Waldbaden, auf japanisch "Shinrin Yoku" soll uns entspannen – die Natur mit allen Sinnen wahrzunehmen tut unserem Körper und der Psyche gut. So geht's…
Waldbaden kann uns heilen – das sagen Studien
In Japan gilt Shinrin Yoku, übersetzt "heilsames Waldbaden“, schon lange als Medizin. Aber was ist Waldbaden eigentlich? Ein Spaziergang durch den nahegelegenen Forst? Bäume umarmen und sich am Knacken der Äste unter den Schritten erfreuen? Kann das tatsächlich digitalgeplagte Großstädter vorm Burnout bewahren?
Welchen Effekt hat Waldbaden auf unsere Gesundheit?
120 Minuten pro Woche im Wald haben einen positiven Effekt auf unsere Gesundheit. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Asthma, psychische Belastungen sollen sich verbessern, so die Ergebnisse der Studie von Gesundheitswissenschaftlern und Umweltpsychologen von der Universität Exeter aus dem Juni 2019.
Wichtig ist es, den Wald achtsam zu erleben. Schweigend durch den Wald zu gehen und alle Sinne zu benutzen. Die ganze Aufmerksamkeit gilt dem, was der Wald uns bietet.
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Waldbaden ist nicht nur in Japan Trend. Wie du den Wald nutzen kannst und deinen Wohlfühlort (am besten in der Nähe!) findest, erklärt die Natur-Therapeutin Sandra Knümann.
Waldbaden hilft nachweislich gegen Stress – aber wie geht die Natur-Therapie eigentlich?
EMOTION: Frau Knümann, Sie bieten seit über 25 Jahren Therapiestunden und Seminare in der Natur an. Muss man bei Ihnen eigentlich Bäume umarmen?
Nein, bei mir muss man überhaupt nichts. Wenn jemand Lust hat, einen Baum zu umarmen oder mit ihm zu sprechen, darf er das natürlich gern tun. Aber es gibt keinen Zwang, denn jeder hat wirklich seinen eigenen Zugang zur Natur.
Wie sieht denn eine Natur-Therapiestunde mit Ihnen aus?
Wir gehen erst einmal ein Stückchen schweigend zusammen. Die Klienten können dabei in sich hineinspüren, welches Thema für sie gerade eine Rolle spielt. Ein Klient hatte zum Beispiel großen Stress mit seinem Chef. Im Wald hat er dann versucht, diesem Stress genauer nachzugehen. Er hat ein Waldstück gefunden, wo es eine Mulde und einen kleinen Hügel gab, und hat mit Stöcken, Zapfen und Blättern die Hierarchien in seiner Firma nachgebaut. Am Ende sah er sich selbst ganz klein in der Mulde, der Chef war ein großer Fichtenzapfen, den er auf den Hügel gestellt hatte, weit über ihm. Erst da draußen im Wald ist ihm klargeworden, wie stark seine Unterlegenheitsgefühle sind, die ich dann glücklicherweise mit ihm zusammen bearbeiten konnte.
Hätte Ihr Klient nicht auch im klassischen Praxisraum darauf kommen können?
Nicht in dieser Weise. Viele meiner Klienten wollen auch nach draußen, weil es ihnen leichter fällt zu reden, wenn sie sich bewegen und nicht so frontal angeschaut werden. Die Natur hilft ihnen, sich zu öffnen. Depressive Menschen empfinden sich innerlich oft als leblos, sie sehen keinen Sinn in ihrem Leben. Die Natur konfrontiert sie mit ihrer Lebendigkeit, sie haben das Gefühl, gehalten zu werden und geborgen zu sein.
Sollen Ihre Klienten ganz allein Bilder finden, die für sie passen, oder geben Sie ihnen Hinweise?
Jeder kann nur ganz allein herausfinden, welche Bilder zu ihm passen. Bei schwierigen Entscheidungen biete ich aber manchmal an, eine Wegkreuzung als Metapher zu verwenden. Jeder Weg steht dann für eine Entscheidungsvariante. Indem der Klient beide Wege ein Stück weit geht und dabei aufmerksam auf die Umgebung und seine Reaktion achtet, gewinnt er häufig Klarheit. Wichtig ist, dass die Klienten mit einer offenen Haltung losgehen, ohne allzu konkrete Erwartungen. Plötzlich sieht man Bilder und Symbole, mit denen man gar nicht gerechnet hat und die etwas in einem klären können. Die Natur steckt voller Überraschungen – man muss sich nur darauf einlassen.
Warum ist der Kontakt zur Natur überhaupt so wichtig, wenn wir nach Entspannung suchen?
Weil sich die Aufmerksamkeit verlagert, sie fließt von meinen Sorgen und Befindlichkeiten nach außen, dadurch bekomme ich Distanz. Im Alltag sind wir meistens sehr fokussiert und zielgerichtet. Wir meinen, alles kontrollieren und im Griff haben zu müssen, wir kreisen um uns selbst, um unsere Probleme, die Aufgaben, die zu bewältigen sind. Wir glauben, immer eine Meinung zu allem haben zu müssen. Auf Dauer ist es aber sehr anstrengend, diese Ich-Spannung, wie es in der Psychologie heißt, aufrechtzuerhalten. In der Natur ist das nicht nötig, wir können uns treiben lassen, unsere Aufmerksamkeit ist nicht gerichtet, sondern darf umherschweifen. Dadurch haben wir auch mehr Zugang zu unserem kreativen Potenzial. Wenn wir ständig eine Aufgabe nach der anderen erledigen, leidet unsere Kreativität.
Ich habe heute den ganzen Tag am Schreibtisch gesessen und war nur kurz draußen, um einzukaufen. Habe ich aus Ihrer Sicht alles falsch gemacht?
Ich wäre da nicht so streng. Aber sicherlich ist es gut, wenn man sich den Kontakt zur Natur jeden Tag ein bisschen bewahren kann, wir Menschen sind ja selbst Natur und vergessen das häufig. Ich habe das Glück, dass ich den Wald gleich um die Ecke habe. Doch auch in der Großstadt gibt es Parks, Seen und Flüsse, wo man sich erholen kann. Wenn man nicht so viel Zeit hat, kann man zumindest den Blick auf ein besonderes Detail richten. Das können die blühenden Krokusse sein, die Knospen an den Bäumen oder die rötliche Wolke am Abendhimmel. Wenn man achtsam ist und genau hinschaut, kann die kleine Blume plötzlich ganz groß werden.
Wieso fällt es uns in der Natur leichter, die Gedanken fließen zu lassen?
Weil hier alle unsere Sinne angesprochen werden. Ich kann mir Blätter anschauen, den Vögeln zuhören, die Gerüche der Bäume wahrnehmen, das Moos berühren oder eine Walderdbeere in den Mund stecken. Je mehr ich mich meinen Eindrücken hingebe, umso lebendiger fühle ich mich und kann mich öffnen.
Manche Menschen haben aber erst mal große Schwierigkeiten, loszulassen, sich von ihrem Alltag zu entkoppeln.
Das stimmt, viele meinen, ständig etwas machen zu müssen. Ich empfehle dann, sich beim Waldbaden etwas in der Natur zu suchen, das sich deutlich sichtbar bewegt. Wir können uns zum Beispiel an einen Bach setzen und zuschauen, wie das Wasser fließt, ganz von allein. Wir können die Blätter beobachten, die im Herbst von den Bäumen fallen. Wir müssen gar nichts dabei tun, die Natur macht das von selbst. Dieses Beobachten und Nichts-tun-Müssen kann sehr entspannend und entlastend sein.
Ein neuer Gesundheitstrend, der aus Japan kommt, heißt "Waldbaden". Ist das nur eine Mode für entnervte Städter oder gibt es dafür einen wissenschaftlichen Hintergrund?
Tatsächlich geht man davon aus, dass der Wald eine heilende Wirkung auf den Menschen hat. Studien haben ergeben, dass die Pflanzen im Wald chemische Verbindungen, sogenannte Terpene, in die Luft abgeben, um miteinander zu kommunizieren. Von diesen Terpenen profitieren auch wir Menschen, denn sie aktivieren unsere natürlichen Killerzellen und stärken damit das Immunsystem. Darüber hinaus weiß man schon länger, dass die Natur eine positive Wirkung auf Körper und Geist hat: Der Blutdruck sinkt, das Stresshormon Kortisol wird abgebaut, das Angst- und Depressionsniveau nimmt ab.
Welche Landschaft hilft am besten, um zur Ruhe zu kommen: Wald, Meer, Berge oder Wüste?
Jede Landschaft hat ihre eigenen Qualitäten. Das Meer bietet Freiheit und Weite, der Wald eher Geborgenheit. Zur Ruhe kommen kann man überall. Viel wichtiger finde ich, dass wir Wohlfühlorte in unserer Nähe finden, statt auf der Suche nach dem Paradies um die ganze Welt zu jetten. Wenn mein Bauchgefühl mir sagt, dass ich gerade viel Luft und Weite brauche, kann ich auf einen Hügel oder ans Flussufer gehen. Wenn mir eher danach zumute ist, mich zu verkriechen, lasse ich mich vom Wald verschlucken. Und dann gibt es ja noch jede Menge Zwischentöne, die wundervoll sein können, etwa lichte Wälder oder schroffe Küsten.