Dorothea Wierer ist einer der größten Stars im Biathlon-Zirkus, sie hat fast alles erreicht, was es in diesem Sport zu erreichen gibt. Wie bringt sie da die Motivation auf, immer weiter hart zu trainieren? Wie geht sie mit Spekulationen über ihr Karriereende um? Und was macht sie in ihrer Freizeit am liebsten um runterzukommen? Im EMOTION-Interview gibt die Italienerin Einblicke in ihr Leben – auch abseits der Rennstrecke.
Ihre morgendliche Trainingseinheit im Antholzer Biathlonstadion hat Dorothea Wierer schon absolviert, als ich sie treffe. Im Sommer bereitet sich die 32-Jährige auf Rollerski auf die Wintersaison vor, auch wenn sie kein besonderer Fan ist: "Ich bin heuer übel gestürzt, schau, hier sieht man noch die Narbe", sagt sie und zeigt mir einen roten Striemen am Arm. "Völlig entstellt." Sie lacht.
Obgleich ihr Sommerbiathlon nicht so liegt, ist sie in der Disziplin jüngst Weltmeisterin geworden. "Gut fürs Ego, aber was zählt, ist der Winter", sagt Wierer, während wir gemeinsam zur idyllischen Steinzger Alm wandern (oder, bei ihrem Tempo: eher powerwalken).
Sie ist fokussiert auf ihre Zukunft als Sportlerin. Keine Spur von Müdigkeit – dabei hat sie in ihrer Sportart so ziemlich alles erreicht, was man erreichen kann, hat etwa als erste Italienerin überhaupt zweimal den Gesamtweltcup gewonnen und bei den Olympischen Spielen in Peking 2022 eine Bronzemedaille geholt. Im Biathlon, in Deutschland immerhin die drittbeliebteste TV-Sportart nach Fußball und Formel 1, gehört sie zu den größten Stars; auf Instagram folgen ihr 600.000 Wintersportfans.
Und dann ist da ja nicht nur der Sport, sondern auch die Verpflichtungen als Werbetestimonial – etwa für ihre Heimat Südtirol als Ferienregion. Auch unseren Interviewtermin schiebt Dorothea zwischen Trainings, einen Abendtermin in Bozen und die Abreise zu einem Showwettkampf in den französischen Alpen.
Wie schafft sie das bloß alles? Wie findet man die Motivation, sich bei eiskalten Temperaturen auf die Rennstrecke zu begeben? Wie fühlt sich das an, wenn ab 30 die Spekulationen losgehen: Wie lange macht sie noch? Kann es Freundschaften unter Sportkonkurrentinnen geben? Und wie sehen Dorothea Wierers Pläne für die Zukunft aus?
All das besprechen wir auf der sonnigen Alm bei Kaspressknödeln, Skiwasser und eventuell einem kleinem Schnaps zum Kaffee.
EMOTION: Dorothea, wir beide sind gleich alt. Im Spitzensport gehört man mit Anfang 30 zu den "sehr erfahrenen Athletinnen", wie die TV-Kommentatoren sich ausdrücken, wenn sie ein mögliches baldiges Karriereende andeuten wollen. Ist es nicht furchtbar nervig, sich auf diese Art ständig mit dem eigenen Älterwerden auseinandersetzen zu müssen?
Dorothea Wierer: Schon. Die Fragen nach meinem Karriereende kommen eben immer und immer wieder. Ich wollte auch schon ein paarmal aufhören, aber dann hat es mir doch noch zu viel Spaß gemacht. Und so mache ich eben weiter! Aber es ändert sich natürlich, wie man in welchem Alter auf die eigene Karriere blickt.
Welches Biathlon-Alter hat dir am meisten Spaß gemacht?
Ich fand die Zeit toll, als ich 22, 23 Jahre alt war. Damals habe ich nichts gewonnen, aber ich hatte unheimlich viel Spaß unterwegs zu sein. Es ging noch lockerer zu im Weltcup. Im Biathlon-Sport steckte noch nicht so Geld, auf den jungen Athleten lastete noch kein gar so großer Druck. Wir haben auch viel trainiert und waren diszipliniert, klar – aber es gab auch mal eine Party am Rennort, die Stimmung war einfach cool. Das ist heute etwas anders, alles ist so wahnsinnig professionell geworden. Der Fokus liegt nur noch auf Selbstoptimierung.
Wie schaffst du es denn, dich nach so vielen Jahren noch zu motivieren?
Ganz ehrlich? Ich will einfach immer die Beste sein (lacht). Das treibt mich an: Mir selbst zu beweisen, dass ich gewinnen kann.
Hattest du diesen Ehrgeiz schon immer in dir oder ist der mit der Zeit gekommen?
Ich war schon immer so. Auch als Kind, ich mache diesen Sport ja schon ewig. Ich brauchte immer das Adrenalin beim Wettkampf. Ich habe mich im Training auch angestrengt – aber sobald ich mir die Startnummer bei einem Rennen übergestreift habe, habe ich dieses Kribbeln gespürt: Jetzt geht’s los, jetzt musst du alles geben. Und dann habe ich in den Rennen oft ganz neue Level erreicht.
Kann man sich diesen Biss antrainieren – oder muss man eben als Wettkampf-Typ geboren sein?
Ich glaube, das kann man sich wirklich nur bis zu einem gewissen Grad aneignen. Wenn du nicht von Natur aus gut mit Druck umgehen kannst, keinen Spaß am Wettkampf hast, dann bist du im Spitzensport einfach nicht zu 100 Prozent richtig aufgehoben.
Deine Biathlon-Karriere ist bislang sehr erfolgreich verlaufen, du bist für viele junge Sportler:innen ein Idol. Hast du selbst noch Vorbilder?
Lindsey Vonn! Was sie sportlich erreicht hat, ist Wahnsinn. Aber auch, wie sie ihr Leben nach der aktiven Karriere gestaltet, mit welchen Themen sie etwa in die Medien geht, gefällt mir.
Welche Pläne schmiedest du für deine Zukunft?
Ich baue gerade ein Haus – eine größere Herausforderung, als ich dachte! Manchmal wache ich nachts auf und muss an die Auswahl der Böden denken, schrecklich. Und ich denke schon über das Thema Familiengründung nach, lasse mich da aber nicht unter Druck setzen. Es ist ja zum Glück heute nicht mehr so, dass von Frauen erwartet wird, mit spätestens 30 schon zwei Kinder in die Welt gesetzt zu haben. Was für mich feststeht: Auf der Tour möchte ich keine Kinder haben. Du bist im Spitzensport so beschäftigt, die Regeneration macht den größten Teil des Erfolgs aus – ich weiß nicht, wie man das regeln soll, wenn man sich zwischen den Rennen um ein Kind kümmern soll.
Ist das nicht unfair, dass sich die männlichen Kollegen über diese Themen weniger Gedanken machen müssen? Da bekommen viele selbstverständlich schon während der aktiven Karriere Kinder.
Ja und nein. Es gibt auch Kolleginnen, die ihre Kinder mit zu den Rennen nehmen oder eben eine Betreuung organisieren. Für mich persönlich wäre das nichts, aber das muss jede Athletin für sich entscheiden. Prinzipiell finde ich, dass es im Biathlon-Sport schon sehr gleichberechtigt zugeht, Männer und Frauen bekommen etwa die gleichen Preisgelder. Also, es ist keine Sportart, bei der man sich häufig ärgert, wenn man eine Frau ist. Außer vielleicht, man hat seine Tage – da weißt du dann eigentlich schon, dass du das Rennen vergessen kannst, wenn quasi das "Timing" blöd ist.
Trotzdem gibt es auch im Biathlon Themen, mit denen sich nur Frauen auseinandersetzen müssen. Zum Beispiel, dass in den Medien häufig aus einer Konkurrenz-Situation ein "Zickenkrieg" gemacht wird. Wie gehst du damit um?
Das nervt natürlich und ist wirklich in jedem Sport so. Wir wissen ja aber, dass es nicht so ist. Die Konkurrenz im Sport ist immer da, bei Männern und Frauen. Wir sind alle ehrgeizig. Frauen sind manchmal vielleicht etwas komplizierter. Ich muss aber sagen, dass ich mich mit solchen Themen nicht wirklich auseinandersetze. Das hat nichts mit meinem Sport zu tun, das blende ich aus.
Die Fähigkeit bewundere ich! Wie schaffst du es, in deinem teilweise echt stressigen Alltag die Ruhe zu bewahren – arbeitest du mit Psychologen oder Mentaltrainern zusammen?
Nein, noch nie. Ich meditiere auch nicht oder sowas, mache höchstens mal ein bisschen Yoga. Ganz ehrlich: Wenn ich einen freien Tag habe und runterkommen möchte, dann bin ich oft so erschöpft, dass ich einfach mal auf dem Sofa liegen und nichts tun will. Dann schaue ich meine Lieblingsfilme – lauter Liebeskomödien, bei denen ich das Ende schon kenne, damit ich mich nicht aufrege (lacht).
Was unternimmst du sonst gern in deiner Freizeit als Ausgleich zum Sportlerinnen-Leben?
Ich interessiere mich sehr für Mode und gehe gern shoppen, treffe mich mit Freundinnen, im Sommer gern auch mal auf einen Aperitivo.
Hier auf der Alm wurdest du gerade schon wieder von Fans erkannt – passiert das oft?
Ach, hin und wieder, was ja auch sehr nett ist. Manchmal gibt’s natürlich auch schräge Situationen, wenn Fans mich etwa in der Bar erkennen, wie ich ein Glas Wein trinken. Nach dem Motto: Ohgottogott, sie trinkt Alkohol! Ja, hin und wieder muss man sich auch etwas gönnen und genießen! (grinst)
Ich muss dir noch eine Frage stellen, die mich seit Jahren umtreibt, wenn ich dich im Fernsehen sehe: Wie, bitte schön, kriegst du diesen perfekten Lidstrich hin, der bei Wind und Wetter sitzt?!
Der ist mit Permanent-Make-up tätowiert!
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