Für unsere EMOTION-Aktion #wasfrauenfordern haben uns mehr als 10.000 Frauen erzählt, was ihnen immer noch zur Gleichberechtigung fehlt. Ihre Forderungen haben wir nach Berlin gebracht. Und vor dem Bundestag gleich noch eine leuchtende Mahnung aufgestellt, dass sich JETZT etwas ändern muss
Berlin hat schon freundlicher ausgesehen. An diesem Oktobertag liegt die Hauptstadt graugesichtig da, und auf der Bundestagswiese kriecht uns langsam die Feuchtigkeit unter die Mäntel. "Was Frauen fordern? Warme Füße", brummt eine Kollegin. Da nähert sich ein Licht aus der Ferne, wird größer und heller, ein Transporter fährt vor – und schlagartig vergessen wir die Kälte. Drei riesige Leuchtbuchstaben glühen verheißungsvoll auf dem Anhänger: NOW.
Eine schöne Metapher eigentlich: Denn warten auf eine leuchtende Zukunft – das können wir Frauen ganz gut. Wir, die EMOTION-Redaktion, haben aber keine Lust mehr zu warten, wir wollen aktiv etwas bewegen, und zwar jetzt. Deshalb trotzen wir an diesem 21. Oktober auch dem Berliner Wetter. Und deshalb haben wir zu Beginn des Jahres unsere Aktion #wasfrauenfordern ins Leben gerufen. Weil wir konkret wissen wollten, wie es uns Frauen in Deutschland geht, woran es uns fehlt und wo wir mehr Unterstützung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft brauchen. Befragt haben wir mehr als 10.000 Frauen mithilfe des Marktforschungsinstituts Appinio, unserer Webseite wasfrauenfordern.de und einer repräsentativen Umfrage des Allensbach-Instituts unter 16- bis 60-Jährigen. Mit den gewonnenen Erkenntnissen wollen wir nun den nächsten Schritt gehen. Die Leuchtbuchtstaben, die die Künstlerin Mia Florentine Weiss für uns entworfen hat, sollen unseren Forderungen vor dem Bundestag für alle gut sichtbar Nachdruck verleihen. NOW: Weil sich für Frauen JETZT etwas verändern muss.
Die Skulptur erregt sofort Aufmerksamkeit, plötzlich sind wir von vielen Menschen umringt, die neugierig nachfragen und sich begeistert in den Buchstaben fotografieren. Ihr Interesse gilt aber auch der Umfrage. Weil sie schwarz auf weiß aufschlüsselt, wie viel noch zu tun ist auf dem Weg zu einer echten Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Und weil sie Frauen eine Stimme gibt – und den Stimmen Gesichter, denn für jede Forderung stehen auf wasfrauenfordern.de zahlreiche Frauen Pate. Ein Ende von sexueller Belästigung und Gewalt, bessere Aufstiegsmöglichkeiten im Beruf, aber auch eine gerechtere Aufteilung von Aufgaben im privaten Bereich, etwa bei der Kindererziehung und im Haushalt – das sind die Hauptforderungen, die sich herauskristallisiert haben. So wollen 84 Prozent der befragten Frauen endlich gleiches Gehalt für gleiche Arbeit. Oder wie Indre Zetzsche es in ihrem Statement auf der "Was Frauen fordern"-Seite ausdrückt: "Solange Männer mehr verdienen, werden sich weiterhin Frauen primär ums Familiäre kümmern, und die Männer werden weiterhin den Ton in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft angeben." 72 Prozent fordern eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf: durch den Ausbau der Kinderbetreuung und flexiblere Angebote; 59 Prozent möchten leichter zwischen Teilzeit und Vollzeit wechseln können. 60 Prozent finden es besonders wichtig, dass die Gesellschaft Alleinerziehende besser unterstützt, beinahe genauso viele fordern Maßnahmen gegen Altersarmut durch den Ausbau der Mütterrente und eine höhere Anerkennung von Erziehungsleistung.
Und was können wir selbst tun? Am wichtigsten: Nicht nachlassen; weiter fordern, auch auf wasfrauenfordern.de. Wie Leserin Linda Brack schreibt (die damit die Meinung von 85 Prozent der befragten Frauen teilt): "Frauen sollten sich zu ihren Bedürfnissen bekennen und sie deutlich kommunizieren. So können wir selbst gestalten, welche Position wir einnehmen." Und Leonie Warnke fordert "ein Aufbrechen von Rollenbildern, die Frauen in die Abhängigkeit drängen und daran hindern, eigene Initiative zu ergreifen".
Das NOW steht mittlerweile im Berliner Urban Nation Museum For Contemporary Art. Wir hoffen, dass seine Bedeutung irgendwann rückwärts gelesen werden kann, denn dann heißt es: Won. Gewonnen.
"Es ist ein Hoffnungsschimmer"
Die Künstlerin Mia Florentine Weiss baute die NOW Skulptur. Hier spricht sie über ihr Werk.
Welche Botschaft ist mit NOW verbunden? Berlin ist Symbol eines vereinten Europas – ohne Grenzen. Dafür sollten wir einstehen. Christo hat vor über zwanzig Jahren den Reichstag verhüllt. Wir haben den Sitz des deutschen Bundestages nun zu einem "Memorial of light" werden lassen, das dazu ermutigt, ein Zeichen gegen patriarchalische Strukturen zu setzen. Wir brauchen Chancengleichheit. Jetzt!
Welche Wirkung hat das Werk auf Sie?
Es ist Hoffnungsschimmer, aber auch Warnung, dass wir keine Zeit mehr verlieren dürfen. Die Bundestagswahl hat gezeigt, welche Zerrissenheit im Land herrscht. Mich motiviert, zu sehen, was wir schaffen können, wenn wir einander zuhören, aneinander glauben und einer gemeinsamen Vision folgen.
Was fordern Sie für Frauen?
Wer nichts macht, wird nichts verändern.
Warum sind wir nicht längst alle "Female Fighter" für gleiche Rechte? Mehr Mut könnte nicht schaden. Dann würde die #metoo Kampagne auch #fightback heißen – und nicht die Opferrolle in den Vordergrund stellen, sondern das sich zur Wehr setzen.
Wie steht es um die Gleichberechtigung im Kunstbetrieb?
Künstlerinnen sind unterrepräsentiert. Männer sind medial exponierter, verdienen mehr, werden stärker protegiert. Unter den 100 wertvollsten Künstlern sind nicht mal zwei Dutzend Frauen.
Was ist Ihre Motivation?
Der Ur-Uterus in Form von Mutter Natur macht es vor: Je mehr wir die Nabelschnur zu dem kappen, das uns nährt, desto weiter entfernen wir uns von uns selbst. Es ist unsere Pflicht, unser Erbe zu bewahren. Das Motto meiner Großmutter war: Never give up! Dieser Pioniergeist prägt mich.
Wie geht es weiter?
Die Ergebnisse liegen vor – nun geben wir die Forderungen weiter
1. Politik: Wenn sich die neue Bundesregierung gebildet hat, übergeben wir die Forderungen dem Gleichstellungsausschuss und verschaffen uns Gehör.
2. Wirtschaft: Wir gehen mit den Forderungen in die Unternehmen. Mit den Personalverantwortlichen entwickeln wir Strategien, wie frauenfreundlicheres Arbeiten gelingen kann.
3. Gesellschaft: Wir wollen weiterhin auf die Dringlichkeit der Themen aufmerksam machen und Frauen ermutigen. In jeder EMOTION-Ausgabe stellen wir deshalb eine der Forderungen unserer Aktion genauer vor.