Julia Ebner spricht im Interview über ihr neues Buch "Radikalisierungsmaschinen", ihren Job als Extremismusforscherin und die Gefahr, die von Extremisten ausgeht.
EMOTION: Julia Ebner, wie kam es dazu, dass Sie hauptberuflich Extremisten verfolgen?
Julia Ebner: Bis zum Ende meines Masters hatte ich mich gar nicht auf Extremismus spezialisiert. Ich hatte mehr mit chinesischer Außenpolitik und politischer Ökonomie zu tun, aber als der IS immer mehr an internationalem Einfluss gewann, beschloss ich, den Fokus zu wechseln und schrieb meine Masterarbeit zu weiblichen Selbstmordattentäterinnen. Als dann 2015 die Pariser Anschläge im Bataclan stattfanden war ich Praktikantin bei der weltweit ersten Anti-Extremismusorganisation Quilliam, die von ehemaligen Islamisten in London gegründet wurde. Aufgrund meines persönlichen Bezugs zu Paris beschloss ich, mich längerfristig dem Thema zu widmen: Ich wollte verstehen, was Extremisten motiviert und wie wir sie wieder aus den radikalen Netzwerken herausführen können. Bald wurde klar, dass zusätzlich zur Gefahr dschihadistischer Anschläge auch ein steigender Hass auf ethnische und religiöse Minderheiten dazu führte, dass rechtsextremen Terror häufiger wurde. Seither arbeite ich mit Tech-Firmen und Sicherheitsbehörden in Europa und Nordamerika zusammen, um Radikalisierung und Terroranschläge zu verhindern.
Dieses Interview stammt aus dem aktuellen EMOTION-Magazin.
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Was macht unsere Gesellschaft so anfällig?
Unsere größten Schwächen haben sich in den letzten Jahrhunderten kaum verändert, ich denke die Suche nach Identität ist nach wie vor unser potentiell größter Schwachpunkt. Derzeit befinden wir uns in einer Reihe großer Identitätskrisen - von individuellen Maskulinitätskrisen (vor allem unter einer zunehmenden Zahl junger, weißer Männer) bis hin zu nationalen Identitätskrisen, die sich etwa in Form von Brexit, Trump und der AfD-Erfolge zeigen. Diese Krisen werden in den Echokammern der sozialen Medien noch verstärkt. Das nutzen politische wie extreme Akteure für ihre Zwecke — die einen für ihre Identitätspolitik, die anderen für die Rekrutierung in exklusive Gruppen, die andere Menschen aufgrund ihrer rassischen, religiösen oder sexuellen Identität ausgrenzen und diskriminieren. Projekte zur Förderung inklusiver Identitäten und gesellschaftlicher Solidarität stehen in Zeiten eines raschen demographischem und noch rasanterem technologischen Wandel vor riesigen Herausforderungen.
Der gefährlichste Trend, den wir im Moment beobachten können, ist die schrittweise Verschiebung des öffentlich Sagbaren und die Normalisierung von extremen Ideologien im politischen Diskurs.
Julia Ebner, ExtremismusforscherinTweet
Warum sind Sie Sie so gut in Ihrem Job? Welches sind Ihre besonderen Skills?
Ich habe mich nicht davon beeindrucken lassen, was laut Ratgebern für eine erfolgreiche Karriere (was auch immer das heißen soll) erforderlich ist, sondern mich (fast) immer auf meine Stärken, Leidenschaften und Werte konzentriert. Statt wie die meisten meiner Kollegen nach dem Wirtschaftsbachelor in die Beratung zu gehen oder mit Wirtschaftsstudien weiterzumachen, beschloss ich nach China zu gehen und meinem Interesse an Internationalen Beziehungen zu folgen. Als es in meinem ersten Job beim Anti-Extremismus-Think Tank Quilliam keine Finanzierungsmittel für das Projekt zu reziproker Radikalisierung gab, beschloss ich in meiner Freizeit zu dem Thema zu forschen, was zu meinem ersten Buch "Wut" führte. Als ein Rechtsextremist unser Büro aufgrund eines Guardian-Artikels, den ich geschrieben hatte, stürmte und mein Boss mich infolgedessen unter dem enormen Druck einer rechtsextremen Hasskampagne zu einer öffentlichen Entschuldigung für meinen Artikel zwingen wollte, beschloss ich, lieber gekündigt zu werden und begann intensiver undercover in rechtsextremen Gruppen zu forschen. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob es meine Sturheit oder meine Naivität waren, die mir zum Erfolg verholfen haben.
Julia Ebner, 28, Expertin für Online-Extremismus und Bestseller-Autorin (neues Buch: „Radikalisierungsmaschinen“, Suhrkamp Nova, 18 €) spürt hauptberuflich Extremist*innen auf, etwa für die UN. Im Gespräch mit EMOTION verrät sie, wie es dazu kam und was sie antreibt.
Welches sind aktuell die größten Gefahren, die von Extremisten ausgehen? Vor allem im Hinblick auf unser aller Alltagslaben, in dem die sozialen Medien einen festen Platz eingenommen haben.
Der gefährlichste Trend, den wir im Moment in Realzeit beobachten können, ist die schrittweise Verschiebung des öffentlich Sagbaren und die Normalisierung von extremen Ideologien im politischen Diskurs. Das führt einerseits zur Verbreitung einer Rhetorik, verstärkt durch die Algorithmen der sozialen Medien, die Gewalttaten inspirieren kann. Wir haben in den letzten Monaten mit den Attentaten in Neuseeland, den USA und in auch in Deutschland gesehen, wie dieser Online-Hass sich auf die reale Welt auswirken kann. Diese Terroranschläge auf Minderheiten und Politiker machen Angst, genau wie es vor ein paar Jahren es die dschihadistischen Anschlagswellen taten. Aber viel bedrohlicher noch sind die gesellschaftlichen Polarisierungsprozesse, die damit in Gang gesetzt werden und an den Säulen unserer liberalen, demokratischen Systeme rütteln.
Ihr neues Buch „Radikalisierungsmaschinen“ soll ein Weckruf sein. Welche Denkanstöße liefert es?
Ich wollte in diesem Buch die Taktiken der Extremisten in den unterschiedlichen Radikalisierungsstadien sichtbarer machen, unter anderem auch, damit sich jeder online wie offline vor Manipulationsversuchen schützen kann. Dabei war es mir vor allem ein Anliegen, die sozialen Dynamiken und gesellschaftlichen Transformationsprozesse, die das Netz und die neuen Medien begünstigen, aufzuzeigen. Nur mit erhöhtem Bewusstsein zu diesen Themen können wir es schaffen, dass die neuen Technologien mehr positive als negative Veränderung in unserer Gesellschaft bewirken und nicht von radikalen Akteuren für zerstörerische, menschenfeindliche und antidemokratische Zwecke ausgenutzt werden. Wir alle können dabei helfen, dass extreme Gruppierungen die neue Online-Landschaft nicht in Radikalisierungsmaschinen verwandeln. Mein Buch soll nicht nur Erfahrungsbericht aus dem Innenleben solcher Radikalisierungsmaschinen sein, sondern auch Einblicke in die Manipulationstaktiken von Extremisten und Denkanstöße für Gegenstrategien liefern.
In ihrem neuen Buch "Radikalisierungsmaschinen" beschäftigt sich Julia Ebner mit der Frage, wie Exremisten die neuen Technologien benutzen und uns manipulieren. Als Extremismusforscherin stellen sich ihr folgende Fragen: Wie rekrutieren, wie mobilisieren Extremisten ihre Anhänger? Was ist ihre Vision der Zukunft? Mit welchen Mitteln wollen sie diese Vision erreichen? Um Antworten zu finden, schleust sich Julia Ebner ein in zwölf radikale Gruppierungen quer durch das ideologische Spektrum. Sozusagen von der anderen Seite beobachtet sie Planungen terroristischer Anschläge, Desinformationskampagnen, Einschüchterungsaktionen, Wahlmanipulationen. Sie erkennt, Radikalisierung folgt einem klaren Skript: Rekrutierung, Sozialisierung, Kommunikation, Mobilisierung, Angriff.
"Radikalisierungsmaschinen - Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren" von Julia Ebner, Suhrkamp Nova, 18 Euro, erschienen am 09.09.2019.