Als Gründerin des größten digitalen europäischen Frauennetzwerks „Global Digital Women“ gilt Tijen Onaran als DAS Role Model für Frauen in der digitalen Welt. Wir sprachen mit der 36-Jährigen, warum es so schwer ist, als Frau in Deutschland zu gründen.
Gerade läuft ihre erste Doku „Yes She Can – Frauen verändern die Welt“ auf Amazon Prime, in der sie klar stellt, dass es jede:n Einzelne:n zum Umdenken im Bezug auf Gender Equaltiy und Chancengleichheit braucht. Aber die erfolgreiche Gründerin, Speakerin und Autorin und berät mit ihrer Expertise nicht nur Unternehmen in Diversity-Fragen, sondern unterstützt mit ihrem Know-how Projekte wie „Write her Future“. Zusammen mit der NGO arbeiterkind.de und Lancôme möchte sie Frauen dabei unterstützen, ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und ihre beruflichen Träume zu verwirklichen.
Emotion: Wenn man dich googelt, erscheinen nicht nur rund 70.000 Treffer, sondern auch das Zitat: „Ich kann Pink tragen und trotzdem Feministin sein!“ Man sieht dich selten in Schwarz und kaum ohne leuchtenden Lippenstift. Wurde dir diese Extrovertiertheit in die Wiege gelegt?
Tijen Onaran: Das denken alle! Aber eigentlich war ich eher ein schüchternes Kind und stand nicht gern im Mittelpunkt. Ich würde sagen ich bin eine introvertierte Extrovertierte – ich gebe nicht so gern was von mir selbst preis. Du musst mal meinen Mann fragen, wie lange es manchmal dauert, bis ich etwas von mir bei LinkedIn poste oder eine Insta-Story hochlade. Aber wenn ich auf einer Bühne über meine Herzensthemen sprechen kann, vergesse ich das und bin so drin, dass ich einfach abliefere.
Also dann bist du Tijen der Profi?
Ganz genau und dabei hilft mir auch der Lippenstift – dann weiß ich: Jetzt bin ich ready to rock!
Klingt wie eine Art Maske!
Ich würde es eher Empowerment-Tool nennen, es ist die Vorbereitung auf den Moment: Jetzt gehe ich da raus und überzeuge die Menschen von dem, was mir am Herzen liegt.
Du hast letztes Jahr ein Buch über das Sichtbarwerden geschrieben, hast du einen Tipp wie man das lernen kann?
Sehr wichtige und gute Frage! Wir sind im deutschsprachigen Raum nicht gerade damit aufgewachsen, für uns selbst zu trommeln, im Gegenteil: Wir sind so sozialisiert (egal ob Mann oder Frau!), dass Leistungen und Erfolge im Vordergrund stehen sollen und nicht du als Person. Dabei vergessen wir aber, dass ich selbst mein bester Pressesprecher bin, egal wie laut ich sein will. Für mich ist Sichtbarkeit auch die beste Form der Emanzipation und die beste Form der Unabhängigkeit, weil ich es total in der Hand haben kann, wie Menschen mich wahrnehmen.
Was machst du, wenn du unsicher bist?
Ich habe mir immer drei bis fünf Menschen in meinem Umfeld gesucht, die mir geholfen haben, zu meiner Sichtbarkeit und Positionierung zu finden. Ich habe sie gefragt: „Wenn du meinen Namen hörst oder liest, was kommt dir in den Kopf? Mit was verbindest du mich?“ Da kamen manchmal furchtbare Dinge raus und ich dachte: „So will ich aber gar nicht gesehen werden“ oder „Oh wow, das wusste ich gar nicht, dass du mich immer so wahrnimmst. Du siehst mich als stark, aber ich fühle mich eher schwach, aber interessant, dass es so rüberkommt“. Das Sparring zu haben, gerade von Menschen die dich gut kennen, auch aus dem beruflichen Kontext, ist extrem wichtig und erleichtert dir den Schritt in die Sichtbarkeit.
Also eine warme Dusche?
Ja! Aber selbst Kritik ist immer ein guter Hinweis, dass du durchaus etwas lauter werden kannst.
Das „für sich trommeln“ lernen andere Länder von klein auf – gerade Amerikaner:innen lernen schon im Kindergarten, sich zu präsentieren. Bei uns hieß es nur: „Sei nicht so laut! Dränge dich nicht in den Vordergrund“. Mündliche Präsentationen auf dem Gymnasium waren für mich der Horror!
Kann ich gut verstehen! Unser Schulsystem basiert ja hauptsächlich auf Fakten, Daten und Zahlen und wer die nicht korrekt abliefert, bekommt eine schlechte Note. Aber bei einer Präsentation musst du in der Lage sein, eine Geschichte zu erzählen, deine Idee zu vermitteln und du musst vor allem dein Gegenüber mitreißen und begeistern. Das heißt du brauchst ein Thema, mit dem du dich wohlfühlst und Glaubwürdigkeit ausstrahlst.
Wie kann man daran arbeiten?
Such dir ein:e Vertraute:n, jemand der nichts mit deinem Thema zu tun hat, und präsentiere deine Idee. Denn fachfremde Menschen sind tolle Sparringpartner:innen, weil sie einen ganz unvoreingenommenen Blick auf dich haben. Diese Tests haben mir sehr geholfen. Außerdem habe ich mir Vorbilder gesucht: Menschen, die mich inspirieren, motivieren und dabei authentische, realistische Role Models sind. Ich habe Geschichten von Menschen gelesen, die gescheitert sind und es trotzdem geschafft haben. Auch Menschen, die unangenehm sind, können inspirieren, wenn du weißt „so werde ich niemals“. Über das, was du nicht sein willst, kommt du zu dem, was du sein willst.
Ich empfehle jeder Frau, mit sich selbst ein Erfolgsmeeting zu haben und aufzuschreiben, was man erreicht hat.
Tijen OnaranTweet
Du hast doch sicherlich schon die nächste Idee – woher nimmst du deine Ideen?
Ich habe das große Glück, mit meinem Mann gegründet zu haben, weil wir uns total gut ergänzen. Meistens ist es sogar so, dass einer von uns eine verrückte Idee hat und die andere Person meist noch einen drauf setzt. Dann einigen wir uns irgendwo in der Mitte. Ich versuche auch nicht zu weit rechts und links zu gucken, denn ich hasse diese „Vergleicheritis“. Wenn wir uns an Dingen messen, die unerreichbar sind, kommt Frustration aus. Ich versuche, mich zu disziplinieren und durch das Journaling aufzuschreiben, was ich bisher erreicht habe. Ich empfehle jeder Frau, mit sich selbst ein Erfolgsmeeting zu haben und aufzuschreiben, was man erreicht hat. Und wenn es nur ist, einmal die Woche laufen zu gehen.
Glaubst du, gut aussehende Personen haben es leichter?
Es war für mich immer selbstverständlicher Bestandteil meiner öffentlichen Präsenz, dass ich mich für das Thema „Du kannst auch einen pinken Anzug tragen und trotzdem Feministin sein“ einsetze. Genau deshalb, weil ich festgestellt habe, dass du als Frau sofort in eine Schulbade gesteckt und unterschätzt wirst, wenn du gerne weiblich auftrittst. Ich bin der festen Meinung: Wer Frauen unterschätzt, verschätzt sich. Man darf Menschen nie unterschätzen, denn sie werden nie ihr volles Potenzial ausschöpfen, wenn sie das Gefühl haben nicht ernst- oder wahrgenommen zu werden. Viele Frauen in meinem Umfeld haben gesagt, dass ich mutig bin, weil ich mich bunt anziehe oder knalligen Lippenstift trage. Ich habe mich gefragt: Warum ist es mutig, ich zu sein? Und genau das habe ich zu meinem Thema gemacht.
Hattest du immer schon ein Faible für leuchtende Farben?
Faible ja, aber getraut habe ich mich nicht! Mein großer Aha-Moment war, als ich vor einigen Jahren auf einer Delegationsreise mit Frauen aus aller Welt war. An einem Abend trugen alle traditionellen Kleider und ich kam im schwarzen Cocktailkleid. Die Frauen aus den asiatischen oder afrikanischen Ländern waren so bunt angezogen, dass ich heute noch Gänsehaut bekomme. Da habe ich mich gefragt: Wer hält mich zurück? Als ich wieder zu Hause war, habe ich sofort meinen tristen Schrank ausgemistet. Das hat mir geholfen, zur „echten Tijen“ zu finden. Ich freue mich, wenn Frauen und auch Männer sagen, dass ich authentisch bin und sie sich auch nicht verbiegen wollen. Ich glaube das Schlimmste, was Frauen und Männern passieren kann, ist, sich verkleiden zu müssen, um ernst genommen zu werden oder gar an den Entscheidungstischen zu sitzen.
Wie unterstützt du „Write her Future“?
Es ist eine echte Partnerschaft. Lancôme setzt sich international schon länger mit „Write her Future“ für Female Empowerment ein. Das Ziel in Deutschland ist vor allem, Gründerinnen stärker in den Fokus zu setzen. Wir werden im Laufe der Partnerschaft Gründerinnen porträtieren und diese über unsere und deren Social-Media-Kanäle, über Magazine, aber auch über Veranstaltungen vorstellen. Von ihnen können wir alle lernen, denn die Kompetenzen, die du als Gründerin brauchst – gerade das Aufstehen nach dem Hinfallen, Sichtbarkeit, Netzwerke zu haben – das ist für jede Frau wichtig. In der Partnerschaft geht es weniger darum, die Frauen zu coachen, sondern ihnen Inspiration anhand von echten und nahbaren Role Models zu geben. Zudem begleiten wir die Gründerinnen auf ihrem Gründungsweg und ermöglichen ihnen den Zugang zu öffentlicher Präsenz.
Warum gibt es in Deutschland so wenig Gründerinnen?
Vor allem deshalb, weil es in den Schulen keine feste Karriereoption ist. Nach der Schule lautet der Karriereweg angestellt zu sein. Das ist extrem deutsch. Ich habe erst im Studium gecheckt, dass Gründen eine Option ist, aber ich habe nicht gewusst, wo ich mir Informationen hole. Dieses Empowerment dafür bekommt man seitens der Schule gar nicht mit. Außerdem verbindet man mit Selbstständigkeit oft das Scheitern. Bei Frauen ist der dritte Punkt auf jeden Fall Kapital. Wir haben vor vier Jahren gegründet und es war unglaublich schwierig, Kapital zu bekommen. Heute wäre es anders, weil wir auch die Zugänge und Netzwerke haben.
Warum ist es so schwierig, Kapital zu bekommen?
Ich habe damals schon festgestellt, dass es kein Frauenfehler, sonder ein Systemfehler ist. Da muss sich noch viel tun: Es braucht eine Demokratisierung zum Zugang von Geld, die Frauen müssen viel stärker den Zugang zu Risikokapitalfonds bekommen und die Venture-Capital-Firmen müssen sich zudem Diversitäts-Vorhaben, wenn nicht sogar Quoten setzen. Du siehst das 96 Prozent der VC-Firmen von Männern gegründet und geführt werden – und Männer investieren in Männer. Das machen sie auch aus dem Gleichheitsprinzip: Du investierst in etwas, das dir ähnlich ist und du verstehst. Das muss unterbrochen werden. Deshalb bin ich auch selbst Investorin, weil ich der festen Überzeugung bin, dass gerade Unternehmerinnen, die ihren Weg gegangen sind, jetzt in der Verantwortung sind, mehr Gründerinnen zu unterstützen.
Was würdest du heute deinem zwölfjährigen Ich mit auf den Weg geben?
Es gibt nichts, was du nicht schaffst!
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