Augenrollen von Kinderlosen, wenn eine Kollegin mit Kindern früher nach Hause geht, Naserümpfen von Eltern über diejenigen, die keinen Nachwuchs wollen ("Total egoistisch... und im Alter sind sie dann einsam") – Eltern und Kinderlose stehen einander häufig ablehnend gegenüber. Warum halten sie nicht einfach zusammen? Doch so einfach ist der Graben nicht zu überwinden, sagen zwei Expertinnen.
"Es hat immer Menschen mit und ohne Kinder gegeben – aber so stark wie heute war die Polarisierung noch nie", schreibt die Journalistin Sabine Rennefanz im "Tagesspiegel" zur Kluft zwischen Eltern und jenen, die sich ganz bewusst für ein Leben ohne Kinder entschieden haben.
Kluft zwischen Eltern und Kinderlosen: im Privaten, im Beruflichen, im Politischen
Der Graben, den sie beschreibt, zeigt sich in allen Bereichen, wo Eltern und Kinderlose aufeinandertreffen: Im Privaten, wo Kinderlose sich mit aufdringlichen Fragen zu ihrem Familienstand konfrontiert sehen und wo Eltern im Restaurant böse Blicke kassieren, weil ihr Kind weint. Im beruflichen Kontext, wo diejenigen ohne Kinder das Nachsehen in puncto Überstunden und Urlaubsplanung haben und deshalb wütend sind, wenn Eltern pünktlich Feierabend machen – die Eltern aber gleichzeitig fast daran verzweifeln, Familie und Karriere irgendwie miteinander vereinbaren zu können. Und auch im Politischen, wenn Kinderlose über die Erhöhung der Pflegeversicherung stöhnen und berufstätige Eltern keinen Betreuungsplatz finden.
Hier stehen sich also zwei Gruppen gegenüber, die Stigmata und Benachteiligung erfahren, beide auf ihre Art. Auf der einen Seite stehen da die Eltern, die – besonders auf Mütter trifft das zu – nachweislich strukturelle Benachteiligung im Berufsleben erfahren. Auf der anderen Seite bewusst Kinderlose, denen die Gesellschaft oft mit Misstrauen oder Vorurteilen begegnet. Und beide haben häufig das Gefühl, dass die jeweils andere Gruppe besser behandelt werden würde.
Dass es soweit kommen würde – und auch, dass sich diese emotionale Kluft über die Jahre vertiefen würde – prognostizierte der Familiensoziologe François Höpflinger schon im Jahr 2007. Weil schon damals abzusehen war, dass die Anzahl kinderloser Menschen zunimmt. Wenige Jahre darauf sagte er dem Schweizer Magazin "annabelle", dass das Thema Elternschaft vor allem zwischen Frauen für Spannungen sorge. Auch Sina Scheithauer, Coachin zu gewollter Kinderlosigkeit, nimmt das so wahr, wie sie EMOTION im Gespräch sagt. Sie hat sich bewusst dazu entschieden, keine Kinder zu bekommen.
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"Frauen sind erst 'richtig', wenn sie möglichst viele Rollen erfüllen"
Besonders die Erwartungen an Frauen seien immens, sagt sie EMOTION. "Ich erlebe, dass es Frauen schwer gemacht wird, egal ob sie sich für oder gegen Kinder entscheiden. An die Rolle als Frau gibt es gesellschaftlich gesehen riesige Erwartungen – und dadurch scheint es fast unmöglich, sich für einen Lebensweg zu entscheiden, der für einen selbst passt. Denn Frauen sind erst dann 'richtig', wenn sie möglichst viele Rollen erfüllen: die der Partnerin, Liebhaberin, Kümmerin, Karrierefrau. Und all das reicht auch erst aus, wenn sie außerdem Mutter ist." Diesen gesellschaftlichen Druck spürt Sina Scheithauer als bewusst Kinderlose. Sie findet: Jedes Lebensmodell verdient Respekt. "Menschen neigen grundsätzlich dazu, ihre Lebensentscheidungen fast schon reflexartig zu verteidigen. Da ist es wichtig, kurz durchzuatmen und sich zu fragen, 'Was hat denn die Entscheidung einer anderen Person, Kinder zu bekommen – oder eben nicht – mit meinem Leben und meinen Entscheidungen zu tun?'". Sina Scheithauer wünscht sich, dass sowohl Kinderlose als auch Eltern mehr Verständnis füreinander haben. "Wir sollten nicht in die Falle tappen, uns und unsere Herausforderungen dauernd zu vergleichen. Und stattdessen öfter fragen: 'Wie geht es dir? Kann ich dich irgendwie unterstützen?'"
Darf Care-Arbeit reine Privatsache sein?
Aber lässt sich der Graben mit Verständnis und Empathie so einfach überwinden? Die Journalistinnen Susanne Garsoffky und Britta Sembach haben vor wenigen Jahren ein Buch zum Thema verfasst. Ihre These: Eher nicht, denn Politik und Wirtschaft spielen Eltern und Kinderlose gezielt gegeneinander aus. Inwiefern? "Ganz offensichtlich wird es im wirtschaftlichen Kontext, in den Unternehmen", sagt Susanne Garsoffky EMOTION. "Jeder mit Sorgeverpflichtung – ob man sich um seine Kinder kümmert oder zum Beispiel um pflegebedürftige Angehörige – hat einen Wettbewerbsnachteil. Ein Unternehmen will natürlich am liebsten die ganze Person zur Verfügung haben. Also wird das 'Problem', die Verpflichtung, einfach ins Private gedrängt."
Die Kosten für Kinder werden immer privatisiert – aber der spätere Nutzen ist dann gesellschaftlich
Susanne Garsoffky, Journalistin und Autorin von "Der tiefe Riss"Tweet
Die Folge sei etwa, dass Angestellte mit Sorgeverpflichtung keine oder weniger Überstunden übernehmen oder nicht in Vollzeit arbeiten könnten, sagt Garsoffky. "Und dadurch, dass es kaum Karrieremöglichkeiten in Teilzeit gibt – obwohl bewiesen ist, dass Teilzeitkräfte mindestens so effizient wie Vollzeitkräfte sind – werden Eltern und Pflegende ganz automatisch aus diesem Karrierezirkel ausgeschlossen." Kinderlose, die beispielsweise keine Angehörigen pflegen müssen, springen dann ein. Und sind häufig skeptisch gegenüber Eltern, die nach Hause müssen. Susanne Garsoffky, selbst Mutter, hat Situationen wie diese unzählige Male erlebt, sagt sie EMOTION. "In meinem Bereich war ich die einzige Redakteurin, die kleine Kinder hatte. Dieses fehlende Verständnis war sehr präsent, wenn ich versucht habe, zu einer halbwegs vernünftigen Zeit nach Hause zu gehen, um meine damals kleinen Kinder noch zu sehen. 'Ach, du gehst schon aus dem Büro?'. Dabei war es natürlich nicht so, dass ich nach Feierabend nichts gemacht hätte." Garsoffky betont, dass Care-Arbeit nie bloß Privatsache sein dürfe, sondern immer auch eine politische Angelegenheit sei. Schließlich profitiert eine Gesellschaft auch von Kindern, den Steuer- und Rentenzahler:innen von morgen. "Die Kosten für Kinder werden immer privatisiert – aber der spätere Nutzen ist dann gesellschaftlich", sagt Garsoffky.
Den Graben zuschütten – aber wie?
Grundsätzlich, sagt Garsoffky, hätten sich Eltern und Kinderlose in den letzten Jahren, seit ihr Buch erschienen ist, bereits wieder angenähert. "Ich habe das Gefühl, dass durch den Fachkräftemangel und den demografischen Wandel sehr deutlich wurde, dass wir Kinder brauchen. Die Toleranz füreinander ist auch deshalb gestiegen. Der Graben ist aber immer noch da, keine Frage", sagt sie EMOTION.
Was getan werden muss, um ihn endgültig zuzuschütten? Aus gesellschaftspolitischer Sicht brauche es endlich einen funktionierenden Betreuungs- und Pflegeapparat, sagt Garsoffky – bessere Bezahlung für Erzieher:innen, mehr Kitaplätze, ein Ganztagsschulsystem, eine gesicherte Versorgung alter oder kranker Angehöriger. "Und was wir als Einzelpersonen tun können: Verständnis füreinander haben. Und, ganz klar, politisch Druck machen."
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