Reni Eddo-Lodge legt mit dem Bestseller "Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche" den Finger in eine Wunde, die wir in Europa gern verdrängen. Wir stellen euch die zentralen Botschaften in ihrem Buch vor.
Reni Eddo-Lodge ist eine erfolgreiche Journalistin aus London. Sie schreibt für renommierte Zeitungen wie "The Guardian", "The New York Times" oder den "Independent". Und sie erlebt Rassismus. Täglich. Denn Reni Eddo-Lodge lebt als Schwarze in einer weißen Welt – einer Welt, in der sich viele Weiße nie im Leben als Rassisten bezeichnen würden. Reni-Eddo Loge macht das wütend: Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die Diskriminierung insbesondere von schwarzen Menschen täglich stattfindet.
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Ihre Wut brachte sie dazu, ein Buch über das Thema zu schreiben: "Why I`m No Longer Talking To White People About Race" - so der Originaltitel - ist ihr erstes Buch und wurde ein internationaler Bestseller. Stars wie Emma Watson warben dafür auf Instagram, gerade wurde es mit dem British Book Award ausgezeichnet.
Was macht dieses Buch, das jetzt auf Deutsch erschienen ist, so brisant? Wir haben es gelesen und sehen vor allem diese fünf Gründe dafür:
1. Reni Eddo-Lodge arbeitet Kolonial-Geschichte auf
Der Kolonialismus ist ein Kapitel seiner Geschichte, das das stolze Großbritannien ebenso wie andere europäische Länder gern unter den Teppich kehren. Und das, obwohl so viele ihrer Mitbürger aus Ländern stammen, in denen Sklaverei, Unterdrückung und Ausbeutung an der Tagesordnung waren. Wer sich mit dem heutigen Rassismus auseinandersetzen will, muss sich auch mit den Gräueltaten unserer Vorfahren auseinandersetzen – so die Autorin, die der Geschichte der ehemaligen Kolonialmacht ein ganzes, augenöffnendes Kapitel widmet.
2. Sie zeigt, dass struktureller Rassismus Realität ist
Und wie ist die Lage in Europa für Menschen mit anderer Hautfarbe heute, im 21. Jahrhundert? Wie Rassismus sich in der Laufbahn eines schwarzen Mannes äußern kann, macht Reni Eddo-Lodge anhand eines beispielhaften Lebenslaufs plastisch.
So berichtet sie von einer Studie, die besagt, dass schwarze britische Studierende überdurchschnittlich oft schlechtere Abschlüsse haben. Und das liege nicht an ihrer Intelligenz, denn Eddo-Lodge führt an, dass schwarze Kinder mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als weiße Kinder eine weiterführende Schule besuchen.
Reni Eddo-Lodge zeigt viele weitere Alltagssituationen, in denen besonders Schwarze in Großbritannien benachteiligt werden: bei der Wohnungssuche, bei der Begegnung mit der Polizei, sogar bei der gesundheitlichen Versorgung. So würden laut einem Bericht des englischen Gesundheitssystems "NHS" besonders Menschen mit afrikanischem oder afrikanisch-karibischem Hintergrund zwangsweise in psychiatrische Kliniken eingewiesen. Eine weitere Untersuchung zeigte, dass Schwarze tendenziell höhere Dosen antipsychotischer Medikamente erhalten. Das korrespondiert mit der Haltung des Personals gegenüber Schwarzen, das diese grundsätzlich als „aggressiver, gefährlicher und schwieriger behandelbar“ einstuft.
Es sind viele Skandale, die täglich stattfinden, nicht nur in Großbritannien – und über die man reden müsse.
3. Sie entlarvt die Scheinheiligkeit der modernen Gesellschaft
Doch genau beim Reden sieht Reni Eddo-Lodge eines der entscheidenden Probleme. Sie beobachtet, dass gerade die Gesellschaftsschicht, die sich für gebildet, tolerant und weltoffen hält, das Problem des strukturellen Rassismus gern ignoriert. "Wir sind doch alle gleich, haben alle die gleichen Rechte", so lautet die typische Haltung. Doch damit halte man das System am Laufen.
"Der Mythos, dass wir alle gleich sind, leugnet das ökonomische, politische und soziale Vermächtnis einer britischen Gesellschaft, die sich historisch entlang der Hautfarbe organisiert hat. Tatsächlich sind wir, materiell gesehen, alles andere als gleich. Das Spiel ist unglaublich unfair. Es ist ein soziales Konstrukt, das erschaffen wurde, um rassistische Hierarchien und Ungerechtigkeit aufrechtzuerhalten."
Für Reni Eddo-Lodge ist es gerade deshalb wichtig, die Hautfarbe anzusprechen. Nur so könne man die rassistischen Strukturen im System der Welt sichtbar machen.
"Um ungerechte, rassistische Strukturen aufzulösen, müssen wir Hautfarbe sehen. Wir müssen sehen, wer von seiner Hautfarbe profitiert, wer von hautfarbenspezifischen negativen Stereotypen unverhältnismäßig stark betroffen ist, und wem aufgrund der Hautfarbe, der Klasse oder des Geschlechts Macht und Privilegien – verdientermaßen oder nicht – zugestanden werden. Hautfarbe zu sehen ist eine Voraussetzung, um das System zu verändern."
Eine wahre Feststellung, die nicht nur für Großbritannien gilt, sondern sich auch auf den Rassismus in den anderen europäischen Ländern übertragen lässt.
4. Reni Eddo-Lodge legt sich mit den Feministinnen an
Eigentlich fühlte sich Reni Eddo-Lodge den Feministinnen immer verbunden. Schließlich kämpften sie doch gegen die Unterdrückung eines Teils der Gesellschaft. Eddo-Lodge ging daher davon aus, dass Feministinnen sich genauso gegen die Diskriminierung von Menschen anderer Hautfarbe einsetzen würden. Doch ihre Erfahrung war eine andere: Der Feminismus, den sie erlebte, war weiß. "Für die Gleichstellung der Geschlechter musste gekämpft werden, aber die Hautfarbe konnte in der Ecke verkümmern." Wieder war das Problem, dass die Weißen auf Farbenblindheit setzen wollten.
"Weißsein wurde bei feministischen Veranstaltungen mit Samthandschuhen angefasst. Das sei nicht der richtige Ort, um über Rassismus zu diskutieren, beharrten sie. Dafür gibt es andere Orte. Aber das war keine Option für mich. Die schwarze Hautfarbe war genauso ein Teil von mir wie die Tatsache, dass ich eine Frau bin. Ich konnte beides nicht trennen."
Reni Eddo-Lodge ärgert es, dass der Feminismus in der öffentlichen Debatte so viel mehr Raum bekommt als der Kampf gegen die Diskriminierung von Menschen mit anderer Hautfarbe.
"Überlegt mal, wann ihr zum letzten Mal eine umfassende Beschreibung von strukturellem Rassismus in den Mainstream-Medien gehört habt. Dieses Thema bekommt in den UK-Medien einfach nicht die gleiche Sendezeit wie der Feminismus."
Reni Eddo-Lodge
Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche
Tropen, 18,00 Euro
5. Sie sieht die Verantwortung bei den Weißen
Mit diesen negativen Erfahrungen im Rücken möchte Reni Eddo-Lodge den Weißen kein schlechtes Gewissen machen. Die heutige Generation ist nicht die Generation, die an der kolonialen Geschichte beteiligt war – aber sie sei die, die etwas ändern könne am System.
Sie glaubt, "dass Weiße, die Rassismus zugeben, eine ungeheuer wichtige Rolle spielen. Diese Rolle können sie nicht ausfüllen, wenn sie sich in Schuldgefühlen ergehen." Ihr Rat: Weiße sollten Gruppen, die die entscheidende Arbeit tun, finanziell oder organisatorisch unterstützen. Oder in heiklen Situationen als Unbeteiligte einschreiten. Sich in exklusiv weißen Umfeldern für antirassistische Anliegen einsetzen.
Reni Eddo-Lodge fordert:
"Weiße, ihr müsst mit anderen Weißen über Hautfarbe sprechen. Ja, ihr werdet vielleicht als radikal abgelehnt, aber ihr habt nur wenig zu verlieren."
Reni Eddo-Lodge auf Lesetour:
23. März, Köln (ausverkauft)
25. März, Hannover
26. März, Zürich
27. März, Berlin
Weitere Infos zu den Lesungen auf der Website des Klett-Cotta Verlags.