Dass das Urteil im Fall #roevswade aus dem Jahr 1973 gekippt wurde, schockiert: In den USA haben die Frauen jetzt nicht mehr automatisch das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch. Unsere Autorin sieht in der Entscheidung ein Desaster für die Frauenrechte.
#roevswade – in mehr als der Hälfte der US-Bundesstaaten könnten Abtreibungen illegal werden
Letzte Woche wurde in den USA das allgemeine Recht auf eine Abtreibung, das im Prozess #roevswade im Jahr 1973 festgeschrieben wurde, vom Supreme Court gekippt. Jetzt können die Bundesstaaten selbst entscheiden, ob und inwiefern sie Frauen Schwangerschaftsabbrüche ermöglichen.
Ein schrecklicher Schlag gegen die Menschenrechte der Frauen
UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet über die EntscheidungTweet
Ersten Schätzungen zufolge werden Abtreibungen in der Hälfte der US-Bundesstaaten illegal. Die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet bezeichnete die Entscheidung als "schrecklichen Schlag gegen die Menschenrechte der Frauen". Und sie hat recht. Dafür, dass Frauen alleine über ihren Körper bestimmen dürfen, haben Feministinnen auf der ganzen Welt lange gekämpft. Mit einem einzigen Urteil hat der Supreme Court jetzt dafür gesorgt, dass junge Frauen in den USA erstmals weniger Rechte haben als die Generationen vor ihnen.
Frauen müssen das Recht auf Abtreibung und Entscheidungsfreiheit haben
Eine höchstpersönliche Entscheidung wie die, ob man eine Schwangerschaft abbrechen möchte oder nicht, darf niemals eine politische oder gesellschaftliche Angelegenheit sein. Die Frage, ob, wann und unter welchen Umständen man Kinder bekommen möchte, ist etwas, das nur die betreffenden Personen etwas angeht. Genau diese Entscheidungsfreiheit, die vielen Frauen in den USA jetzt entzogen wurde, ist einer der Grundpfeiler für ein selbstbestimmtes Leben. Dass ich als Frau in Deutschland das Recht habe, selbstständig über meinen Körper zu bestimmen, ist für mich kein Privileg und nichts, wofür ich dankbar sein muss – sondern ein Grundrecht, das jeder Frau auf der Welt zustehen muss. Dass der weibliche Körper de facto immer noch als etwas angesehen wird, an dem die Gesellschaft ein Mitspracherecht hat, ist ein Fakt, der kaum zu ertragen ist. Niemand darf gezwungen werden, ein Kind auf die Welt zu bringen – oder aus Verzweiflung einen unsicheren Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen.
Ein Verbot verringert die Anzahl an Abtreibungen nicht, sondern macht sie gefährlicher
Denn ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen ist nicht nur ein persönlicher und unrechtmäßiger Eingriff in den höchstpersönlichen Lebensbereich, sondern auch ein Angriff auf die Gesundheit von Frauen. Die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" schätzt, dass weltweit jedes Jahr 25 Millionen Schwangerschaften unsicher abgebrochen werden – mehr als 22.000 Frauen und Mädchen sterben pro Jahr an den Folgen. Damit sind unsichere Abtreibungen einer der häufigsten fünf Gründe für Müttersterblichkeit. Ein Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen würde nicht zwangsläufig dazu führen, dass weniger Frauen abtreiben, sondern lediglich die Zahl der unsicheren Abbrüche erhöhen und damit die Gesundheit von Frauen fundamental gefährden, so die Organisation.
Mein Herz ist gebrochen
Michelle Obama über die Widerrufung des Urteils #roevswadeTweet
Die Verzweiflung und Wut US-amerikanischer Frauen sind groß
In den USA hat die Entscheidung des Supreme Courts eine Welle an Verzweiflung, Erschütterung und Wut ausgelöst. Die Autorin, Rechtsanwältin und ehemalige First Lady Michelle Obama schreibt: "Mein Herz ist gebrochen – in Hinblick auf die Jugendliche (...), die nicht in der Lage sein wird, die Schule zu beenden und das Leben zu führen, das sie will, weil der Staat ihre reproduktiven Entscheidungen kontrolliert, die Mutter, die mit einem nicht lebensfähigen Fötus schwanger ist und diesen austragen muss, (...), die Mitarbeiter:innen des Gesundheitswesens, die nicht mehr helfen können, ohne zu riskieren, ins Gefängnis zu kommen". Viele sorgen sich um die Zukunft ihrer Töchter. "Es ist wahrhaft unvorstellbar und entmutigend, meiner elfjährigen Tochter erklären zu müssen, warum wir in einer Welt leben, in der Frauenrechte vor unseren Augen zerfallen“, sagt Sängerin Mariah Carey.
In den USA ist die Mehrheit der Bevölkerung (58 Prozent) dafür, dass Frauen weiterhin das allgemeine Recht auf einen Schangerschaftsabbruch haben – nur 32 Prozent befürworteten letztes Jahr laut dem Meinungsforschungsinstitut Gallup, dass dieses Recht für ungültig erklärt wird.
Die Stigmatisierung von Frauen, die abgetrieben haben, wird weiter wachsen
Auch in Deutschland wird das Urteil aus den USA Auswirkungen haben – vor allem gesellschaftliche. Denn das Stigma, das immer noch auf Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, lastet, wird weiter wachsen. Eine gefährliche Entwicklung, die es mit allen Mitteln zu verhindern gilt. Ich bin in den Gedanken bei all den Frauen in den USA, die jetzt gezwungen sind, sich fundamentales Recht neu zu erkämpfen – aber auch bei all den Frauen hierzulande, die aufgrund der aktuellen gesellschaftlichen Stimmung verunsichert sind und Angst vor einer noch intensiveren Tabuisierung von Abtreibungen haben.
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