„Incels“ sind Männer, die keinen Sex und keine romantischen Beziehungen haben – unfreiwillig. Die Frauen haben Schuld daran, sagen sie. Die Incel-Szene ist mehr als nur Frauenhass ad absurdum – sie ist brandgefährlich.
Triggerwarnung: Dieser Artikel thematisiert sexuelle Gewalt.
Ein kurzer Ausflug in das Forum Incels.co: "Frauen wissen gar nicht, wie gut sie es haben. Sie bekommen auch bei einer Vergewaltigung einen Orgasmus und sagen, dass sie es nicht genießen. Ich lach mich schlapp" oder "Frauen auf Dating-Plattformen sind die niedrigsten der Niedrigen, wertloser Dreck", steht da. Und noch ganz andere Dinge: Manche der 13.000 Mitglieder äußern Selbstmordgedanken oder spielen mit der Vorstellung, Frauen umzubringen. Uff. Da kann einem ganz schnell schlecht werden. Und "Incels.co" ist nicht das einzige Forum, in dem sich misogyne Männer zusammenfinden und sich gegenseitig in ihrem Frauenhass bestärken. Es gibt eine ganze "Manosphere", also eine Szene im Internet, in der solche toxische Männlichkeit propagiert wird.
Dahinter stecken "Incels" – eine Abkürzung für "involuntary celibate men", also Männer, die unfreiwillig im Zölibat leben. Unfreiwillig soll heißen, sie behaupten, Frauen würden ihnen ihr biologisches Recht auf Sex verweigern. Hinter dieser Annahme steckt nicht nur ein höchst degradierendes Frauenbild, das Frauen zu reinen Sexobjekten macht, sondern auch ein selbstzerstörerisches Selbstbild: Incels denken, sie seien nicht gut genug, keine Frau wolle sie jemals haben. Ihren Selbsthass projizieren sie dann auf das weibliche Geschlecht: Frauen wären heutzutage viel zu selbstbestimmt und hätten zu hohe Ansprüche. Sie seien daher Schuld daran, dass Incels einsam sind.
Incels fühlen sich unattraktiv
"Incels betrachten sich als die größten Verlierer unserer Zeit: sie haben, so ihr Glaube, eine Niete in der 'genetischen Lotterie' gezogen und seien viel zu unansehnlich, um von Frauen überhaupt beachtet zu werden. Die einzige Empfindung, die Frauen unattraktiven Männern entgegenbringen können, sei nämlich Verachtung", schreibt Autorin Veronika Kracher, die sich jahrelang mit der Incel-Kultur auseinandergesetzt hat, in ihrem Buch "Incels". Heutzutage würden sich Frauen nur noch mit sogenannten "Chads" zufrieden geben, davon sind Incels überzeugt. Im Incel-Slang sind damit extrem "maskuline", durchtrainierte, attraktive Alpha-Männer gemeint. Für die vermeintlich unansehnlichen und schwachen Incels blieben dann dementsprechend keine Frauen, die sie abwertend als "foids" bezeichnen, mehr übrig.
Männliche Kränkung als Auslöser
Doch welche Erfahrungen können solch einen extremen Frauenhass auslösen? Der Soziologe Rolf Pohl hat sich ebenfalls jahrelang mit der Szene auseinandergesetzt und meint, dass viele Incels negative Erfahrungen, beispielsweise Mobbing, in ihrer Vergangenheit erfahren haben. „Manchmal genügt da nur noch eine Kränkung im Leben oder zum Beispiel eine subjektive Zurückweisung durch ein Mädchen oder eine Frau, die das Fass zum Überlaufen bringt und zur Radikalisierung führt", erzählt er im Gespräch mit EMOTION. Besagte Incel-Foren würden die Möglichkeit bieten, sich ziemlich schnell zu radikalisieren. "Weil es einfach sehr radikale Ansichten sind, die da vertreten sind. Und weil man sehr schnell ein antifeministisches Weltbild voller Frauenhass vermittelt bekommt, dem man sich anschließen kann. Wenn man sich als Teil von einer Gemeinschaft fühlt, dann verstärkt das die Kompensation von einer Männlichkeit, die sich beschädigt fühlt.“
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Zusammenhänge von Attentaten und der Incel-Szene
Laut Veronika Kracher kann der Kränkung, welche diese Männer erfahren, aus ihrer Sicht nur mit einem Mittel begegnet werden: "dem Krieg gegen Frauen, der bis zum Femizid reicht" (Femizid = Frauenmord). Tatsächlich liest sich in den Incel-Foren immer wieder Gewaltbereitschaft heraus. Mit Sätzen wie "Töte sie einfach" stacheln sich die Mitglieder gegenseitig in ihrem Frauenhass an. Alarmierend ist auch, dass es bei bekannten Attentätern Hinweise auf eine Teilhabe an der Incel-Szene gab. Zum Beispiel bei den Attentaten in Halle oder in Hanau. Während der Tat in Halle hörte der Mörder ein Lied aus der Incel-Szene, das als Hymne an Toronto-Attentäter Alek Minassian gilt, welcher im Jahr 2018 mit einem Auto zehn Menschen tötete. Auch er soll ein Incel gewesen sein, denn vor seiner Tat schrieb er auf Facebook: "The Incel Rebellion has begun". Elliot Rodger, der im Jahr 2014 an der Santa Barbara Universität ein Attentat beging, gilt ebenfalls als bekannter Incel.
Misogynie und Rechtsextremismus häufig eng verstrickt
Rolf Pohl schätzt die Szene als gefährlich ein und erzählt im Gespräch, dass weitere Attentate aus der Incel-Szene nicht unbedingt unwahrscheinlich seien. In der Amoklauf-Forschung gebe es einen "Ansteckungseffekt", also die Gefahr einer Nachahmung: Unter den Incels gebe es Helden, die angehimmelt und als Idole gefeiert würden, wie zum Beispiel Elliot Rodger. Pohl befürchtet, dass das nicht so schnell aufhören werde. Hinzu komme, dass der Frauenhass sehr häufig auch mit einer politisch rechtsextremen Orientierung verbunden sei. Über diese Zusammenhänge von Misogynie und rechtem Terrorismus schreibt auch die schweizerische Soziologin Franziska Schutzbach: "Am Beispiel der Incels, Pick-Up Artists und anderen zeigt sich nicht nur eine (teils gewalttätige) maskulistische Radikalisierung, es zeigt sich auch, dass Maskulismus und das Erstarken rechtsnationaler Positionen und Bewegungen miteinander verbunden sind". Es zeichne sich immer mehr ab, dass nicht nur Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus den Rechtspopulismus befeuern würden, sondern auch "Frauenverachtung, Antifeminismus /Antigenderismus und maskulistische Ideologien eine zentrale Rolle spielen".
Patriarchat als Auslöser für Incel-Gruppierungen
Sowohl Kracher als auch Pohl schreiben dem Patriarchat eine bedeutende Rolle in der Erstarkung der Incel-Szene zu. Frauenhass sei nicht nur ein Attribut der Incels, schreibt Kracher, sondern bezeichnend für unsere Gesellschaft. "Das Phänomen 'Incels' entsteht nicht in luftleerem Raum, sondern ist Resultat eines Systems, in dem patriarchales Anspruchsdenken, Misogynie und Gewalt gegen Frauen an der Tagesordnung sind".
Pohl sieht das ganz genauso. Um die frauenfeindliche Gruppierungen wie die Incel-Szene präventiv zu verhindern, müsste man schon im frühen Kindesalter ansetzen. "Im Prinzip geht es um die Verhinderung, dass wir immer wieder neue Generationen von Sexisten heranziehen", erklärt er. Sexismus sei die Grundlage für Ungleichbehandlung, die Feindseligkeit und den Hass gegenüber Frauen. "Wir müssen bei der Jungenentwicklung sehr früh schon aufpassen, besonders auch in der Schule". Pohl ist aber eher pessimistisch eingestellt, dass dies in Zukunft auch wirklich geschehen werde. Über die Pornografie, die Jungen über ihr Smartphone konsumieren, schlichen sich bei ihnen negative Frauenbilder ein. "Da muss man sicherlich präventiv sehr stark etwas machen, auch was den Unterricht und den geschlechtsbezogenen Sexualkundeunterricht in Schulen angeht". Konkret hieße das: "die Vermittlung eines paritätischen, egalitären, gleichberechtigen Geschlechterbildes". Genau das hat sich zum Beispiel eine Schüler:innengruppe aus Berlin zum Ziel gesetzt, die unter dem Namen "Keine Schule ohne Feminismus" gegen Sexismus im Lehrplan und im Schulleben kämpft.
Auch die Tatsache, dass Frauenhass in der deutschen Kriminalstatistik immer noch nicht klar benannt wird und beispielsweise frauenfeindliche Gewaltdelikte als "partnerliche Gewalt" oder "Onlinehass" kategorisiert werden, zeigt, wie fernab auch die Politik noch davon ist, patricharchale Probleme und Frauenhass überhaupt zu identifizieren. Pohl weist auch darauf hin, dass zum Beispiel das Phänomen des "Upskirtings", bei dem Frauen unter den Rock fotografiert wird, erst im vergangenen Jahr durch massiven öffentlichen Druck als Strafdelikt anerkannt wurde.
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