Nachdem ein CDU-Politiker gefordert hatte, dass sich Pflegende positiver über ihren Job äußern sollen, brach auf Twitter ein Sturm los. Die Berichte, die dort zu lesen sind, gehen an die Nieren.
Es war ein klassischer Bumerang, den der CDU-Politiker Erwin Rüddel vor einigen Tagen losgeschickt hat. Rüddel ist Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundestag und hat einen eigenen Twitter-Account. Dort hatte ein Nutzer in angeschrieben und die aktuellen Pflege-Pläne von Union und SPD kritisiert. Rüddel setzte daraufhin einen Tweet ab, in dem er Mitarbeiter in der Pflege dazu aufforderte, sich positiver über ihre Arbeit zu äußern:
#Deal: Politik handelt konsequent und #Pflegende fangen an, gut über die #Pflege zu reden. Dann kommen viele wieder in die Pflege zurück und es beginnen #gutezeitenfürgutepflege
— Erwin Rüddel (@Erwin_Rueddel) 3. Februar 2018
Man kann den Tweet durchaus so interpretieren: Rüddel gibt den Pflege-Mitarbeitern eine Mitschuld daran, dass sich so wenige Menschen für Jobs in der Pflege bewerben. Zwar betont er die Verantwortung der Politik, fordert aber auch die Pflegenden dazu auf, ihre Einstellung ändern – und schon werde alles besser.
Pflege-Kräfte empfinden den Tweet als Frechheit
Auf Rüddels Tweet folgten hunderte empörte Antworten von Pflege-Mitarbeitern. Sie werfen ihm Zynismus vor – und twitterten als Antwort ebenfalls zynisch über ihren Alltag, der von Zeit- und Kostendruck geprägt ist und kaum Raum für echte Menschlichkeit lässt. Als Hashtag wählten sie #twitternwierueddel.
Die Situationen, die hier geschildert werden, sind erschütternd. Und je mehr dieser Tweets man liest, desto deutlicher wird: Das sind keine Ausnahmen. Hier läuft etwas richtig schief in der Pflege. Einige Tweets haben wir hier ausgewählt:
Wenn du angeschrien wirst,weil du einer sterbenden alten Dame in den letzten 5 Minuten ihres Lebens die Hand gehalten hast.Du kannst die Scherben nicht zählen,in die deine Seele dann zerbricht #twitternwierueddel
— Madame Hummelchen (@mdeHummelchen) 5. Februar 2018
Wenn man tagelang ohne Handschuhe pflegen muss, weil das Personal mehr verbraucht hat, als die FESTGELEGTE Menge Handschuhe, die bestellt wird. “Ihr kriegt keine neuen, müsst ihr jetzt ausbaden!“#twitternwierueddel
— Jaz Pinkman-- (@JazPinkman) 5. Februar 2018
Wenn der Nachtdienst zu zweit für 99 Bewohner ist (ab 100 gäbe es eine 3. Kraft, da bleibt ein Bett leer), dann wundert es auch nicht, dass die um 01 Uhr Verstorbene um 04 Uhr noch 100 ml getrunken hat. Muss ja stimmen, die Trinkmenge #twitternwierueddel
— Annette Geißler (@annette_gei) 5. Februar 2018
Wie meine Großmutter allein und verängstigt im KH starb, weil keiner der Pflegekräfte, die Zeit fand, uns Angehörige zu informieren, dass etwas mit ihr war. Die Pflegerin ist vor meiner Mutter weinend zusammengebrochen. Wir wissen, es war nicht ihre Schuld. #twitternwierueddel
— Fräulein_Wedekind (@writer_lulu) 5. Februar 2018
Der weinenden Mutter, deren Kind gerade Leukämie diagnostiziert bekommen hat, im Vorbeirennen, den Arm zu tätscheln, weil du allein für 12 andere schwer kranke Kinder zuständig bist. Aber hey: ich habe sie getröstet! So erfüllend!#twitternwierueddel
— Tschudith (@Chaosundich) 5. Februar 2018
Schlafstörungen! Ein Träumchen. Du kannst viel mehr leisten, wenn Du erst 36h wach warst!
Was der Chef sagte? Besorg Dir Citalopram. Nehmen hier alle!
So ein toller Beruf voller Enpathie. Man muss es mit dem Herzen ♥️ machen!#Pflege #twitternwierueddel— Monja Schuenemann (@monjaeszehah) 4. Februar 2018
Initiiert hat den Hashtag #twitternwierueddel übrigens Sarah Menna aus Breckerfeld. Gegenüber dem Deutschlandfunk zeigte sich die Krankenschwester skeptisch, dass die Pläne einer künftigen Großen Koalition zur Pflege die Wende bringen könnten. 8.000 neue Stellen seien nicht genug.
Auch wenn Erwin Rüddel diese Reaktionen sicher nicht beabsichtigt hatte, so muss man ihm doch fast dankbar sein für seine unglückliche Formulierung. Denn so gerät endlich an die Öffentlichkeit, was täglich hinter den Mauern von Kliniken und Heimen passiert. Zustände, die unerträglich sind für die Patienten und Pflegebedürftigen - und ebenso unerträglich für die Menschen, die eigentlich nur einen guten Job machen wollen. Ein Großteil davon übrigens Frauen. Erwin Rüddel hat sich inzwischen auf Twitter für seine Worte entschuldigt.
Unter dem Hashtag #twitternwierueddel findet Ihr auf Twitter noch weitere Berichte.