Sternenkinder sind in unserer Gesellschaft kaum sichtbar. Das zeigt sich beispielsweise auch am Mutterschutz. Tut sich da nun etwas?
Manchmal sind gesellschaftliche Einstellungen schon in unsere Sprache eingeschrieben. So spricht man im Deutschen etwa von „stiller Trauer“. Die Trauer soll so leise sein, dass sie niemanden stört. Dabei sei Trauern eigentlich laut und chaotisch und für jeden Menschen anders, sagt Maša Baltes. Sie ist Mutter von fünf Kindern – zwei von ihnen leben, die anderen sind Sternenkinder.
Es heißt auch „stille Geburt“, wenn ein Kind ohne Schrei und Lebenszeichen zur Welt kommt. Doch auch im Umgang mit Eltern von Sternenkindern (Eltern, deren Kinder vor, während oder kurz nach der Geburt verstarben) herrscht oft ein betretenes Schweigen. Genau das muss Maša gerade erleben: Weder im Plausch mit Bekannten, noch in öffentlichen Debatten oder im Arbeitsrecht ist Platz für ihre Trauer vorgesehen. Das Umfeld hat schließlich nie ein Kind gesehen. Und so erklärt sich auch, dass Frauen, die ihr Kind vor dem sechsten Schwangerschaftsmonat verloren, gleich am Tag darauf wieder auf der Arbeit erscheinen sollen – falls sie nicht von verständnisvollen Gynäkolog:innen oder Hausärzt:innen krankgeschrieben werden. Jedenfalls steht ihnen rechtlich derzeit kein Mutterschutz zu.
Übersehene Sternenkinder
Eigentlich kaum vorstellbar, dass die Thematik so übersehen ist, denn: Jede dritte Frau erleidet eine Fehlgeburt oder sieht sich mit anderen Komplikationen rund ums Kinderkriegen konfrontiert. „Nach und nach lerne ich immer mehr Menschen kennen, die plötzlich auf mich zukommen und sagen: Ich habe auch ein Sternenkind“, sagt Maša. Das Schweigen sei oft schwer zu ertragen. Ein Beispiel: Werden in einem Krankenhaus tagtäglich die Namen der Neugeborenen an eine Wand gepinnt, bleiben die Namen der verstorbenen Kinder außenvor.
"Nach und nach lerne ich immer mehr Menschen kennen, die plötzlich auf mich zukommen und sagen: Ich habe auch ein Sternenkind."
Gibt es ein Familienbuch, so können Eltern die Namen ihrer Kinder standesamtlich eintragen lassen – müssen sie aber nicht. Rechtlich wird die Geburt von Kindern, die vor dem sechsten Schwangerschaftsmonat versterben, gar nicht als Entbindung erfasst. „Auf dem Papier ist es nie passiert“, sagt Maša. Glücklicherweise gibt es mittlerweile Sternenkinderfotografen, die auf Wunsch Bilder der Kinder festhalten. Das kann wichtig sein, um Abschied zu nehmen.
Ein gigantischer Kontrollverlust
Als Maša vergangenen Sommer ihre Zwillinge in der siebzehnten Schwangerschaftswoche verlor, musste sie und ihr Partner sich um vieles selbst kümmern. Das ist beinahe unmöglich, wenn man sich eigentlich gerade wünscht, aufgefangen zu werden. Sie wandten sich an ehrenamtlich Vereine und bemühten sich um eine Krankschreibung. Oft wird den Vätern noch viel weniger Zeit zum Trauern zugestanden. Zum Glück griff ihre Familie ihnen unter die Arme, was nicht selbstverständlich ist. „Es ist ein gigantischer Kontrollverlust. Wenn man sich nicht gut informiert oder auskennt, ist man verloren“, so Maša.
Vielen Müttern von Sternenkindern sei außerdem nicht bewusst, dass ihnen eine „kleine Geburt“ zustehe, das heißt, eine Geburt auf natürlichem Wege. „Die Mütter werden zur Ausschabung geschickt und dann kommt es in den Krankenhausmüll und sie haben es nie gesehen“, sagt sie.
"Trauer ist laut und chaotisch und für jeden Menschen ein bisschen anders."
Maša hat jedoch eine emphatische Frauenärztin, die auch Psychologin ist. Nachdem diese in der Pränataldiagnostik keinen Herzschlag mehr finden konnte, war sie für das Elternpaar da. Auch habe sie Maša umarmt und gedrückt und ihr erklärt, dass es wichtig sei, dass sie die Kinder nun zur Welt bringe. Warum? Bei der Ausschabung bestehe ein großes Risiko einer Schwangerschaftspsychose, weil dem Körper plötzlich etwas entrissen wird.
Wann ist man schützenswerter?
Wo Kinder unsichtbar sind, sind Eltern es auch. Dabei haben viele der Mütter nicht nur mit Trauer, sondern auch mit den ganz konkreten körperlichen Strapazen der Geburt zu kämpfen. Auch Mašas Zwillinge sind auf natürlichem Wege auf die Welt gekommen. Maša hatte also Wehen, sie hat gepresst und hatte Milcheinschuss. Auch ihre Gebärmutter muss sich zurückbilden. Nun macht sie einen Rückbildungskurs – allein im Keller am PC. Denn anders als andere Mütter hat sie kein Recht auf einen Kurs. Mutterschutz, der ja dem Schutz der Mütter dienen soll, steht ihr und vielen anderen Frauen nicht zu. Sie fragt sich: „Wann ist man schützenswerter?“.
Petition und Klage
Rechtlich ist die Lage absurd. Zumindest aus Perspektive Betroffener, denn: Verliert eine Frau ihr Kind vor der 24. Schwangerschaftswoche und wiegt dieses tote Kind weniger als 500 Gramm, gilt es als Fehlgeburt. Das heißt, die Frau hat kein Recht auf Mutterschutz. Nur einen Tag später würde es sich rechtlich um eine Entbindung handeln und ihr stünden bis zu 18 Wochen zu. Aufgrund dieser unfairen Rechtslage fordern viele Frauen nun gestaffelten Mutterschutz, so auch Natascha Sagorski, Gründerin des Vereins für feministische Innenpolitik.
Nach einer Petition hat sie vergangene Woche gemeinsam mit drei anderen Frauen, vertreten durch einen Verfassungsrechtler Remo Klinger, eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. Seine erste Einschätzung: „Die aktuelle Regelung ist eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen Frauen, die nach der 23. Schwangerschaftswoche ein totes Kind zur Welt bringen.“ Manchmal muss Trauer erst laut werden, um gesellschaftlich toleriert zu sein. Höchste Zeit also, mit der Stille um ein so wichtiges Thema aufzuräumen.
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