Helma Sick war eine der ersten, die sich vehement dafür eingesetzt haben, dass Frauen finanziell auf eigenen Beinen stehen. Für ihren jahrzehntelangen Kampf für finanzielle Gleichberechtigung ist sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet wurde. Wir haben sie vor kurzem gesprochen. Lest hier, was Helma Sick zu sagen hat.
Das Bundesverdienstkreuz wurde am Donnerstag, 20. Oktober, im bayerischen Familienministerium verliehen. Wir gratulieren zu dieser tollen Auszeichnung! Uns hat Helma Sick vor wenigen Monaten ein Interview gegeben – und wir waren beeindruckt von ihrer kämpferischen Art: Frauen, nehmt euer Geld selbst in die Hand! Diese Botschaft sendet Helma Sick schon so viel länger als wir bei finanzielle. Sie war in den Achtzigerjahren als eine der ersten Frauenfinanzberaterinnen in Deutschland eine Pionierin.
Ein langer Weg: Bescheiden und entbehrungsreich waren die Verhältnisse, in denen Helma Sick in den Vierziger- und Fünfzigerjahren im Bayerischen Waldes aufwuchs. Es war damals alles andere als selbstverständlich, dass Frauen einen Beruf hatten und Geld verdienten. Dem Kampf für finanzielle Gleichberechtigung hat sich Helma Sick bis heute verschrieben. Und was lehrt sie uns? Dass wir nicht aufhören dürfen zu kämpfen.
finanzielle: Sie waren eine der ersten, die sich dafür stark gemacht haben, dass Frauen beruflich und finanziell auf eigenen Beinen stehen. Und das in einer Zeit, in der viele als Ehefrauen und Mütter nicht arbeiteten. Wie sind Sie nur darauf gekommen?
Helma Sick: Ich bin 1941 geboren in einer kleinen Stadt im Bayerischen Wald. Ich war schon als junges Mädchen ziemlich gut im Beobachten von Menschen. Ich habe gesehen, dass viele Frauen unglücklich waren, aber sich nicht trennen konnten, weil sie kein Geld hatten.
Da war zum Beispiel eine Tante von mir, die Bäuerin war, mit einem Alkoholiker verheiratet, der sie einmal die Woche, wenn er aus dem Wirtshaus kam, grün und blau geschlagen hat. Er hat sie dann aus dem Haus geworfen, das Bettzeug hinterher, sie hat zwei Nächte im Stall geschlafen. Und dann ist sie zu ihm zurückgegangen, jedes Mal wieder. Irgendwann, da war ich 16, habe ich sie gefragt: Warum machst du das immer wieder? Der Mann ist doch so schrecklich. Da weinte sie ganz bitterlich und sagte: Aber ich habe doch nichts, ich habe kein Geld, ich habe keinen Beruf, wo soll ich hingehen? Das hat sich bei mir festgesetzt: Sie kann nicht weggehen, sie hat kein Geld.
Viel später, in meiner Zeit als kaufmännische Geschäftsführerin im städtischen Haus für misshandelte Frauen in München fiel mir auch da auf, dass viele Frauen nicht nur misshandelt worden waren, sondern auch kein eigenes Geld hatten. Manchmal war sogar der Entzug von Geld ein Mittel der Misshandlung. Frauen kein Geld zuzugestehen, hieß ja, ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken. Und spätestens da hat es bei mir Klick gemacht: Da stimmt was nicht, so geht das nicht!
Was haben Sie dann gemacht?
Ich habe während meiner Elternzeit ein Studium der Betriebswirtschaftslehre gemacht, ich habe in verschiedenen Finanzvertrieben hospitiert und bin regelmäßig zu Finanz-Seminaren nach Frankfurt gefahren. Alles fast reine Männerveranstaltungen, die über meine Idee einer Frauenfinanzberatung gelacht haben. 1987 habe ich dann meine Firma gegründet.
Helma Sick, die Grande Dame der Frauenfinanzberatung
Helma Sick wurde 1941 im Bayerischen Wald geboren. Sie war eine gute Schülerin, aber ihre Eltern erlaubten ihr nicht, Abitur zu machen: "Sie soll heiraten, dann ist sie versorgt." Damals schon weckte das ihren Kampfgeist: Helma Sick beschloss, es allen zu zeigen. Nach der Mittleren Reife arbeitete sie als Bürokraft in München und im Bayerischen Wald. 1970 zog sie endgültig nach München, in der gewerkschaftseigenen Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat arbeitete sie sich hoch bis zur Vorstandssekretärin. Später leitete sie als kaufmännische Geschäftsführerin das erste Münchener Frauenhaus.
Im Alter von 40 Jahren entschied sich Helma Sick während ihrer Elternzeit für ein Studium der Betriebswirtschaftslehre und gründete schließlich 1987 ihre eigene Firma Frau & Geld, eine Finanzberatung für Frauen, die bis heute besteht. Mit Frauenfinanzberaterinnen aus Hamburg, Berlin, München, Köln und Bremen schloss sie sich wenig später zu dem bundesweiten "Arbeitskreis der Finanzfachfrauen" zusammen.
Helma Sick schrieb mehrere Sachbücher und Finanzratgeber. Am bekanntesten wurde der Titel "Ein Mann ist keine Altersvorsorge" (2015), den sie zusammen mit der früheren Bundesfamilienministerin Renate Schmidt verfasste. 2018 erschien ihre Autobiografie mit dem Titel: "Aufgeben kam nie in Frage".
Helma Sick war verheiratet und hat einen Sohn.
Sie gehörten zu den ersten Finanzberaterinnen für Frauen in Deutschland. Wie haben Sie Kundinnen gefunden?
Die damals übliche Kaltakquise wollte ich nicht. Ich wollte niemanden ansprechen und zum Abschluss drängen. Das war mir unangenehm. Ich dachte immer, wenn die Leute das kriegen, was sie in ihrer Situation wirklich brauchen und wenn sie verstanden werden, dann muss das Geschäft auch funktionieren. Und so war es auch.
EIN MANN IST KEINE ALTERSVORSORGE
Ich habe Vorträge gehalten, in der ich aus meiner Vergangenheit und von meinen Erfahrungen erzählt habe. Ich habe über die Rolle von Frauen gesprochen und darüber, wie wichtig eigenes Geld ist. Mit meinen Vorträgen wurde ich bei Frauengruppen eingeladen, darüber kamen Frauen in meine Beratung.
Wer kam da zu Ihnen? Viele Frauen waren sicher in Notlagen. Wie konnten die wiederum für Sie zahlungskräftige Kundinnen sein?
Notlage heißt ja nicht, dass sie arm waren. Die ersten Kundinnen, die zu mir kamen, waren meist so um die 50 Jahre oder etwas älter, deren Mann gestorben war. Und plötzlich waren sie damit beschäftigt, das vorhandene Geld managen zu müssen, hatten sich aber vorher nie darum gekümmert. Da gab es Frauen, die konnten nicht mal eine Überweisung ausfüllen. Ich habe dann sehr bald angefangen, ein Netzwerk aufzubauen aus Steuerberaterinnen und Rechtsanwältinnen. Denn wenn es um bestimmte familiäre Angelegenheiten ging, die rechtlich geregelt werden mussten, war das notwendig.
Seitdem hat sich einiges getan. Ist der gesellschaftliche Wandel geschafft?
Sicher hat sich die Situation von Frauen verändert. Frauen sind heute berufstätig und verdienen eigenes Geld. Aber knapp 70 Prozent der erwerbstätigen Frauen arbeiten in Teilzeit, bei den Männern sind es nur sechs Prozent. Das spiegelt sich natürlich in der Rente wider. Mit dem Ehegattensplitting wird weiter mit Steuervorteilen gefördert, wenn der Mann verdient und die Frau zu Hause bleibt. Ich bin oft erschrocken, wie tief das sitzt. Schon vor 40 Jahren haben wir in Frauenkreisen verlangt: Abschaffung des Ehegattensplittings, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsschule. Das ist doch unerhört, dass in einem modernen, stinkreichen Land wie Deutschland immer noch an solchen Fossilien festgehalten wird. Warum ist dieser Mief bei uns noch in den Köpfen?
Welche Erklärung haben Sie dafür?
Wir haben eine unglückselige Vergangenheit. Wir haben die Nazi-Zeit gehabt, in der nur eine Mutterrolle für Frauen in Frage kam. Emanzipation war jüdische Ideologie, das war verfemt. Und dann kam etwas dazu, worüber in der Öffentlichkeit selten gesprochen wurde. Dabei war das der springende Punkt, der bis heute nachwirkt: Die deutsche Teilung. Die Adenauer-Regierung wollte die traditionelle Familie stärken – in Abgrenzung zur DDR, wo jede Frau einen Beruf haben sollte, eigenes Geld verdiente und nach einem Babyjahr wieder arbeiten ging. Da wurde ganz klar beschlossen: Wir wollen keinesfalls Verhältnisse wie in der DDR. Da ist dann das Ehegattensplitting entstanden. Und das hält viele Frauen bis heute davon ab, eigenes Geld zu verdienen. Das Ehegattensplitting kostet den deutschen Staat jährlich 20 Milliarden Euro. Und dennoch ist Deutschland das einzige europäische Land, in dem es noch ein Ehegattensplitting gibt.
TEILZEITARBEIT BEDEUTET TEILZEITRENTE
Aber Politik wird überwiegend von Männern gemacht. Und Männer sind die Profiteure vom Ehegattensplitting. Sie haben kein Interesse daran, es abzuschaffen. Das sehen wir jetzt wieder: SPD und Grüne haben eigentlich beschlossen, das Ehegattensplitting zu reformieren oder abzuschaffen. Die FDP will das nicht – gutverdienende saturierte Männer. Und deshalb fürchte ich, dass es wieder nichts werden wird.
Immerhin rückt das Thema finanzielle Absicherung und Altersvorsorge für Frauen immer stärker in den Fokus.
Ja, aber es gibt seit einigen Jahren deutlich erkennbar einen Rückschritt gerade bei gut ausgebildeten Frauen, der mich sehr frustriert. Akademikerinnen steigen aus ihrem Beruf aus und konzentrieren sich ganz auf ihre Familie. Und das nicht nur vorübergehend während der Elternzeit. Ich finde das ganz verhängnisvoll. All das, was wir Feministinnen über Jahrzehnte erarbeitet haben, wird wieder in Frage gestellt. Dabei sprechen die Scheidungsraten deutlich dagegen: In Großstädten wird jede zweite Ehe geschieden, flächendeckend jede dritte. Da kann ich doch nicht wieder ein Modell wählen wie in den 50er Jahren!
Aber wie kommt das denn?
Ich höre oft, dass sehr viele Frauen überlastet sind. Das zeigt sich auch darin, dass das Müttergenesungswerk wieder besonders gefragt ist. Ich glaube, das liegt daran, dass die jungen Frauen einen wahnwitzigen Anspruch an sich selbst haben. Sie wollen die ganz tolle Ehefrau sein, die unglaubliche Geliebte und die Super-Mutter. Und dann noch die Karrierefrau. Dazu immer gut aussehen, Yoga und Pilates machen und achtsam sein. Aber solche Ansprüche kann man gar nicht erfüllen! Haben Sie eigentlich schon einmal einen Mann gehört, der solche Ansprüche an sich selbst stellt? Da kann ich nur ganz frech sagen: Die Männer denken ja sowieso, dass sie alle Ansprüche erfüllen, auch wenn das gar nicht stimmt.
HOPE FOR THE BEST, PREPARE FOR THE WORST
Diese Ansprüche jedenfalls machen die Frauen kaputt. Es ist wichtig, ihnen zu sagen, dass sie das nicht alles zu 100 Prozent sein müssen. Wie der Kindertherapeut Donald Winnicott schon vor Jahrzehnten sagte: Man muss nicht eine supergute Mutter sein; es reicht, eine "hinreichend gute Mutter" zu sein.
Was können Frauen tun, um nicht in so eine Situation der Überforderung zu geraten?
Unbedingt weniger von sich selbst verlangen. Es ist fatal, wenn sie aus dem Beruf aussteigen, anstatt an ihren Ansprüchen Abstriche zu machen.
Auch heute noch übernehmen Frauen, auch wenn sie berufstätig sind, 80 Prozent der Haus- und Sorgearbeit. Da ist doch die Überforderung schon angelegt. Deshalb rate ich immer: Ehevertrag schließen. Nicht nur um die Vermögensverhältnisse zu klären, sondern um alltägliche Dinge zu diskutieren und schriftlich festzulegen.
LIEBER HEUTE UNROMANTISCH ALS MORGEN ARM
Frauen sagen mir oft: Die Liebe ist doch kein Wirtschaftsunternehmen. Das ist doch vollkommen unromantisch, gleich zu Beginn mit so etwas anzufangen. Ich sage immer: Man muss solche Dinge regeln, wenn die Liebe jung ist. Wenn der worst case eingetreten ist, kann man kaum noch was regeln. Dann ist der Wille oft nicht mehr da. Ja, nicht beim ersten Date, das ist klar, sonst gibt es kein zweites. Aber wenn man zusammenbleiben möchte, muss man solche Dinge regeln: Kinder, Hausarbeit, Rente…
Sie raten Frauen, ihr Geld anzulegen. Hat Sie selbst mal das Börsenfieber gepackt? Wollten Sie mal reich werden?
Ich habe immer in Aktienfonds investiert. Ich wollte aus meinem Geld etwas machen, um mal ein gutes Leben führen zu können und auch im Alter sorgenfrei zu sein. Das habe ich natürlich erreicht – ich wäre ja keine gute Finanzberaterin, wenn ich das nicht erreicht hätte.
Aber ich wollte nie stinkreich werden. Was soll Reichtum mir geben? Ich will keinen Porsche fahren. Für mich ist Geld ein Mittel unabhängig zu sein. Ich habe eine schöne Wohnung in einer Seniorenresidenz und ich bin Gott sei Dank gesund. Ich habe es jetzt so leicht und schön wie noch nie in meinem Leben. Das hat mir eigenes Geld ermöglicht.
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