Einmal im Jahr – am 25.11., dem internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen– blickt die gesammelte Medienlandschaft auf die furchtbaren Zahlen zur Gewalt gegen weiblich gelesene Personen. Doch jeder Tag sollte ein Tag zur Bekämpfung dieser Gewalt sein. Wir haben mit einer Betroffenen gesprochen.
"Er hat sich immer so verhalten, als würde er mich besitzen. Egal was ich gesagt habe, wie ich mich verhalten habe – er fühlte sich provoziert und im Recht, wenn er mich angegriffen hat", erzählt Carina, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will. Ihr vollständiger Name ist der Redaktion bekannt. Sie beschreibt, was für viele Frauen in Deutschland Alltag ist: 143.604 registrierte Fälle von Gewalt in Partnerschaften gab es im Jahr 2021. Über 80 Prozent der Opfer sind weiblich.
Jeden dritten Tag wird in Deutschland ein Femizid begangen
Die Zahlen zeigen das Ausmaß der Katastrophe: Jede dritte Frau erlebt einmal in ihrem Leben sexualisierte Gewalt durch ihren (Ex-)Partner. Für 113 Frauen endete diese Gewalt im Jahr 2021 tödlich. Statistisch wird also etwa alle drei Tage ein Femizid in Deutschland begangen, eine Frau einfach deshalb getötet, weil sie eine Frau ist.
Auch Carina fürchtete die tödliche Eskalation: "Er ist Jäger. Als er einmal nachts nach einem Straßenfest ausgerastet ist, habe ich wirklich gedacht: Jetzt erschießt er mich." Dabei war er nach außen immer freundlich und zuvorkommend, hatte immer einen lustigen Spruch auf den Lippen. "Von seinem anderen Gesicht hat niemand etwas geahnt", sagt Carina, "besonders schlimm war es, wenn er getrunken hatte. Es gab Situationen, in denen er mich am Hals gepackt hat und mir gedroht hat meinen Hund umzubringen, wenn ich mich nicht so verhalte, wie es ihm passte."
"Er hat gedroht: 'Wenn wir uns das nächste Mal wiedersehen, dann wird was ganz Schlimmes passieren.'"
Als Carina beschließt, dass sie gehen muss, hat sie Angst vor einer Eskalation. Ihr Gefühl warnt sie zu Recht, denn der Moment einer Trennung ist empirisch der gefährlichste Zeitpunkt für Frauen.
Sie ruft ihre Eltern an, erzählt von ihrer Angst und sie planten ihre Flucht: "Als er zum Sport fuhr, packte ich meine Sachen. Doch er hatte gemerkt, dass ich nervös war, kam unerwartet zurück und ist völlig ausgerastet. Zum Glück waren meine Eltern da. Er hat gedroht: 'Wenn wir uns das nächste Mal wiedersehen, dann wird was ganz Schlimmes passieren.' Zum Glück habe ich diesen Menschen nie mehr wiedersehen müssen."
Doch nicht jede Betroffene hat die Möglichkeit und das soziale Netz, um sich privat Hilfe zu holen. Eigentlich sollte der Staat den Schutz vor Gewalt garantieren. Doch in der Realität fehlt es schon an präventiven Maßnahmen zum Opferschutz. Es gibt in Deutschland viel zu wenig Plätze in Frauenhäusern. Derzeit fehlen schätzungsweise 14.000 Plätze bundesweit. Dabei ist die Gewalt gegen Frauen statistisch kontinuierlich gestiegen. Für 2021 registrierte die kriminalstatistische Auswertung zur Partnerschaftsgewalt des BKA einen leichten Rückgang der Gewalt um 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Doch Langzeittrend sieht anders aus: in den letzten fünf Jahren stiegen die registrierten Fälle um 3,4 Prozent. Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt, politisch ist bisher wenig passiert. Immerhin will die Bundesregierung einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für die Finanzierung von Frauenhäusern schaffen. Dafür wird gerade verhandelt.
Patriarchale Gewalt: Die Welt muss hinsehen
Fest steht: Das Thema patriarchale Gewalt erfährt noch immer nicht die Aufmerksamkeit, die es braucht. Nicht zuletzt, weil es mit vielen Tabus behaftet ist: die gesellschaftliche Romantisierung von toxischer Eifersucht führt zu einem kollektiven Wegschauen.
"Es kann jede von uns treffen und es ist wichtig, Warnzeichen – wie zum Beispiel ein kontrollierendes Verhalten des Partners – ernst zu nehmen, denn so ein Mensch wird sich nicht ändern. Je mehr man sich distanziert, desto größer wird das Besitzdenken und die Eifersucht. Er wird sich immer mehr in seiner Ehre verletzt fühlen und es kann jederzeit zu spät sein", appelliert Carina. Es ist unabdingbar, dass wir hinschauen, um Frauen schnell Hilfe anbieten zu können. Es ist ebenso unabdingbar, dass die Politik Geld in die Hand nimmt und endlich ausreichend Frauenberatungsstellen und Frauenhausplätze sicherstellt. Jeder Tag ist ein Tag, an dem wir gegen patriarchale Gewalt kämpfen müssen.
Hilfe gibt es hier:
Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (https://www.hilfetelefon.de) ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Nummer: 08000 116 016. In bedrohlichen Situationen gilt: Sofort den Notruf der Polizei 110 wählen. Dabei muss es noch nicht zu körperlicher Gewalt gekommen sein. Es reicht, dass die Situation als bedrohlich empfunden wird.
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