Stress ist nicht nur für Erwachsene schädlich, besonders dramatisch wirkt sich ein Burn-out bei Kindern aus. Wie Eltern den Kindern den Druck nehmen können, verrät Kinder- und Jugendexpertin Silke Krämer.
Burn-out bei Kindern – wenn der Stress im Kinderzimmer ankommt
Wenn negative Gefühle Überhand gewinnen und über einen längeren Zeitraum andauern, bedeutet das Stress für den Körper. Dauerstress kann zu einem Burn-out Syndrom führen. Die Kinder- und Jugendexpertin Silke Krämer beobachtet genau das bei vielen Kindern, die zu ihr in die Praxis kommen.
Was können Eltern tun, um ihren Kindern den Druck zu nehmen?
Früher hatte ich bei dem Gedanken an Burn-out sofort das Bild vor mir, wie eine schicke Kostümträgerin mit Laptop und Handy in der Hand ihr flottes Auto besteigt, um zum nächsten Termin zu rauschen – die Frau kann übrigens problemlos durch das männliche Pendant ersetzt werden.
Heute sehe ich die 8-jährige Luisa mit hängenden Schultern durch meine Praxistüre schlappen und weiß: Der Burn-out ist schon ganz weit unten angekommen!
Und ich bin mir sicher: Die wenigsten da draußen denken dabei an den 11-jährigen Jungen mit den großen dunkelbraunen Kulleraugen, der mit gesenktem Kopf vor mir sitzt oder an den ADHSler, der doch bitte endlich mal Ruhe geben soll!
Denn wer bringt „Burn-out“ schon mit Kindern in Verbindung?
Eine unbeschwerte Kindheit war gestern
Luisa kommt also zu mir zur Türe herein und lässt sich direkt auf mein großes Sofa plumpsen anstatt auf dem Stuhl Platz zu nehmen. Sie stöhnt und sagt: „Boah, das war heute wieder ein ätzender Tag!“
Luisa berichtet mir von ihrem langen Schultag und der Kernzeitbetreuung. Sie erzählt, dass es Zoff mit dem Mädchen aus ihrer Klasse gab, mit dem sie oft Ärger hat. Eine schlechte Note in Mathe bekam sie auch zurück.
Sie ist enttäuscht und fühlt sich ungerecht bewertet: „Mama wird bestimmt wieder meckern und Papa auch. Der hat nämlich am Wochenende mit mir gelernt.“
Ausgeschlafen ist sie nicht, weil sie ewig nicht einschlafen konnte.
In der Kernzeit wollte sie ihre Ruhe, doch dafür ist kein Raum vorgesehen und es ist laut. In der Leseecke soll man lesen, in der Bastelecke basteln und in der Spielecke ist nicht genug Platz zum Dösen. Die eigenen Bedürfnisse lassen sich in der sowohl zeitlichen als auch räumlich vorstrukturierten Umgebung nur bedingt befriedigen.
Während Luisa mir das erzählt, sitzt sie keine Sekunde still auf dem Sofa. Sie lässt sich kopfüber über die Lehne hängen, rollt auf den Boden, krabbelt wieder hoch, fläzt sich auf die Seite, schnullert an einer Haarsträhne und wippt die ganze Zeit dabei mit dem Fuß auf und ab. Sie wirkt auf mich innerlich total unruhig, hibbelig und gleichzeitig völlig erschöpft und leer.
Es war 17 Uhr und aus ihrer Sicht war an diesem Tag nichts Schönes passiert. Morgen würde es vermutlich ähnlich werden und übermorgen genauso. So fühlt sich jede Woche gleich an.
Sie hat keine Lust mehr auf ihre Klasse, auf ihre Schule und keine Energie für anderes übrig.
Luisa leidet unter Notendruck, Streit mit Mitschülern und den langen Schultagen samt Nachmittagsbetreuung. Außerdem hat sie häufig Ärger mit ihren Eltern wegen der Hausaufgaben und Medien-Zeit.
Luisa erzählt mir, dass sie gerne mehr Sport machen möchte. Früher war sie im Schwimmverein.
Einerseits fehle ihr die Bewegung, so sagt sie, doch wenn sie gegen 16 Uhr an einem langen Tag nach Hause kommt, möchte sie nur noch chillen. Sie legt sich dann mit einem Snack aufs Sofa – am liebsten vor die Glotze - und hat erst einmal auf nichts Lust. So schlittert sie mitten in den Teufelskreis hinein.
Dauerstress – kein Ende bis zum Abi?!?
Andere Kinder, die zu mir in die Praxis kommen, sind noch in der Phase, in der sie krampfhaft versuchen, allen Anforderungen Stand zu halten. Mit diesen Kindern ist es schwierig, nachmittags überhaupt einen Termin zu finden, weil sie so ausgebucht sind.
Die für den Stressabbau so wichtige körperliche Aktivität bleibt in Luisas Alltag völlig auf der Strecke, weil sie sich am Spätnachmittag zu nichts mehr aufraffen kann.
Die Mischung aus Bewegungsarmut, dem Gefühl, den ganzen Tag mehr oder weniger fremdbestimmt zu sein sowie schulische Überforderung führen Luisa in die Antriebslosigkeit.
Luisa hätte gerne nachmittags mehr Ruhe für sich, um die vielen Eindrücke und den Lärm vom Vormittag zu verarbeiten. Dann könnte sie sicherlich den Nachmittag noch für einen gesunden Ausgleich nutzen, der ihr das Gefühl gibt, ein schönes Leben zu haben. Stattdessen möchte sie nachmittags die bequeme Haltung „entertain me“ vor dem Fernseher oder der Konsole weiter ausleben. Das wiederum führt zu noch mehr Stress, nämlich mit ihren Eltern.
Woher kommt der Druck?
Viele Eltern wenden sich an mich, weil sie das Gefühl haben, ihre Kinder seien unglücklich. Sie nehmen besorgniserregt eine Veränderung wahr, von der sie oftmals nicht wissen, wie sie einzuordnen ist.
- Meist beginnt es ganz harmlos mit ein zwei schlechten Noten, die sich zunehmend häufen. Das führt dazu, dass sich betroffene Kinder noch mehr zum Lernen zwingen und dadurch zu viel von sich erwarten.
- Den Druck machen sich die Kinder teilweise selbst, doch haben sie feine Antennen und spüren genau, wie ihre Eltern zu dem Thema „schlechte Noten“ stehen.
- Lehrer geben ihren Schülern manchmal das Gefühl, faul und unzulänglich zu sein, um das Letzte an Leistungsbereitschaft aus ihnen rauszuholen.
- Und Eltern haben Angst, ihre Kinder könnten keinen anständigen Job ohne 1-er Abitur finden. Geht das eigene Kind nicht aufs Gymnasium ist das inzwischen ja schon fast ein Grund, sich zu schämen!
- Über die sozialen Netzwerke vergleichen sich Jugendliche noch mehr als früher untereinander und befürchten, nicht mithalten zu können.
Burn-out Symptome von Kindern
- Eltern beschreiben ihre Kinder als untypisch aggressiv und berichten von häufigem Streit mit Mitschülern und in der Familie. Manchmal zieht sich das Kind so sehr zurück, dass Freundschaften wegbrechen.
- Andere wiederum erwähnen wiederkehrende Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, Probleme beim Ein- und Durchschlafen sowie ein verändertes Essverhalten.
- Ein bröckelndes Selbstwertgefühl wird durch Angst vor Klassenarbeiten und dem generellen Gefühl „nicht gut genug“ zu sein verstärkt.
- Manchmal setzt sich der Leistungsdruck sogar in der Freizeit fort. Musik und Sport helfen zwar Stress abzubauen und sorgen für einen Ausgleich zur Schule. Auch fördern sie die kindliche Entwicklung in Bereichen, die in der Schule zu kurz kommen. Doch sogar hier besteht Gefahr, dass sich das Spielerische in Wettbewerb und Leistungsdruck wandelt – nicht selten von den Eltern selbst am Spielfeldrand provoziert.
- Die Kinder leiden darunter, dass sie sich und ihre Welt immer negativer wahrnehmen.
- Sie bewerten und achten sich selbst irgendwann nur noch für erbrachte Leistung.
- Dass zu einer gesunden und starken Persönlichkeit jedoch viel mehr dazugehört, wird gar nicht in Betracht gezogen –Vorbilder sprechen viel zu wenig über diese Qualitäten (Lehrer, Eltern, soziale Medien, Werbung – die Gesellschaft, wir alle!).
- Wie wird man ein wertvoller, anständiger und fröhlicher Mensch, der selbstbestimmt und verantwortungsvoll mit vorwärts gerichtetem Blick durch sein Leben marschiert? Definitiv nicht nur durch gute Leistung!
- Wenn Eltern das verinnerlicht haben, kann eigentlich gar nicht mehr so viel schief gehen.
Wie können Eltern ihren Kindern helfen?
Kinder, die in der Abwärtsspirale gefangen sind und sich und ihre Umwelt überwiegend negativ sehen, brauchen Hilfe. Wie eigentlich immer ist auch in diesem Fall das erste Trostpflaster eine Mischung aus Verständnis und liebevoller Zuwendung.
Was dem Kind bisher fehlte, muss aufgefüllt werden. Es braucht das Gefühl, geliebt und wahrgenommen zu werden als Person – einfach nur so, weil es da ist, weil es wunderbar ist und das genau so, wie es ist!
Leider fällt es Kindern in solchen Situationen manchmal schwer, sich den Eltern zu öffnen. Sie haben Angst sie zu enttäuschen. Wenn das so ist, hilft es, eine unabhängige professionelle Person mit ins Boot zu holen, die den Rettungsring auswirft.
Eltern können ihren Kindern in drei entscheidenden Bereichen helfen:
1. Das elterliche Mindset pimpen
Wie schafft man es, dem Kind das Gefühl zu geben, es „um seiner selbst Willen“ zu lieben? Vielleicht werden Sie als Eltern denken: „Das tun wir aber doch!“ Ja, bestimmt. Doch ist entscheidend, was beim anderen von diesem Gefühl tatsächlich ankommt.
Wie würden Sie sich fühlen, wenn ihr Partner Sie überwiegend mit beruflichen Fragen überhäufen würde?
Seien Sie ehrlich zu sich. Wie oft stellen Sie ihrem Kind Fragen wie: „Wann schreibt ihr die nächste Arbeit? Hast du viele Hausaufgaben auf? Habt ihr schon die Klassenarbeit zurück? Wie war’s heute in der Schule? Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht? Und Klavier geübt?“ – Gähn! Wundern Sie sich, wenn Schüler mir berichten, dass ihre Eltern nerven?
Wie wär’s stattdessen mal mit: „Was hat dir heute gut gefallen? Mit wem hattest du am meisten Spaß in der Schule? Hast du dich über etwas geärgert?“
Wenn die Fronten schon verhärtet sind hilft es, sich auf die Zeit zu besinnen, in der ihr Kind noch nicht in der Schule war. In diesem Lebensabschnitt ist die kindliche Lernkurve steil ansteigend. Es gab also quasi täglich Erfolge zu feiern und das Kind wurde über den Klee gelobt. Durch die Schule hat sich das verändert, was für Kinder frustrierend ist.
Erstellen Sie eine Liste mit liebenswerten Eigenschaften, die ihr Kind so besonders machen. Verinnerlichen Sie das. Bevor Sie das nächste Mal im Streit explodieren, rufen Sie die Liste gedanklich ab.
Wenn Ihnen die Einzigartigkeit Ihres Kindes bewusster ist, wird es Ihnen leichter fallen, wieder Vertrauen zu finden; Vertrauen in Ihr Kind und Vertrauen in die Zukunft – in seine Zukunft.
Glauben Sie mir: Wirklich nur die allerwenigsten Kinder landen tatsächlich unter der Brücke!
Seien Sie mutig und gestehen Ihrem Kind Freiräume zu.
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Von klein an sind Kinder Opfer von Dauerbespaßung, zum Konsumieren erzogen. Selbst im Sportverein ist die Bewegung angeleitet.
Gerade Kinder, die gelernt haben richtig zu spielen – und das auch alleine – entwickeln dabei Schlüsselqualifikationen wie z.B. Kreativität, Sozialkompetenz, Selbstorganisation, Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein. Im Spiel werden Alltagserfahrungen verarbeitet.
Außerdem fördern Ruhe und das Alleinsein die Fähigkeit, die Signale des eigenen Körpers wahrzunehmen. Erwachsene sind darauf getrimmt, sie bewusst zu überhören, um zu funktionieren. Immer früher verlangen wir das auch von unseren Kindern. Warum?
2. Der Umgang mit Schule und Lernen
„Du musst ja gar nicht die/der Beste sein, aber wir erwarten, dass du dein Bestes gibst.“
Mit solchen Aussagen gaukeln Eltern sich vor, sie würden keinen Leistungsdruck ausüben. Dass man aber nicht immer sein Bestes geben kann, weil man gerade „andere Sorgen“ hat oder schlichtweg erwachsen werden muss, ist normal.
Sie kennen ihr Kind und können abschätzen, ob es nur nach einer Ausrede sucht, oder wirklich nicht mehr kann. Wenn Letzteres der Fall ist, dann stellen Sie sich hinter ihr Kind und sprechen Sie mit dem Lehrer. Nur, weil die Schule etwas verlangt, heißt das noch lange nicht, dass es richtig oder gut ist. In solch einem Fall dürfen Sie die Verantwortung für Ihr Kind übernehmen und sich selbst den Druck von außen nehmen.
Lehren Sie Ihr Kind, Prioritäten zu setzen – auch das ist eine wichtige Fähigkeit für das spätere Leben.
Silke Krämer, Kinder- und JugendcoachTweet
Besonders am achtjährigen Gymnasium ist das Lernpensum zeitweise erschlagend. Das Kind muss lernen für sich Verantwortung zu übernehmen und die Notbremse zu ziehen. Das ist auch für das Berufsleben essentiell. Zu sagen: Ich gebe alles für die Mathearbeit, dieses Mal jedoch nicht so viel für das Nebenfach und riskiere eine schlechtere Note - das ist nicht faul sondern vernünftig.
Verwandeln Sie kostbare Familienzeit in Wohlfühlzeit. Versauen Sie die gemeinsamen Mahlzeiten nicht mit Schulthemen, sondern nutzen Sie sie für befruchtenden Austausch. Besonders beim Essen sollte eine entspannte Atmosphäre herrschen.
3. Auf die Ernährung achten!
Chronischer Stress führt zur vermehrten Ausschüttung der Stresshormone Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin.
Diese Hormone wirken sich unterdrückend auf das Immunsystem aus und sorgen gleichzeitig für eine Bereitstellung an Energie im Körper. Die Folgen sind ein erhöhter Blutzuckerspiegel, Bluthochdruck, ein Anstieg der Blutfettwerte sowie gleichzeitiger Abbau von Muskelprotein.
Ein weiteres Problem ist, dass Cortisol die Blut-Hirn-Schranke überwindet und somit negativen Einfluss auf Lern- und Gedächtnisleistung nimmt und depressive Verstimmungen sowie Ängste fördern kann.
Die richtige Ernährung fördert den Abbau von Stresshormonen im Blut und kann so dem Burn-out auf körperlicher Ebene entgegen wirken. Auf ausreichend Vitamine, Nährstoffe und Mineralien achten, Vollkornprodukte, Gemüse, Obst und Nüsse zum Knabbern zwischendurch reichen. Fettige, zuckerhaltige und ungesunde Lebensmittel lieber meiden.
Und zu guter Letzt: Weniger ist oft mehr! Das wird nicht nur Ihrem Kind, sondern auch Ihnen gut tun.
Über die Autorin
Silke Krämer ist Expertin für Jugend- und Familienfragen in Heidelberg. Sie hat 10 Jahre als Gymnasiallehrerin gearbeitet und hilft heute in eigener Praxis, wenn es Schulstress gibt und daheim die Fetzen fliegen. Mütter und Väter unterstützt sie dabei, sich den Herausforderungen des Alltags selbstbewusst zu stellen.
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