Dr. Michalina Seekamp sprach im Interview über die #IamRemarkable-Initiative, Vielfalt und weshalb Frauen öfter über die eigenen Erfolge sprechen sollten.
EMOTION: Michalina, du hast in einem LinkedIn-Beitrag geschrieben, dass du dir mehr Frauen auf Branchenevents wünschst. Was glaubst du, hindert Frauen daran, öffentlich zu sprechen?
Michalina Seekamp: Ganz einfach: Mut und Gelegenheiten. Dass Gelegenheiten fehlen, habe ich erst kürzlich intensiv auf einem Summit diskutiert. Dort wurde das Problem thematisiert, dass leider immer die gleichen Speaker auf Branchenevents eingeladen werden. Es fehlt an Vielfalt. Darauf bezog sich mein LinkedIn-Aufruf, denn ich wünsche mir mehr Heterogenität auf Events. Vielfalt geht dabei für mich weit über offensichtliche Unterscheidungsmerkmale hinaus. Sie liegt meist im Verborgenen, nämlich im Erfahrungsschatz der einzelnen Personen. Gerade die unterschiedlichen Hintergründe der Teilnehmer ermöglichen es jedoch erst, Fragestellungen umfassend zu beleuchten.
Was waren eure Ideen für mehr Vielfalt?
Wir hatten ganz unterschiedliche. Eine sticht für mich heraus: die Event-Patenschaft. Der Vorschlag war, dass die eingeladene Person eine Person aus dem Unternehmen oder der Branche mitbringt, mit der sie sonst keine Überschneidungspunkte hat. Damit kann mehr Vielfalt erreicht werden.
Und wieso sind Frauen nicht mutig genug?
Meiner Meinung nach hat das drei Ursachen: Erstens zweifeln wir Frauen öfter an unseren Fähigkeiten und fragen uns: Bin ich gut genug? Schaffe ich das? Zweitens machen sich Frauen leider zu viele Gedanken darüber, was andere über sie denken könnten und habe Angst, als Angeberin wahrgenommen zu werden, wenn sie auf der Bühne stehen. Drittens, und das ist der größte Trugschluss finde ich, gehen viele davon aus, dass ihre Expertise doch bekannt sein muss, ohne, dass sie darüber sprechen. Dem ist aber nicht so. Jeder sollte mehr darüber reden, was er gut kann oder erreicht hat.
Die Initiative „#IamRemarkable“ ermutigt Menschen genau daran zu arbeiten, nämlich selbstbewusst über die eigenen Erfolge zu sprechen. Was ist die Idee dahinter?
Ziel ist dadurch die genannten Hürden abzubauen. Wir wollen zudem die negative gesellschaftliche Einstellung gegenüber der offenen Kommunikation von Erfolgen hinterfragen und verändern. Leider verwechseln viele die offene Kommunikation mit Angeberei. Ich sage immer, dass es darauf ankommt wie man darüber spricht, denn es ist keine Angeberei, wenn es faktenbasiert ist.
Wie ist die Initiative entstanden?
Sie wurde 2015 von meiner Kollegin Anna Vainer gegründet. Ausgangspunkt war ein Erlebnis, das sie in einem Training hatte. Dort wurde sie gebeten, ihre privaten und beruflichen Erfolge aufzuschreiben. Sie sagt, sie habe lange nur auf das Blatt gestarrt und nichts aufschreiben können. Alles, was sie bislang erreicht hatte, erschien ihr normal und nicht erwähnenswert. Die Frage „Was macht mich besonders?“, war für sie schwer zu beantworten. Irgendwann fing sie jedoch an, der Knoten war geplatzt. Das war ein Aha-Moment für sie.
Warum Aha-Moment?
Ganz einfach, sie hat gemerkt, dass es einen positiven Effekt hat, sich die eigenen Erfolge bewusst zu machen. Es stärkt das Selbstbewusstsein, ist ein starker Motor für die Karriere und gut fürs Wohlbefinden. Diesen Aha-Moment wollte Anna mehr Menschen ermöglichen.
Ihr habt daraus das „#IamRemarkable“-Training entwickelt …
Genau. Kern ist ein 90-minütiger Workshop, in dem wir die Teilnehmer bestärken, offen und ohne Scheu über ihre Erfolge zu sprechen. Das Training hat Google-intern begonnen, wird jetzt aber auch in Unternehmen, Organisationen, Universitäten oder Schulen angeboten. Es ist zu einer globalen Initiative geworden. Bislang haben 60.000 Menschen am Training teilgenommen. Das Beste ist, dass 50 % der Teilnehmer sagen, dass sie 3 Monate nach dem Training schnellere Karriereschritte machen konnten. 72 % sagen, dass sie öfter und selbstbewusster über ihre Erfolge sprechen. Darauf sind wir stolz.
Was erzählen Teilnehmer im Training?
Ganz unterschiedliche Geschichten. Das ist das Tolle daran, denn jeder definiert Erfolg für sich. Mir ist es wichtig das hervorzuheben, gerade um den ständigen Vergleich zu vermeiden. Letztens erzählte bspw. ein Teilnehmer, dass er stolz darauf sei, zu wissen, was wichtig ist im Leben. Für ihn ist es, bewusst mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Bei einem Google-internen Training erzählte eine Kollegin, dass sie einem Menschen das Leben gerettet hat. Mich hat das umgehauen. Ich arbeite schon lange mit ihr zusammen und wusste davon nichts. Das ist die Kernfrage des Programms: Warum sprechen wir nicht darüber?
Werden mehr private Erlebnissen geteilt?
Ja, zu 99 Prozent.
Du bist EMEA Facilitator Lead der Initiative. Was heißt das?
Meine Aufgabe ist es, Facilitators, d. h. Trainer, für die Workshops zu akquirieren und auszubilden. Aktuell leite ich ein virtuelles Netzwerk aus 300 Googlern in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika, die die Initiative in ihren Ländern voranbringen. Zusätzlich unterstütze ich dabei, die Strukturen und Prozesse des Programms weiterzuentwickeln.
Ihr bietet den kostenlosen Workshop nicht nur bei Google, sondern auch in Unternehmen an. Zusätzlich kann jeder das Seminar in der Google Zukunftswerkstatt besuchen. Auch beim Emotion Women’s Day hast Du eine Masterclass gegeben. Wie profitiert Google davon?
Für uns ist es wichtig, dass unsere Partner und Kunden durch den Erwerb neuer Fähigkeiten und Fertigkeiten wachsen. Und wir glauben daran, dass dieses Programm dabei hilft.
Und was treibt dich an? Du hast ja noch einen Hauptjob als YouTube for Action Lead.
Zwei Dinge: Zum einen bereitet es mir viel Freude Menschen dabei zu unterstützen, sich weiterzuentwickeln. Zum anderen ist es mein Ziel, die negative gesellschaftliche Einstellung zu ändern, wie über Frauen gedacht wird, die offen und selbstbewusst über ihre privaten oder beruflichen Erfolge sprechen. Ich weiß: Vielfalt in Teams ist der Schlüssel zu Erfolg. Aber man muss von der Vielfalt wissen und dabei hilft das Programm.