine. Die müssen dann auch trocken sein – ich kann dann nichts Süßes machen. Mein Grauburgunder ist so zwar jedes Jahr ein Unikat, aber er behält immer seine Persönlichkeit.
Hat Sie die Umstellung viele Kunden gekostet?
Ja. Aber auch neue gewonnen. Und mittlerweile suchen die Leute bei uns auch nicht mehr den Mainstream. Aber wir hatten, beziehungsweise haben einen langen Atem, sind überzeugt von dem, was wir tun, und sind konsequent geblieben.
Das Auge kauft mit: Ich orientiere mich – und da bin ich sicherlich nicht alleine – vor dem Weinregal an der Traube, am Preis und – ganz wichtig – am Etikett...
So ist das auch! Deshalb habe ich die Etikettentwürfe für Juwel meinen Freundinnen vorgelegt, die alle keine Weinkennerinnen sind, und gefragt: Welches würdet ihr kaufen? Auch bei III Freunde habe ich das Etikett von meiner Grafikerin Mathilda Mutant entwerfen lassen, obwohl Joko und Matthias eine Agentur vorgeschlagen haben. Aber sie waren sofort überzeugt.
Gibt es irgendwas an dem Job, auf das Sie getrost verzichten könnten?
Die Bürokratie – sie nimmt überhand und steht in keinem Verhältnis! Ich muss praktisch acht Anträge ausfüllen, bevor ich mal einen alten Weinberg ausreißen und einen neuen pflanzen darf. Aber grundsätzlich habe ich keinen Alltag, weil wir so saisonal arbeiten. Im Sommer sind wir immer im Weinberg. Nach der Ernte beginnt die wichtigste und spannendste Phase: der Keller. Im Januar ist es ruhiger, dann gehen international die Veranstaltungen los.
Ihre Adresse ist „Ausserhalb 9“. Wie fühlt es sich nun an, ein Leben „außerhalb“ der Stadt, des Trubels gewählt zu haben?
Alles richtig gemacht. Ich war ja schon weg, und ich bin für die Arbeit auch viel unterwegs, wie jetzt hier zum Interview. Ich begegne ständig neuen Menschen und Kulturen. Ich trage unseren Wein auch nach draußen in die Welt. Es ist total positiv, wenn man da auch mal seine Ruhe hat. Alles ist so schnelllebig. Man muss sich auch mal wieder mit beiden Füßen ankern und wahrnehmen, was man alles hat. Ich habe definitiv den Jackpot.
Seit 2013 ist Juliane Eller Winzerin und Geschäftsführerin auf dem Weingut, auf dem sie aufgewachsen ist. Mit Namen und Gesicht steht sie für die Marke „Juwel – trockene Qualitätsweine aus Nordhessen“. Das Weingut bleibt ein Familienbetrieb. Neben Juwel produziert sie mit Joko Winterscheidt und Matthias Schweighöfer den „III Freunde“-Wein. Das Ziel der Marke: jungen Deutschen den heimischen Wein näherzubringen.
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