Geduld macht uns zu glücklicheren Menschen, meinen Wissenschaftler. Doch kann man sie auch trainieren? Tipps, wie ihr Ungeduld in den Griff bekommt.
Geduld kann man lernen, oder?!
Wie sie sich ärgert, wenn es nicht klappt. „Liebe Ampel, werd doch grün. LIEBE AMPEL, WERD DOCH GRÜN. Orrr!“ Dabei habe ich ihr hundertmal erklärt, dass unser Zaubertrick nur klappt, wenn man geduldig ist. Geduld ist aber nun mal ein völlig merkwürdiges und abstraktes Ding, wenn man erst drei Jahre alt ist wie meine Tochter. Geduld ist keine Option, wenn wir im Auto sitzen und das Kunststück nicht klappen will. „Liebe verdammte Mist-Ampel, werd doch endlich grün“, denke ich selbst, während sich meine Tochter wütend in ihrem Autositz hin und her wirft, vor Frust. Sie ist wie ich.
Ungeduld erzeugt Stress – in jeder Situation
Geduld war nie meine Stärke. Nicht im Straßenverkehr, nicht im Umgang mit mir selbst oder anderen. Deshalb kann ich vieles auch nur ein bisschen (Tennis, Klavier spielen, Gemüsebeete hegen), aber nichts so gut, dass ich daraus richtige Freude ziehen könnte. Ich gebe zu schnell auf. Der "Sofort-Kaufen"-Button auf eBay wurde für Menschen wie mich erfunden. Auch mit meinem Mann kann ich sehr ungeduldig sein – hauptsächlich dann, wenn er meine Gedanken nicht gleich errät. Und nicht zuletzt nerve ich mit meinem diffusen Drang nach "Nicht gleich – jetzt!" sogar meine Kinder.
Geduldige Menschen sind laut einer Studie gesünder
Dabei ist die Ungeduld ein sehr menschliches Dilemma. "Gegenwart versus Zukunft", umschreibt es Prof. Dr. Matthias Sutter, Wirtschaftswissenschaftler und eine Koryphäe in Sachen Geduldsforschung. Sein Buch "Die Entdeckung der Geduld" trägt den vielsagenden Untertitel "Ausdauer schlägt Talent" und zeigt anhand vieler Studien, dass geduldige Menschen in vielen Lebenslagen besser dran sind. Sie haben einen höheren Bildungsgrad, stehen finanziell besser da, sind gesünder. Aber wie werde ich geduldiger? Schließlich ist Geduld ein Mix aus genetischer Veranlagung und Erziehung (je zuverlässiger die Eltern, desto besser können Kinder warten, so die Forschung).
Geduld trainieren – funktioniert das?
Laut Sutter ist Geduld ein Gemisch aus Selbstkontrolle, Frustrationstoleranz und Ausdauer. Doch er bleibt vage darin, wie man diese so glücksbringende Eigenschaft aktiv trainieren kann. Je trauriger man ist, desto größer der Wunsch nach Belohnung, lerne ich in seinem Buch. Und er berichtet von Studien, die belegen, dass Menschen, die Dankbarkeit empfinden, am besten abwarten können. Also bloß nicht traurig sein, wenn man einen langen Atem braucht – und möglichst dankbar. Ich merke mir beides. Aber richtig handfest finde ich es nicht.
Die Gegenteile von Geduld, nämlich Wut, Empörung und Schuldzuweisung, haben Suchtfaktor
Also mache ich mich weiter auf die Suche. Auch das entpuppt sich als kleine Geduldsprobe: Das Internet wimmelt vor Coaches, die verschiedene Tipps propagieren – Ablenkungsmanöver bei Wartezeiten (Rechenaufgaben lösen!) und Achtsamkeitstrainings, die helfen, im Hier und Jetzt zu sein. Doch als ich auf Dr. Jane Bolton stoße, Professorin am Institute of Contemporary Psychoanalysis in Los Angeles, werde ich aufmerksam. Sie setzt bei der Wurzel des Übels an und nennt Ungeduld einen "Happiness Killer".
Man muss erkennen, dass die Gegenteile von Geduld, nämlich Wut, Empörung und Schuldzuweisung, Suchtcharakter haben.
Dr. Jane BoltonTweet
Deshalb kommen uns Sätze wie "Ich habe keine Zeit" so schnell über die Lippen. Und auch ich realisiere: Meine Ungeduld wird oft zum Reflex, wenn Dinge anders laufen, als ich sie mir vorstelle. Mein gutes Zeitmanagement erwarte ich automatisch auch von anderen. Was fatal ist, weil jeder ein individuelles Tempo hat. Schlimmer noch: Ich nehme das dann oft persönlich.
Ungeduld ist eher von unseren eigenen Erwartungen gesteuert, als vom Verhalten anderer
Und da greift Boltons zweiter Tipp: die eigene Einstellung gegenüber Unbehagen verbessern. "Viele von uns glauben, dass 'wohlfühlen' der einzige tolerierbare Status sei", sagt Bolton und ermutigt dazu, sich in nervigen Situationen immer wieder daran zu erinnern: "Das hier ist zwar ziemlich unbequem, aber tolerierbar." Ich realisiere: Nicht das Verhalten der anderen löst unsere Ungeduld aus, sondern vielmehr wir selbst mit unseren Erwartungen ans Leben. Boltons letzter Tipp: die Selbstgespräche ausschalten, die wir so leidenschaftlich führen, sobald wir gezwungen sind zu warten.
Wir sollten aufhören, uns einzureden, wie falsch das hier alles ist, wie unrecht die anderen uns tun – dann können wir das Gefühl auch loslassen.
Dr. Jane BoltonTweet
Tipp für Ungeduldige: Wartezeiten produktiv nutzen und Zeitmanagment dehnen
Als ich neulich gezwungen war, fünf Stunden auf einem Amt zu warten, war das für mich eine dieser Geduldsproben, bei denen ich mir am liebsten pausenlos die Haare gerauft hätte. Es handelte sich um eine komplizierte, aber wichtige Behördenangelegenheit, Abhauen kam nicht infrage. Also erinnerte ich mich an Boltons drei Schritte. Und erkannte: Ich hätte ahnen können, dass es länger dauert. Statt mich aufzuregen, tat ich etwas viel Produktiveres: ein paar Stunden meinen Gedanken nachhängen. Zum Beispiel darüber, wie easy es wäre, mein Zeitmanagement zu dehnen, wenn ich schon vorher weiß, dass ich nur begrenzten Einfluss habe. Die Sache mit meinen Kindern beispielsweise. Ein "gleich" ist da oft auch okay, wenn ich für bestimmte Dinge mehr Zeit einplane – wie fürs morgendliche Anziehen. Eine gute Idee, die ich seither immer öfter beherzige – und die mich tatsächlich entspannter macht. Und weil ich mich an diesem Tag auf dem Amt so sehr über meinen Einfall freute, passierte Erstaunliches: Die fünf Stunden Wartezeit fühlten sich höchstens wie vier an. Allerhöchstens.