Weibliche Hausangestellte in Hongkong leben isoliert unter höchst unwürdigen Umständen - und eine ganze Stadt schaut dabei zu. Die Fotografin Rebecca Sampson hat dieser Parallelgesellschaft in ihrem Fotoprojekt "Apples for Sale" ein Gesicht gegeben.
300.000 weibliche Hausangestellte leben laut dem HKSAR Census and Statistics Departement in Hongkong. Jeder dritte Haushalt beschäftigt ein solches Dienstmädchen. Ein Großteil dieser Frauen stammt aus Indonesien. Weit weg von ihrer Heimat und ihren Familien finden sich viele von ihnen als Migranten zweiter Klasse wieder - in einem Leben geprägt von Einsamkeit und massiver Ausbeutung.
Die Berliner Fotografin Rebbeca Sampson beleuchtet in ihrer Fotostrecke "Apples for Sale" diese Missstände. Ihre Arbeit setzt sich mit dem Gegensatz auseinander zwischen dem uniformen Alltagskorsett, in das die Hausangestellten von ihren Arbeitgebern gezwängt werden, und dem Bedürfnis der jungen Frauen nach Liebe, Anerkennung und der Möglichkeit, ihre Individualität ausleben zu können. Wir haben mit Rebecca Sampson über ihre Arbeit gesprochen.
EMOTION.DE: Frau Sampson, warum haben Sie Ihrer Arbeit den Namen "Apples for Sale" gegeben?
Rebecca Sampson: "Apples for Sale" ist eine vielschichtige Arbeit und beleuchtet sehr viele Themen gleichzeitig. Das Oberthema ist aber ganz klar der unwürdige Umgang mit Arbeitsmigrantinnen und deren systematischer Ausbeutung. Die Art wie indonesische Frauen anhand von Bewerbungsunterlagen über Agenturen ins Ausland bestellt werden erinnert mich an eine Art Menschenhandel.
Wie sieht das genau aus?
Man versucht, die Frauen sehr gezielt und uninformiert zu vermitteln, um das Maximum an Arbeitsleistung aus ihnen herauszuholen. Anhand der Bewerbungsunterlagen werden die Frauen, ihre Gesichtszüge und Persönlichkeit in "gut", "mittel" und "schlecht" kategorisiert. Diese Unterlagen sind skandalös. Eine der unzähligen indonesischen Agenturen fotografiert ihre Hausangestellten in einer Schürze mit der Aufschrift "Apples for Sale". Den Titel habe ich mir sozusagen ausgeliehen. Er schien mir als Symbol für diese Art des Frauenhandels besonders passend. Zudem ist der Apfel an sich mit einer Symbolik verbunden, wie kaum eine andere Frucht.
Rebecca Sampsons Fotoprojekt "Apples for Sale" ist bis zum 21. Mai 2018 in der Ausstellung "gute aussichten deluxe“ im Haus der Photographie, Deichtorhallen Hamburg zu sehen und wird im November 2018 im Foam Museum Amsterdam ausgestellt.
Mit welchen Problemen sehen sich die indonesischen Hausmädchen tagtäglich konfrontiert?
Prinzipiell ist die Lage, der die Hausmädchen in Hongkong ausgesetzt sind, nicht besonders gut. Das gilt jedoch leider für beinahe alle Orte, an denen Hausangestellte aus dem Ausland vermittelt werden. Die indonesischen Hausangestellten in Hongkong arbeiten im Durchschnitt mehr als 70 Stunden die Woche. Obergrenzen für täglich zu verrichtende Arbeiten gibt es nicht. Bei rund zwölf Arbeitsstunden pro Tag an sechs Tagen der Woche stehen den Hausangestellten per Gesetz 24 Stunden Ruhezeit pro Woche zu, im Normalfall der Sonntag. Die aktuellen Zahlen zeigen allerdings, dass mindestens ein Drittel der 300.000 Frauen morgens und abends arbeiten müssen und eigentlich nicht mehr als 11 Stunden an ihrem Ruhetag zur Verfügung haben.
Die Frauen aus Indonesien leben in Hongkong auch unter viel schlechteren Umständen als die philippinischen Hausangestellten. Obwohl sie derselben Gesetzeslage unterliegen, besagen die Zahlen, dass indonesische Hausangestellte eine 70 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit haben, von Zwangsarbeit betroffen zu sein als philippinische.
Die Realität, der die Frauen im jeweiligen Land ausgesetzt sind, unterscheidet sich natürlich sehr stark. Da gibt es noch weitaus schlimmere Länder als Hongkong. In Saudi-Arabien und Dubai zum Beispiel herrschen deutlich prekärere Lebensumstände für Hausangestellte. Die Zahlen zu physischer, sexueller und psychischer Gewalt, Ausbeutung und Zwangsarbeit sind dort regelrecht astronomisch.
Also werden sie aus Indonesien auch in andere Länder vermittelt?
Genau. Sie werden in viele Teile der Welt vermittelt, zum Beispiel nach Zypern, Kanada, Taiwan und Singapur, Saudi Arabien, Dubai, Ägypten. Das sind Hotspots für Hausangestellte. In den arabischen Ländern haben die Frauen leider die kaum Rechte und am wenigsten Einfluss auf ihre Situation.
Wieso werden denn die philippinischen Hausangestellten besser behandelt?
Das kommt meiner Meinung nach daher, dass die philippinische Community sehr gut vernetzt ist. Diese besteht bereits seit den 70ern und ist in Hongkong etabliert.
Hongkong hat 300.000 Hausangestellte und ganz grob kommen 50 Prozent von den Philippinen und 45 Prozent aus Indonesien. Die restlichen 5 Prozent setzen sich aus Frauen anderer Länder zusammen.
Die philippinischen Frauen sind schon lange dort, sprechen sehr gut Englisch und bekommen von der katholischen Kirche vor Ort Unterstützung. Durch ihre sehr guten Englischkenntnisse arbeiten sie häufiger für Familien, die aus dem Westen stammen und die sie im besten Fall besser behandeln.
Die indonesischen Frauen dagegen sind erst in den Neunzigern nach Hongkong gekommen und werden als "günstige Alternative", die man besser ausbeuten kann, vermittelt. Unter dem Druck, durch die Vermittlungsgebühren in ihrem Heimatland hoch verschuldet zu sein, sind sie besonders fügsam und gefährdet. Ich konnte dort viel Machtlosigkeit, Angst und Unsicherheit spüren.
Wodurch sind Sie das erste Mal auf die Missstände, in denen diese Frauen leben, aufmerksam geworden?
Ich war für drei Monate in Hongkong und war unheimlich verwundert darüber, dass sich sonntags die Bevölkerungsstruktur auf der Insel so stark und sichtbar ändert. Denn jeden Sonntag strömen Tausende Hausangestellte in den öffentlichen Raum. Ob es regnet oder nicht, Parks und Plätze werden erobert, Fußgängerbrücken, Tunnel und Verkehrsinseln besetzt. Aus Pappkartons entstehen Hauswände, und Plastikfolien dienen als Picknickdecken. Das fiel mir natürlich auf und so begann meine Recherche.
Sonntags werden die Hausangestellten in Honkong regelrecht vor die Tür gesetzt.
Fotografin Rebecca Sampson über ihr Projekt "Apples for Sale"Tweet
Warum besetzten die Frauen denn die öffentlichen Plätze?
Die Frauen haben sonntags ihren Ruhetag und werden dann von den Familien bei denen sie arbeiten regelrecht vor die Tür gesetzt. Laut Gesetz steht ihnen zwar eine 'geeignete Unterbringung mit angemessener Privatsphäre' innerhalb der Wohnung des Arbeitsgebers zu. Diese Aussage ist aber völlig frei zu interpretieren. Ob man sie auf einem Brett auf der Toilette oder im Flur auf dem Fußboden schlafen lässt, bleibt den Arbeitgebern selbst überlassen. Schließlich haben über 40 Prozent der Hausangestellten kein eigenes Zimmer.
Warum gönnt man ihnen keine Privatsphäre?
Hongkong ist aktuell eine der teuersten Städte der Welt und es herrscht massiver Platzmangel. Dort leben sogar viele Senioren in gestapelten Käfigen in Kammern ohne Fenster. Das gesamte System braucht diese Hausangestellten, um zu überleben. Es ist kein Luxusphänomen, eine Hausangestellte zu haben. Die Menschen dort müssen, um gut zu leben, alle sehr viel arbeiten, wodurch es sich logischerweise anbietet, eine Hausangestellte anzustellen. Sie kostet umgerechnet nur 525 Euro im Monat.
Welche Hürden gab es bei Ihrer Arbeit zu bewältigen?
Also die Bevölkerung dort war schon sehr skeptisch. Sie haben mich durchaus komisch angeschaut, wenn ich mit den Frauen auf der Straße gesprochen habe. Die indonesischen Frauen in Hongkong waren unheimlich großzügig. Mich hat es sehr berührt, dass sie ohne eine gewünschte Gegenleistung alles teilen, was sie haben. Sei es Essen, ihre Unterkunft oder andere Dinge. Es gab erstaunlich wenig Hindernisse bei der Arbeit, da sie sehr aufgeschlossen und von der Fotografie begeistert sind. Schwierig war, dass die Frauen nur einmal in der Woche eigenständig das Haus verlassen durften und die mangelnde Privatsphäre, um sie zu porträtieren.
In Ihrer Fotostrecke zeigen Sie die Frauen zum einen in ihrem Arbeitsoutfit, zum anderen in ihren privaten Kleidern, die sie an ihren "freien Tagen" tragen. Letztere erinnern oft eher an Verkleidungen. Was hat es damit auf sich?
Das sind junge Frauen, die nun fernab von ihrem sehr konservativen muslimischen Heimatland leben. Sie kommen aus ländlichen Regionen und gehen in ein anderes Land, weit weg von ihren Familien, wo sie vermeintlich viele Freiheiten haben. Die Realität sieht anders aus. Zum einen können sie dort sehr wenige eigene Entscheidungen treffen, da sie unter Umständen leben, die man durchaus mit moderner Skalverei beschreiben kann. Auf der anderen Seite tut sich für sie auch ein Freiraum auf, in dem sie sich ausprobieren können, schauen können, wer sie sind und wer sie sein wollen.
Zwischen 20 und 40 Prozent dieser indonesischen Frauen haben Erfahrungen mit lesbischen Beziehungen. Einige kommen extra nach Hongkong, um ihre Homosexualität ausleben zu dürfen. Und dann gibt es sehr viele, die auf diesen Zug aufspringen und ihn zu einer Art Trend gemacht haben.
Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube, dass es eine vorübergehende Umorientierung als Reaktion auf Isolation und Einsamkeit ist. Und natürlich hat jeder junge Mensch den Wunsch nach einer gelebten Individualität und Sexualität. Dieser Sonntag muss also für alle Bedürfnisse, die ein Mensch so hat herhalten, weil sie ja sonst nie alleine das Haus verlassen dürfen.
So ist der gesamte Sonntag ein großes Spektakel. Ich sehe dort in vielen Fällen auch eine Reinszenierung von patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen aus Indonesien. In einem ausschließlich weiblichen sozialen Umfeld beginnen sie eine Art von Rollenspiel. Die männlichen Rollen werden von Tomboys übernommen – Frauen, die sich maskulin kleiden und geben. Liebevoll zurechtgemachte Puppen ersetzen die fehlenden Kinder.
Die Community lesbischer indonesischer Hausangestellter unterscheidet sich stark von anderen lesbischen Communitys. Die meist selbstgewählten und stark überspitzten Geschlechterrollen werden regelmäßig gewechselt, die sexuelle Orientierung ist flexibel, die Grenzen sind fließend und werden ständig neu verhandelt. Viele der nach außen gelebten lesbischen Beziehungen ähneln hinter der Fassade eher Freundschaften im Partnerlook.
Wie ist die Stimmung unter den Frauen an ihren freien Tagen?
Sehr unterschiedlich, das kann ich natürlich nicht verallgemeinern. Die Frauen, mit denen ich es zu tun hatte, waren sehr aktiv und haben ihren einzigen freien Tag im Minutentakt durchgeplant. Andere wiederum sitzen herum, starren auf ihr Telefon und warten darauf, dass der Tag vorübergeht. Da die meisten Hausangestellten mehr als die Hälfte ihres Gehaltes an ihre Familien schicken, bleibt nicht viel Geld vor Ort. Essen, trinken und Karaoke-Bars sind eine teure Angelegenheit, das macht es gar nicht so einfach, seinen Tag zu gestalten. Ein sehr großes Sonntagsthema sind auch die Schönheits-, Tanz, oder Aerobic-Wettbewerbe, wo die Frauen ihren gesamten freien Tag mit hoffnungsvollem Warten verbringen.
Die Frauen werden ja über Agenturen vermittelt. Was sind das für Agenturen?
Das sind private, staatlich kontrollierte Agenturen, die ein wahnsinniges, sehr lukratives Geschäftsmodel auf dem Rücken dieser Frauen betreiben. Es gibt zum Beispiel Gesetze, die festlegen, welche Obergrenze es für Vermittlungsgebühren gibt. Diese werden jedoch maßlos überschritten. Und es gibt meines Erachtens niemanden, der dagegen etwas unternimmt. Im Schnitt geben die indonesischen Frauen für die Vermittlung 30 Prozent ihres Jahresgehalts an die Agentur ab. Und häufig werden ihre Pässe einbehalten, was natürlich illegal ist.
Gibt es gar keine Institutionen in Hongkong, die diesen Frauen Hilfe anbieten?
Ein großes Problem in Hongkong ist die sogenannte Zwei-Wochen-Regelung. Ein Vertrag wird für zwei Jahre abgeschlossen. Ein Chef kann seiner Hausangestellten aber ohne jeglichen Grund mit einmonatiger Frist kündigen. Ob ein Vertrag ausläuft oder gekündigt wird, die Problematik ist, dass die Frauen zwei Wochen Zeit haben, um eine neue Stelle zu finden und das ist extrem schwierig.
Da sind Tausende Frauen, die einen neuen Chef suchen. Wenn sie keine neue Arbeitsstelle finden, müssen sie wieder ausreisen, sich erneut über eine Agentur anmelden und die Agenturgebühren zahlen. Deshalb sind diese Frauen bereit, sehr viel über sich ergehen zu lassen, um nicht schon wieder ein Drittel ihres Gehalts abgeben zu müssen. Das führt dazu, dass sie häufig ihre schlechte Lage hinnehmen.
Umfrageergebnisse darüber, wie schlecht sie behandelt werden, und die Anzahl der Fälle, die tatsächlich gemeldet werden, weisen eine unglaublich hohe Diskrepanz auf. In der Regel werden nur die schlimmsten Fälle gemeldet. Es gibt zwar ein paar Hilfsorganisationen, aber die Frage ist, ob die Frauen wissen, wie sie die finden und ob sie den Leuten dort vertrauen.
Wie stehen Sie emotional zu diesem Thema. Ist das nicht auch sehr belastend für Sie, während Ihrer Arbeit solche Missstände so nah mitzuerleben?
Persönlich halte ich das für einen absoluten Skandal und es ist sehr belastend, Missstände dieser Art aus der Nähe zu erleben und dann in seine Heimat zurückzukehren. Ich fühle mich manchmal machtlos mit dem Wissen, dass ich die Welt durch die Fotografie nicht ändern kann. Wenn ich Glück habe, kann ich ein paar neue Impulse schaffen, aber das zu akzeptieren, war ein schmerzhafter Prozess für mich.
Die Publikation Apples for Sale können Sie für 33,00 Euro (inkl. Versandkosten in D.) auf dieser Seite vorbestellen. Das Buch erscheint voraussichtlich im August 2018 und wird Ihnen dann so schnell wie möglich zugesendet.
Mehr Informationen zum Buch findest du auch hier: rebeccasampson.com
Rebecca Sampson lebt und arbeitet als Fotografin in Berlin. Sie studierte bei Ute Mahler an der Ostkreuzschule für Fotografie. Sie ist u.a. Preisträgerin von "gute aussichten - junge deutsche fotografie" und Stipendiatin des Foam Museum Amsterdam, der Robert Bosch Stiftung sowie des Literarischen Colloquium Berlin. Ihre Arbeiten wurden u.a. in den Deichtorhallen/Haus für Photographie Hamburg, im Willy Brandt Haus Berlin und international in Amerika, Indien, Luxemburg, Mexico, Polen, Wien und Zypern gezeigt. "Apples for Sale" ist ihr erstes Buch.