Der Mann hat eine Stimme wie dunkler Samt. Auch das macht es so verstörend verführerisch, wenn Tom Wlaschiha Bösewichte spielt, denn er lässt immer Chancen des Guten aufblitzen. Jetzt wird der "Game of Thrones"-Star 50 – und darf endlich den Helden spielen. Einen mit Schwächen und Hüftgold …
Dass ein deutscher Schauspieler als Versprechen gehandelt wird, international zum Star zu werden, kommt gelegentlich vor. Dass einer dann wirklich ein Weltstar wird, ist eher selten. Tom Wlaschiha hat genau das geschafft. Spielt er in den Serien "Game of Thrones", "Stranger Things" und "Das Boot" eher die düsteren Rollen, zeigt er sich jetzt in der deutschen Audible Original Podcast-Serie "Marvel’s Wastelanders: Star-Lord" (Start: 28. Juni) von seiner lustig-ironischen Seite – als Superheld in der Midlife-Crisis. Okay, Tom, wir wünschen nachträglich alles Gute zum 50.!
Alle lieben das "Marvel’s Wastelanders"-Universum, warum eigentlich?
Weil man sich darin verlieren kann. Die Figuren sind so skurril, liebenswert und verrückt, dass alle ihre Lieblingsfigur zur Identifikation finden.
Ist das nicht eher eine männliche Heldenreise, mit männlichen Fans?
Wegen "Game of Thrones" bin ich oft auf Comic-Conventions unterwegs, und es gibt tatsächlich genauso viele weibliche Hardcore-Fans wie männliche.
Du bist in der Podcast-Ausgabe Star-Lord, Devid Striesow Rocket Raccoon, eure Helden-Alter-Egos klingen, als seien sie in die Jahre gekommen.
Ja, sie sind weder körperlich noch geistig topfit. Sie sind rundlich und zynisch geworden. Von Superhelden erwartet man eigentlich mehr. Wir leben ihre liebenswerten Defizite und Schwächen voll aus.
Star-Lord klagt über Hüftgold. Wie geht es dir damit?
Ich versuche mich mit aller Macht dagegen zu stemmen. Ich bin von Natur aus eher faul, das Fitnessstudio sieht mich selten. Leider muss ich mittlerweile mehr trainieren; aber ich verfalle noch nicht in Panik. Ich habe in der Pandemie das Radfahren für mich neu entdeckt, daraus sind echte Touren geworden. Vor Kurzem bin ich mit einem Freund von München über die Alpen nach Venedig geradelt. So eine Tour killt jedes Hüftgold.
Kennst du Zynismus auch von dir selbst?
Ja, ich merke, dass ich mich da auch manchmal bremsen muss. Zynismus ist ein Schutzmechanismus.
Wann brauchst du diesen Schutz?
Wenn ich Themen schon oft diskutiert habe und mich trotzdem nicht verstanden fühle. Dann blocke ich ab und bin nicht mehr bereit, in die Auseinandersetzung zu gehen, aber Zynismus darf nie Überhand nehmen.
Das ist nicht die einzige Heldenkrise, die beiden landen in einer ziemlich dystopischen Welt. Spiegeln sich da die aktuellen weltpolitischen Krisen?
Ich bin privat ein politischer Mensch, aber ich bin nie auf die Idee gekommen, das zu vergleichen. Wir podcasten eine Fantasy-Welt.
Hörst du selbst auch Podcasts?
Ja, beim Autofahren. Ich höre Politik-Podcasts und History-Podcasts.
Ist es dir wichtig, Haltung zu aktuellen Themen zu beziehen?
Ich fühle mich nicht dazu berufen, Themen einzuordnen und finde, nicht jeder Schauspieler muss zu jedem Thema etwas sagen. Im Privaten vertrete ich aber schon offen meine Meinung.
Hast du selbst Krisen im Leben erlebt?
Es war ein langer Weg bis dahin, wo ich gerade bin. Aber ich habe die Krise nie als totale Krise begriffen. Es ist nicht alles von selbst gegangen in den letzten 30 Jahren, und mir ist auch nicht alles in den Schoß gefallen. Ich habe viel Energie investiert, bin als junger Schauspieler oft an Grenzen gestoßen. Aber das sind die Krisen, die jeder in meinem Beruf kennt. Wir glauben alle, wir müssten noch größere Sachen spielen oder denken: Mensch, für die Rolle wäre ich nun wirklich der Richtige. Und es gibt auch nicht den einen richtigen Weg, den man nur gehen muss.
Gibt es denn eine richtige Richtung?
Es hilft, bereit zu sein, ins Unbekannte zu springen, die Komfortzone zu verlassen und Netzwerke zu knüpfen. Die zweifelnden Momente gehören dazu. Zweifel sind wichtig, genau wie an Grenzen zu kommen und die dann zu überwinden, das ist die Herausforderung.
Was würdest du den Schauspieltalenten von morgen raten?
Ein realistischer Blick auf sich selbst schadet nicht. Frag dich: Was sehen andere in dir? Zig Aspekte spielen eine Rolle, wieso du oder ein anderer besetzt werden. Nimm’s nicht persönlich, nur so kannst du Frustration vorbeugen. Und vergiss nicht: Die Film- und TV-Branche ist ein Business! Es geht ums Geschäft. Die Kunst kommt ganz am Ende.
Wächst mit der Popularität der Druck?
Auf jeden Fall! Jeden ersten Tag an einem neuen Set bin ich wahnsinnig aufgeregt. Ich bin mir nicht immer sicher, ob ich das erfüllen kann, was von mir erwartet wird. Zu wissen, ich kann mich auf mein Handwerk verlassen, beruhigt mich.
Bist du eigentlich wirklich so schüchtern, wie du manchmal wirkst?
(lacht) Alles Fassade!
Musiker*innen von Billie Eilish bis Ed Sheeran lassen oft schmerzliche eigene Erfahrungen in ihre Lyrics einfließen, vermisst du das als Schauspieler?
Musiker und Musikerinnen stehen immer als sie selbst auf der Bühne. Ich stehe nicht als Tom Wlaschiha vor der Kamera, sondern in meiner jeweiligen Rolle. Wenn Schauspieler oder Schauspielerinnen ihre privaten Befindlichkeiten mit dem Beruf vermischen, sie öffentlich machen, finde ich das schwierig. Aber natürlich schöpfe auch ich beim Spielen aus meinen persönlichen Erfahrungen und Krisen.
Du bist am 20. Juni 50 geworden. Klopft die Midlife-Crisis bei dir an?
Wenn ich in den Spiegel schaue, bekomme ich das nicht richtig zusammen. Ich ignoriere diese Zahl. Ich bin gerade sehr happy, da, wo ich bin im Leben. Wo ich in zehn Jahren sein will, solche Pläne sind mir zu theoretisch, darüber denke ich nie nach. Ich stehe vor guten beruflichen Herausforderungen, und wie der Engländer sagt: Count your blessings!
Kolleginnen in deinem Alter beklagen den Mangel an Rollen und guten Drehbüchern, einige unterziehen sich Beauty-OPs. Haben es Männer leichter?
Wir müssen mehr Geschichten erzählen von, über und mit Frauen, die 40 plus sind. Wir leben in einer Gesellschaft, die älter wird, das muss auch filmisch erzählt werden. Schönheitsoperationen sind kein Thema, über das ich nachdenke, aber auch ich benutze mal ’ne Creme, nur für den Fall, dass es hilft. Natürlich muss sich beim Thema Look and Beauty noch einiges ändern, damit endlich der Druck, sich sogar unters Messer zu legen, verschwindet.
In deinen Rollen gibt es ein breites Spektrum an toxischer Männlichkeit, warum eigentlich?
Besetzungsagenturen scheinen das in mir zu sehen. (lacht) Den Nazi, den Bösewicht...
Was ist Männlichkeit für dich?
Weiß ich nicht, weil ich es noch nie für mich definiert habe. Ich will nicht in Klischees rutschen.
Hat sich die Wahrnehmung von Männlichkeit in deinen Augen verändert?
Mit neuen Jahrzehnten kommen neue Konventionen, und Menschen verhalten sich entsprechend. Wir denken heute, dass wir viel offener und liberaler sind als noch die Generation unserer Großeltern. Alles zu thematisieren, alles auszuleben ist trotzdem schwer. Auch in unserer Generation existieren noch Konventionen. Es hilft immer, sich dessen bewusst zu sein.
Du kommst aus einer sächsischen Kleinstadt in der ehemaligen DDR, lebst in Berlin, arbeitest global. Was ist Heimat für dich?
Heimat ist für mich der Ort, an dem ich mich fallen lassen kann, ganz bei mir bin und nicht performen muss. Heimat ist der Ort, an dem ich ohne Maske bin. Enge Freunde und Familie sind in Berlin, daher ist dieser Ort gerade Heimat für mich. Sprache, Dialekt, bestimmtes Essen spielen auch eine Rolle in der Erinnerung an mein Kindheitszuhause.
Jugend in den 80ern, da denke ich an Röhrenjeans, Skateboard, Walkman und die erste Spielkonsole. Du warst in der DDR. Woran denkst du?
An dasselbe, aber mit dem Unterschied, dass ich diese Dinge gern gehabt hätte. Ich erinnere mich an ein starkes Gefühl von Gefangensein in der DDR. Ich wollte weg und die Welt sehen.
Heute fliegst du einfach zu internationalen Drehorten …
Ans Ende der Welt zu reisen, fühlt sich bis heute oft noch surreal an.
Magst du den Aufbruch, das Kofferpacken, noch an deinem Beruf?
Schlimmer als Koffer packen ist Koffer auspacken. Mein Ziel ist, mich auf das Nötigste zu beschränken.
Hast du irgendwas immer dabei?
Also, mein eigenes Kissen reist nicht mit, aber immer ein gutes Buch.
Was hat dir da zuletzt richtig gefallen?
Ich bin ein großer Fan von Christian Kracht. Sein letztes Buch "Eurotrash" habe ich gerade gelesen und "A Little Life" von Hanya Yanagihara.
Was würdest du dem Teenager Tom von damals heute gerne sagen?
Ich bin eigentlich froh, dass ich beide politischen Systeme kennengelernt habe. Es war nicht ganz schlecht, dass damals nicht immer alles sofort verfügbar war. Das hat die Kreativität gefördert und das Träumen. Wir haben ein bisschen verlernt, auf die Erfüllung eines Wunsches auch mal zu warten.
Dieser Artikel erschien zuerst in EMOTION 7/23.