Der Begriff #quietquitting macht seit einer Weile auf Social Media die Runde – dabei ist es eigentlich keine neue Idee, sich für die Arbeit nicht kaputtzumachen. Dennoch meckern Unternehmen über das Phänomen. Das kann doch wohl nicht wahr sein, findet unsere Autorin.
"Quiet Quitting" – das ist eines dieser Buzzwords aus dem Arbeitskontext, die man gerade überall hört. Als radikales, innovatives Konzept wird das Phänomen bisweilen bezeichnet. Was steckt eigentlich dahinter?
Der Name ist etwas irreführend, denn es geht nicht wirklich darum, still und heimlich zu kündigen. Es ist eher eine Mischung aus stiller Resignation, bei der man um 17 Uhr den Stift fallen lässt, und Guerilla-Krieg gegen die Bedingungen des Arbeitgebers. "Resisting wage theft" sozusagen.
Bekannt geworden ist #quietquitting auf TikTok durch ein Video des Users @zaidleppelin, das millionenfach aufgerufen wurde. Der Nutzer erklärt darin, was hinter dem Begriff steckt: Du kündigst deinen Job nicht, gehst aber nicht mehr die "Extrameile" für deine:n Arbeitgeber:in. Sprich: Arbeitnehmer:innen tun nur noch das, wofür sie auch tatsächlich bezahlt werden. So weit, so … radikal?
Quiet Quitting heißt: auf mich selbst achten
Das Phänomen beschreibt, wie Angestellte sich weigern, sich überdurchschnittlich für ein Unternehmen zu engagieren und stattdessen "nein" sagen, Grenzen setzen, Freiheiten schaffen. Keine (unbezahlten) Überstunden mehr, keine E-Mails nach Feierabend, keine Telefonate in der Mittagspause, keine Aufgaben, die eigentlich gar nicht in den eigenen Zuständigkeitsbereich gehören. Das, was sich leider in vielen Unternehmen etabliert hat. Sie denken vielleicht nicht explizit darüber nach, ihre Stelle zu kündigen, möchten aber die Anforderungen, die an sie gestellt werden, auch nicht mehr unhinterfragt akzeptieren. Sie leisten nach wie vor ihren Job, aber eben so, wie er auf dem Papier steht, und nicht so, wie es sich zwischen den Zeilen eingestellt hat. Sie priorisieren Freizeit, Freund:innen, Familie und Hobbys und dementsprechend auch ihre Gesundheit. Denn es ist es nicht wert, dauerhaft 120 Prozent zu geben, wenn dabei die psychische und physische Gesundheit draufgeht.
Vor allem in den USA wird nun viel über "Quiet Quitting" gesprochen, doch auch nach Europa ist es herübergeschwappt. Arbeitnehmende sind global gestresst, überlastet, unglücklich. Viele befürchten bei Weiterführen ihres aktuellen Pensums zurecht einen Burnout, und wenn sie dann doch mehr tun, als sie eigentlich müssten, wollen sie dafür auch entlohnt werden. In vielen Unternehmen wird das besagte zusätzliche Engagement implizit ständig erwartet. Doch Pandemie und "The Great Resignation" haben das Problem noch einmal verschärft: In vielen Branchen herrscht ein großer Personalmangel, weil Angestellte gekündigt haben oder entlassen wurden, der Betrieb aber aufrechterhalten werden muss, als sei nichts geschehen. Die verbliebenen Mitarbeitenden müssen entsprechend mehr leisten.
Wofür opfern wir uns eigentlich so auf?
Und warum tun wir uns das alles an? Früher haben die Menschen gearbeitet, damit sie eine gute Zukunft haben. Heute arbeiten und arbeiten und arbeiten wir in dem Wissen, dass unsere Zukunft übel aussehen wird, so oder so. Inflation, Altersarmut, Klimawandel… Wofür also das Ganze? Warum schuften wir uns permanent wund? Warum gilt immer noch die Annahme, dass man für seinen Job "above and beyond" gehen muss, wie es im Englischen so schön heißt? Warum werden Überstunden so sehr glorifiziert, dass man sich bereits so fühlt, als hätte man zu wenig getan, wenn man nach der regulären Arbeitszeit Feierabend macht?
Liegt es am ewigen Wettbewerb? Liegt es an unser aller fehlendem Selbstwertgefühl und dem Drang, uns bis zum Kaputtgehen beweisen zu müssen? Oder liegt es nur an unserer Arbeitswelt, in der viel zu viele To-dos auf viel zu wenige Menschen abgewälzt werden? Da kommt wohl eins zum anderen.
Unsere Old-School-Arbeitswelt beruht auf einem meritokratischen Ansatz im kapitalistischen System – zumindest auf der Annahme, dass das funktioniert. Sprich: Wer mehr arbeitet und mehr Leistung zeigt, verdient auch mehr, hat mehr Erfolg und mehr Kaufkraft und ist rundum ein besserer Mensch. So hat sich eine Hustle Culture etabliert, die uns früher oder später alle in den kollektiven Burnout treibt. Dieser stereotyp maskuline Ansatz ignoriert nicht nur unterschiedliche Bedürfnisse und Verpflichtungen, sondern ist auch wenig intersektional gedacht und basiert auf einer Arbeitswelt, in der Männer 40 plus Stunden arbeiteten, während sich ihre Ehefrauen zuhause um Kinder, Care-Arbeit, Hunde und Haushalt kümmerten.
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Du bist, was du arbeitest? Nein!
Wir geben ja gerne alles – nicht nur, weil die Angst vor Kündigung besteht, sondern eben auch, weil wir motivierte Arbeitnehmer:innen sind, die sich einbringen und ihr Können zeigen möchten. Was aber zu weit geht, ist, wenn das Mehrgeben die Erwartung ist. Wenn nur die Extrameile belohnt wird – wenn auch nicht entlohnt. Wenn nur höher, schneller, weiter gilt, wir aber niemals aus dem Hamsterrad herauskommen, egal wie hoch, schnell oder weit wir auch rennen.
Durch die Tatsache, dass wir unproportional viel Lebenszeit mit Erwerbsarbeit in einem solchen System verbringen, hat sich eben auch die Einstellung etabliert, dass wir sind, was wir arbeiten. Oft ist die Arbeit nicht mehr reiner Brotverdienst, sondern identitätsbildend, und ebenso wie unser:e Arbeitgeber:in Erwartungen an uns hat, verinnerlichen wir diese auch an uns selbst: Wir definieren uns über unsere Arbeit und messen unseren Selbstwert an unserer Produktivität. Reminder: Das darf nicht sein! Auch wenn uns unsere Arbeitswelt inklusive unserer Arbeitgeber:innen gern etwas anderes vorgaukeln.
"Die jungen Leute sind ja alle so faul…"
Dass das System einfach nicht funktioniert – zumindest, wenn man Erfolg an Dingen wie Gesundheit, Zufriedenheit und zumindest dem Ansatz einer Work-Life-Balance misst – ist keine bahnbrechend neue Erkenntnis. Millennials und Gen Z haben das längst durchschaut. Während wir früher davon überzeugt waren, dass Überstunden und das Streben nach Traumjobs zum Leben dazugehören, lernen wir jetzt, dass und wie wir aufhören können – und müssen – uns mit unserer Arbeit zu identifizieren.
Und das heißt – für alle Arbeitgeber:innen, die nun die Stirn runzeln – keinesfalls, dass man nicht auch alles geben möchte, sich anstrengt, Ziele hat, konzentriert und gut arbeitet. Es heißt nur, dass man das nicht exzessiv tut. Dass man nicht permanent 50 Prozent mehr arbeitet, als die Stelle vorsieht, und dass nicht die, die das tun, belohnt werden, bis wir alle eines Tages gesammelt umfallen.
Leider liefert die Popularisierung eines Ausdrucks wie Quiet Quitting denjenigen Menschen Futter, die Dinge schreien wie "alle jungen Leute sind faul" und "heute will ja niemand mehr arbeiten". Die Art und Weise, wie das Phänomen in den Medien besprochen wird, riecht verdächtig nach: Ältere Generationen suchen nach Gründen, um sich über jüngere Generationen und ihre angeblich fehlende Arbeitsmoral auszulassen. Anstatt einmal ihre eigene zu reflektieren. Denn dass jüngere Generationen nicht pauschal einfach keinen Bock haben, sondern das System hinterfragen, indem sie Grenzen aufzeigen, muss an dieser Stelle wohl nicht mehr erklärt werden.
Hey Unternehmen, jetzt seid ihr gefragt!
Mit dem "Big Quit" und dem längst überfälligen Hinterfragen des Systems sind Arbeitgeber:innen mehr denn je auf gute, motivierte Angestellte angewiesen. Aber die bekommen sie nicht, indem sie immer mehr fordern und ihnen die Arbeit der anderen aufhalsen. Die bekommen sie, indem sie sie fair entlohnen und auf ihre Bedürfnisse achten. Denkt daran: Ein:e kaputte:r Mitarbeiter:in ist kein:e gute:r Mitarbeiter:in!
Anstatt sich also über das Phänomen Quiet Quitting zu beschweren, sollten Unternehmen vielleicht
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überlegen, warum es überhaupt dazu kommt, dass dieser Trend so viral geht.
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hinterfragen, ob das Verhältnis aus Aufgaben, Zeit, Angestellten und Gehalt wirklich ausgeglichen ist.
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akzeptieren, wenn Mitarbeitende "nein" zu neuen Aufgaben sagen und Grenzen aufzeigen. Die hundertfünfzigste Aufgabe ist nicht eine hundertfünfzigste tolle Chance, die man unbedingt nutzen will – geschweige denn für die man Energie und Kapazitäten hat.
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konkret mit Mitarbeitenden zusammenarbeiten, um deren Situation zu verbessern. Bezahlt sie anständig, wenn sie ihr Bestes geben sollen. Denkt neben der finanziellen auch an andere Formen der Wertschätzung: Erkennt individuelle Bedürfnisse und geht auf sie ein. Erlaubt es euren Mitarbeitenden, Überstunden auszugleichen. Bietet hybrides Arbeiten oder Remote Work an, um privaten und Care-Bedürfnissen nachzugehen. Schafft klare Zuständigkeiten und Strukturen und damit Entlastung.
Starten wir eine Quiet-Quitting-Bewegung!
Genau wie weitere aktuelle Trends aus dem Arbeitsleben liegt die Essenz des Quiet-Quitting-Phänomens also in dem Wunsch, mehr auf uns selbst zu achten, für uns selbst einzustehen, nicht mehr alles mit uns machen und uns kaputtmachen lassen.
Und das ist ein großartiger Ansatz! Aber es führt nicht zu viel, wenn das etwas Individuelles bleibt. Erst wenn es eine Bewegung wird, hat es die Power, ein System anzuknacksen und echte Veränderung anzuregen. Einzelfälle können leicht von Unternehmen und älteren Generationen abgetan werden als etwas, was die jungen Leute von heute eben so tun. Doch wenn genug Menschen mitmachen, wird es irgendwann unmöglich, die Bewegung zu ignorieren.
Und das muss doch machbar sein! Denn im Prinzip ist Quiet Quitting einfach nur stinknormales Arbeiten, das sich dringend wieder etablieren muss. Und das beim besten Willen nicht radikal ist. Tatsächlich ist es nicht einmal besonders innovativ. Die Arbeitswelt verändert sich eben. Und Unternehmen müssen mitgehen. Es ist zwecklos, sich an einer Arbeitsmentalität der 50er Jahre festzuklammern und sich dann zu wundern, wenn die jüngeren Generationen nicht mehr mitmachen.
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