Warst du in letzter Zeit mal auf einer Demo – oder überhaupt schon mal? Diese Form politisch Druck auszuüben, Wut auszudrücken oder Solidarität zu zeigen erlebt gerade ein Revival. Unsere Kollegin Lena Frings hat aufgeschrieben, warum sie demonstrieren geht – und was es mit ihr macht.
Wer sich an Wochenenden in Innenstädten aufhält, läuft zwangsläufig der einen oder anderen Demonstration über den Weg. Aus sicherer Entfernung wirkt diese Protestform machmachmal wie ein sonderbares Überbleibsel einer analogen Zeit. Menschen halten gebastelte Pappschilder in die Luft und bewegen sich als Gruppe langsam über abgesperrte Straßen. Dazu rufen alle die immer gleichen Slogans und irgendeine Lautsprecherstimme scheppert verzerrt. Doch der Eindruck, Demonstrationen seien veraltet und träge, täuscht.
Themen unserer Zeit
Auf der Straße trifft man auf die großen Themen unserer Zeit. Wer sich dicht genug heran wagt, muss eine innere Haltung zum Anliegen der Demonstrierenden findet. Man begegnet Menschen, die sich um den Klimawandel sorgen, die der Ukraine zur Seite stehen oder man läuft kruden Querdenker:innnen über den Weg. Nur ein paar Straßen weiter demonstrieren Tausende dafür, dass Frauen im Iran in Freiheit leben dürfen. Ich habe dann manchmal das Gefühl, all diese Stimmungen aufzusaugen, die etwas darüber aussagen, in welcher Welt und in was für einer Gesellschaft ich lebe.
Gegen die Ohnmacht
Auf der Straße kann man schlechte Nachrichten nicht wegscrollen. Geschichten bekommen Gesichter. Kürzlich fragte ich eine junge Frau auf einer Solidaritätsdemonstration mit den Frauen im Iran, warum sie hergekommen sei. "Können Sie mich bitte anonym zitieren? Meine Familie lebt noch im Iran", waren ihre ersten Worte.
Meine Frage kam mir plötzlich dumm und naiv vor. Sie war auf der Straße, weil sie wahrscheinlich seit Wochen schlaflos war. Weil sich ihre Familie in Lebensgefahr befindet und ihr nichts anderes blieb. Sie demonstrierte gegen eine nicht ertragbare Ohnmacht. Sich zusammenzuschließen, kann dann im besten Fall empowernd wirken. Für die Menschen dort, aber auch für jene, die gemeinsam auf die Straße gehen.
Gemeinsame Ziele
Kurz darauf sprach ich auf einen jungen Mann an. Warum er hier sei? "Der Kampf gegen das Patriarchat ist etwas, was wir überall auf der Welt führen", sagte er. Er sei aus Solidarität mit Iraner:innen und queeren Menschen gekommen. Kürzlich wurden zwei queere Aktivistinnen im Iran zu Tode verurteilt. "Ich würde mir wünschen, dass die Menschen, die beim Christopher-Street-Day für ihre Rechte einstehen, sich auch die Zeit nehmen, hierher zu kommen", meinte er. Bei Demonstrationen gehe es auch darum, dass sich verschiedenste Menschen auf ein Anliegen einigen könnten.
Raus aus der eigenen Bubble
"Ich finde, Demonstrationen sind das einfachste Mittel zur Solidarisierung. Es ist ein sehr kleiner Invest für das, was sie Menschen im Iran gerade opfern. Nämlich ihr Leben", sagte eine andere Frau. Wir liefen ein Stück nebeneinander her. Sie selbst beschäftige sich viel mit dem Iran, da ihr Vater dort herkomme. "Vielleicht bekommen andere das auch nicht so mit, die nicht wie ich in einer Iran-Bubble sind."
Auch dafür sind Demonstrationen gut: Sie lenken die Aufmerksamkeit auf etwas, was sonst nur für einen Teil der Gesellschaft offensichtlich ist. Sie verleihen einer Thematik Gewicht. Wenn ich also losziehe, lasse ich zu, dass mich eine Thematik bewegt. Ich setze mich mit etwas auseinander, was mich sonst vielleicht nur indirekt betrifft. Dafür muss ich meine Comfort Zone und die eigenen vier Wände verlassen. Aber vielleicht macht es schlussendlich einen kleinen Unterschied – für die Sache natürlich, aber auch für mich selbst.