Premium-Apps, Premium-Hotelzimmer, Premium-Autowäsche: Was macht das mit uns, wenn in allen Lebensbereichen vermeintliche Upgrades locken?
Kürzlich musste ich mich wieder einmal entscheiden: Sollte ich mich mit dem Standard-Hotelzimmer zufrieden geben oder sollte es doch der „Premium Double Room“ sein?
Ich schwankte kurz. Ich wollte doch nur übernachten. Um beim Städtetrip abends todmüde ins Bett zu fallen, sollte das Standardzimmer locker ausreichen. Aber versprach das Premium-Zimmer nicht erholsameren Schlaf und damit ein ausgeruhteres, frischeres Ich? Eben eine Premium-Erfahrung im Vergleich zum langweiligen Standard, den man immer und überall haben kann?
Am Ende entschied mein Reisebudget. Aber ich kam ins Grübeln. Es sind ja nicht nur Hotelzimmer, bei denen die Premium-Variante lockt; in letzter Zeit soll ich mich andauernd und in allen möglichen Lebensbereichen zwischen Basic-Angeboten im Vergleich zu Premium-Möglichkeiten entscheiden.
Linkedin etwa schickt mir täglich eine Mail, in der ich gefragt werde, ob ich nicht lieber zum Premium-Account wechseln wolle (keine Ahnung, was das bringen soll – wird mir dann automatisch ein Premium-Netzwerk mit lauter CEOs zusammengestellt?!).
Im Supermarkt überlege ich, ob der Premium-Gin im Gin Tonic wirklich besser schmeckt (ich kaufe lieber einen Weißwein).
Als ich nach langer Abstinenz mal wieder meine Fitnessapp öffne, bin ich versucht, mit dem Abschluss eines teuren Premium-Abos, das mir weitere, natürlich „super exklusive“ Workouts anpreist, die Motivation zu steigern (dabei weiß ich aus zahllosen vorherigen Versuchen, dass dieses Sich-selbst-austricksen nicht funktionieren wird).
Und selbst in der Autowaschstraße soll ich zwischen einer Standard-Wäsche und der Premium-Hochglanz-Politur wählen (in dem Fall fällt es mir leicht, auf die Premium-Variante zu verzichten – ist mir herzlich egal, wie sehr das Auto glänzt).
Ein psychologischer Konsum-Trick
Der Premium-Trick macht sich ein leicht durchschaubares psychologisches Manöver zunutze, indem er menschliche Eitelkeiten anspricht: Wer will schon Basic, wenn er Premium haben und sein kann – besonders, exklusiv, erlesen. Es geht bei Premium-Angeboten nicht nur um einen objektiven Qualitätsunterschied – sondern um das Gefühl, das die Kaufentscheidung mit sich bringt. „Du musst doch nur ein bisschen mehr bezahlen, und schon hast du so viel mehr vom Leben!“, scheint uns jedes „Premium“-Etikett zuzuflüstern.
Und mit jeder Entscheidung für dieses Etikett vergewissern wir uns selbst: Du konsumierst nicht nur Premium, du BIST Premium. Dieser Effekt ist sogar in Studien belegt: 2016 fand das Performance Management Unternehmen Nielsen heraus, dass ein Drittel der Deutschen den Kauf von Premium-Produkten, egal ob im Lebensmittelladen oder im Techmarkt, als „Ausdruck ihrer Persönlichkeit“ betrachten.
Und diese Persönlichkeit soll natürlich nicht Standard, nicht Durchschnitt, nicht Mittelmaß sein – sondern Premium. Der deutschen Sängerin Sarah Bora gelang 2020 übrigens ein viraler Hit, in dem sie in einem Song, der tatsächlich „Premium“ hieß, auf die Idee von Persönlichkeits-„Gütesiegeln“ anspielte: „Baby, du bist premium“, singt sie darin, „die anderen Boys sind eher medium“.
Zugegeben: Ein Kompliment, das irgendwie schräg formuliert ist. Aber ganz ehrlich, es gibt Zeiten, da wünschte ich mir schon, es gäbe auch für mein persönliches Leben ein Premium-Upgrade, das ich mir easy für 19,99 Euro aus dem App-Store runterladen könnte. In diesem Monat wäre dann alles Premium: Im Job liefe alles glatt, alle meine Klamotten wären knitter-und kleckerfrei, ich würde jede Nacht durchschlafen, überhaupt durchs ganze Leben wie wandeln wie auf einer Premium-Wattewolke.
So ein Upgrade gibt es aber nicht. Und jetzt? Muss ich mich irgendwie mit der Basisvariante meines Lebens arrangieren, versuchen, meine ganz persönliche Premium-Variante daraus zu machen – und im Alltag den allgegenwärtigen Upgrade-Verlockungen widerstehen.