Soziale Netzwerke bringen vermehrt Hasskommentare und -nachrichten hervor. Wie Betroffene damit umgehen können.
Journalistin Christine Finke erlebte Hass im Netz
Wer auf Wellen reitet, muss auch mit Sturm rechnen – so pragmatisch sieht Christine Finke (50), ihre Erfahrungen in den sozialen Netzwerken. Seit über zehn Jahren ist die Journalistin aktiv auf Twitter und Facebook. Ihren ersten "Aufreger", wie sie es nennt, hatte sie nach etwa vier Jahren. Doch der war nur eine leichte Brise im Vergleich zu dem, was die bloggende Mutter später erlebte. Christine schreibt auf Mama-arbeitet.de über ihr Leben als Alleinerziehende und hatte schon vor dem ganz großen Social-Media-Boom eine recht hohe Reichweite in den sozialen Netzen. "Das mag ich ja auch, das sind Wellen, auf denen ich gern surfe, denn ich möchte auf die Probleme von Alleinerziehenden aufmerksam machen." Vor einigen Jahren allerdings twitterte Christine Finke darüber, dass es doch an der Zeit sei, die Bundesjugendspiele in ihrer jetzigen Form abzuschaffen. "Dass da so ein Shitstorm ausbricht, damit hätte ich nicht gerechnet", sagt sie. Eine enorme Dynamik entwickelt sich, der kleine Beitrag wurde zwar auch begeistert bejubelt, aber auch oft hämisch kommentiert. "Das war sehr persönlich. Ich wurde als fett und faul bezeichnet und mein Sohn, von dem ich ja geschrieben hatte, erst recht." Medien wurden aufmerksam und damit auch noch mehr Menschen, die reagierten. "Das schlug so hohe Wogen, dass wir anonyme Briefe und Anrufe bekamen, das war wirklich nicht schön. Aber nach einigen Wochen war der Spuk dann auch vorbei."
Antworten provozieren neue Gegenreaktionen
Mittlerweile würde Christine Finke anders reagieren. "Ich habe am Anfang auf jeden Tweet und jeden Kommentar geantwortet. Aber das provozierte nur Gegenreaktionen. Heute würde ich das so nicht mehr machen. Da bin ich durch die neue Sache noch wetterfester geworden." Vor zwei Jahren erlebte die engagierte Mutter etwas, das über einen Shitstorm hinausging. "Ich hatte einen sarkastischen Kommentar zu sogenannten Männerrechtlern gemacht. Und darauf hin hat sich einer richtig an mir festgebissen."
Aus Kritik wurde organisierter Hass
Der Mann schrieb auf seinem Blog Artikel über Christine Finke, in denen er über ihr Sexualleben spekulierte, ihre Aussehen und ihre Kinder verspottete. "Das macht der noch immer. Und er hat Fans, das ist schon organisierter Hate. Aber ich schalte das stumm." Natürlich habe sie sich beraten lassen, was rechtlich möglich sei. "Doch eine Anzeige beim Staatsanwalt sei im Nichts verlaufen - das Verfahren wurde eingestellt. Es erneut mit einem teuren Anwalt zu versuchen, wollte sich die Alleinerziehende nicht leisten - das Risiko auf den Kosten sitzen zu bleiben, war ihr zu hoch.
Inzwischen gebe sie ihrem Verfolger einfach keinen Raum mehr. "Ich lese nichts und habe auch meine Freunde gebeten, ihn nicht weiter zu füttern." Verunsichert und genervt sei sie mittlerweile nicht mehr. "Ich habe beschlossen, dass solche Menschen ein Problem haben. Aber das hat nichts mit mir zu tun."
Männer greifen öfter im Netz an als Frauen
Doch was ist nun die richtige Strategie für den Umgang mit Menschen, die im Netz andere fertig machen möchten? Die Grünen-Politikerin Renate Künast besuchte einen Mann um mit ihm persönlich zu sprechen. Die Journalistin Dunja Hayali antwortet oft mit Humor, ruft auch mal direkt an – aber blockt auch auf Facebook einige der Hetzer.
Ein guter Umgang, findet Dr. Catarina Katzer vom Institut für Cyberpsychologie und Medienethik. Grundsätzlich müsse unterschieden werden zwischen Cybermobbing und einem Shitstorm, erklärt sie. Beim Cybermobbing kennen sich Opfer und Täter meist. Das Opfer wird bewusst herausgesucht und gezielt verleumdet, es werden private und peinliche Dinge in das Internet gestellt. Anders beim Shitstorm. Hier gibt es keine persönliche Beziehung. Ziel eines solchen Angriffes sind meist Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, so Katzer. "Angreifer sind meist Männer, die das Thema aufgreifen und ihre Meinung dazu meist heftig kundtun." Daraus entwickle sich dann ein digitaler Gruppenprozess mit hohem Ansteckungspotential. "Je mehr mitgemacht wird, desto weniger fühlt sich der Einzelne nicht wirklich verantwortlich. Denn vermeintlich denken ja alle so." Zum Opfer gibt es eine Distanz, der Mensch und dessen Gefühle werden nicht gesehen.
Was tun, wenn man selbst in einen Shitstorm gerät?
Sehr wichtig sind hier Freund:innen und persönliche Online-Kontakte, betont Dr. Catarina Katzer. "Betroffene sollten selbst am besten öffentlich gar nichts tun. Aber Freunde können wachsam das Geschehen beobachten und um Wahrung der Formen bitten und so für eine Gegenwelle sorgen. "Meist legt sich ein Shitstorm irgendwann. Wer allerdings wirklich bedroht oder beleidigt wird, sollte rechtlich vorgehen." Trotz zunehmender Berücksichtigung von Internet-Hass im Strafgesetz kommen Täter:innen jedoch noch zu häufig mit einem geringen Strafmaß davon, während die Opfer womöglich lange unter den Folgen leiden.
Was tun bei einem Shitstorm? Die Erste-Hilfe-Tipps von Dr. Catarina Katzer:
- Sofort dem Betreiber des Netzwerkes (Twitter, Facebook) melden.
- Beweise sichern durch Screenshots. Wichtig, falls es Beleidigungen oder Drohungen gibt, die rechtliche Schritte nötig machen.
- Gelassen bleiben und sich nicht provozieren lassen. Selbst nicht reagieren und eventuell bewusst offline gehen.
- Freunde und Online-Kontakte informieren und so eine Öffentlichkeit schaffen. Sie können als „neutrale“ Dritte auch im Netz dafür sorgen, dass Gegenstimmen sichtbar werden und den Betroffenen zusammenfassend schildern, was passiert, damit dieser geschützt wird.
- Legt sich der Sturm nicht oder nimmt mehr Dynamik an, die persönlich verletzend wird, erkundigen, ob es möglich ist, eine Strafanzeige zu stellen.
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