Die ehemalige Außenministerin Madeleine Albright ist tot. Wir erinnern an eine einzigartige Frau, die Weltgeschichte schrieb.
Madeleine Albright, ehemalige US-Außenministerin, starb am 23. März 2022 an den Folgen einer Krebserkrankung. Die demokratische Politikerin wurde 84 Jahre. Albright stand von 1997 bis 2001 als erste Frau an der Spitze des US-Außenministeriums. 2019 verliehen wir dieser unglaublich beeindruckenden Frau den EMOTION.award für ihr Lebenswerk. Albright sandte uns damals eine Video-Botschaft und bedankte sich nicht nur für den großartigen Preis, sondern schickte uns einen Appell an die deutschen Frauen. Denn ein Thema lag Madeleine Albright besonders am Herzen: Die Bereitschaft von Frauen, sich gegenseitig zu unterstützen und zu fördern – nur so können wir die Gleichberechtigung erreichen. Das sei unsere Pflicht als Frau.
Mit unserer Laudatio vom EMOTION.award 2019 möchten wir an eine Weltpolitikerin erinnern, mit deren Grundsätzen wir uns tief verbunden fühlen
Als Madeleine Albright 39 Jahre alt war, 1978, hatte sie ihren ersten bezahlten Job. Das Märchenhafte daran war nicht allein ihr Alter. Es war eine Kombination aus Unwahrscheinlichkeiten. Es war nicht vorgesehen, dass Frauen wie Mrs. Joseph Albright, Mutter von Alice, Anne und Katie, für Geld arbeiteten. Ihre Generation war perfekt ausgebildet, um die Frauen an der Seite von jemandem zu werden, nicht, um alleine irgendwo zu stehen. Freiwilligenarbeit ja, soziales und politisches Engagement ja, vielleicht auch akademische Titel, aber Positionen, für die Gehalt gezahlt wurde? Nein. Weitere Unwahrscheinlichkeiten: Sie arbeitete im Weißen Haus und beschäftigte sich für den Nationalen Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter mit Außen- und Sicherheitspolitik. Das Märchenhafteste aber: Sie war und blieb erfolgreich. Sie schrieb ihre eigene Cinderella-Geschichte. Mit hoher Entschlusskraft, intellektueller wie persönlicher, mit hohem taktischen Geschick und dieser ihr wirklich eigenen Fähigkeit, sich zu fokussieren: auf die nächste Herausforderung, die nächsten Gesprächspartner, auf die Erfüllung ihrer Träume.
Madeleine Albright, 1993 erste Botschafterin der USA bei den Vereinten Nationen, 1997 erste Außenministerin der USA und noch einige "erste" mehr, hat in fast jedem ihrer erwachsenen Lebensabschnitte Felder erobert, die für Frauen Neuland waren. Sie war eine Gigantin der Weltpolitik. Und eine Preisträgerin, bei der die Ehre, dass sie diesen Lebenswerk-Preis annimmt, fast schwerer wiegt als die Ehre des Preises selbst. Die Auszeichnung gilt einer Jahrhundertfigur, die mit ihren Eltern als Kleinkind vor den Nazis aus der Tschechoslowakei nach England fliehen musste, dann vor den Kommunisten in die USA. Die im Angesicht von Tyrannen furchtlos ist und in der Lage, komplexeste Sachverhalte so zu kondensieren, dass Außenpolitik begreifbar und nahe an den Menschen bleibt. Die die Kategorie "meine Broschen verraten, was ich erreichen will" ganz allein ins Leben gerufen hat und deren Präsenz jeden Raum elektrisiert.
There is a special place in hell for women who don’t help other women.
Madeleine AlbrightTweet
Auf Madeleine Albrights Leben schauen heißt aber auch zu sehen, wie Frauen Netzwerke aufbauen können, die stabil sind. Wie Frauen solidarisch miteinander sein können, auch in den kompetetivsten Umfeldern wie der internationalen Politik. Madeleine Albrights berühmtes Zitat aus der UN-Zeit: "There is a special place in hell for women who don’t help other women" ist kein Nebenprodukt ihrer Reden. Sondern tiefe und gelebte Überzeugung. Seit ihrer College-Zeit an dem berühmten Frauen-College Wellesley, Abschlussjahr 1959, bilden Frauen Albrights Inner Circle. In guten wie in schlechten Zeiten – das galt nicht unbedingt für ihre Ehen, die oft zerbrachen. Aber für ihre Freundschaften. Als Albright Außenministerin wurde, erzählt sie, sei der Widerstand im Ausland deutlich geringer gewesen als der im US-Establishment. "Die Männer hatten mich kennen gelernt als eine Frau, die zusammen mit ihren Ehefrauen die Kinder zur Schule brachte. Jetzt war ich ihre Chefin. Und sie dachten: ‚Warum bin ich nicht an ihrer Stelle?’" Die Frauen dagegen kannten sie als brillanten Kopf, Sprachgenie, hart arbeitende Osteuropa- und Russland-Expertin, die neben drei Kindern an ihrer Promotion schrieb und Fundraising-Netzwerke spann. Bis heute ist es für Frauen in der Politik typisch, ihren Zugang über Themen zu finden, nicht über den Wunsch nach Macht. Eher "Warum" als "Wer". Ein nachhaltiger Weg.
Madeleine Albrights Karriere ist eine Glückblaupause für Karrieren von Frauen, weil sie Passagen des Wandels, des Wachstums und Stillstandes zeigt. Und sie selbst auch über diese Zeiten offen spricht. Sie hat erst gelernt, wie es ist, an der Spitze zu stehen. Ein hartes Training, absolviert an akademischen Instituten und Universitäten im Washington der achtziger Jahren. Hart deshalb, weil es ein weiterer Schritt aus dem dominierenden Rollenmodell der Zeit war: Nicht dienend, nicht zuarbeitend, sondern selbstbestimmt und bestimmend. In diesen Führungsrollen begann sie auch, Mentorin für jüngere zu sein. Öffnete ihr – ja, es waren die Achtziger – Rolodex, um Studentinnen, die an Außenpolitik interessiert waren, in Washington mit den richtigen Menschen zusammen zu bringen. Ihre Netzwerkarbeit ist legendär und half ihr selbst dabei, nicht in Fallen zu tappen, die männerdominierte Umfelder Frauen stellen. Wenn sie von Informations-Zirkeln ausgeschlossen war, wusste sie immer, wen sie anrufen konnte, um die wahre Geschichte zu hören. Und als sie als UN-Botschafterin selbst an der Spitze stand, nutzte sie diese Position für Frauen. Wies ihr Team an, alle weiblichen Abgesandten der UN einzuladen. Es waren mit ihr 7 von 185, u.a. Trinidad und Tobago, Liechtenstein und Kasachstan. Die 7 nannten sich G7 – Girl 7 – und verpflichteten sich, immer gegenseitig ihre Anrufe anzunehmen. Ein großes Privileg. Eines, das die anderen 178 Botschafter bei der US-Botschafterin gerne in Anspruch genommen hätten. Das sei einfach, sagte Madeleine Albright: "Ihr müsst einfach nur eine Frau entsenden."
Frauen unterstützten sie, als sie unter Bill Clinton die erste Außenministerin der USA wurde. Sie machte Frauenrechte zu einem wichtigen Anliegen ihrer Amtszeit. Mobilisierte Öffentlichkeit für das Thema Vergewaltigung als Kriegsverbrechen. Und unterstützte Frauen, privat wie öffentlich; Hillary Clinton etwa in ihrem Präsidentschaftswahlkampf. Die Erste sein ist ein Privileg, weiß Albright. Wichtig ist, dass andere folgen. Wie weit Madeleine Albright dieses Ziel erreicht hat, zeigte sich, als Hillary Clinton Condoleezza Rice 2009 im Amt der Außenministerin ablöste. Und ihre jüngste Enkelin, damals 7, fragte: "Was ist denn so toll daran, dass Grandma Maddie Außenministerin war? Sind doch eh nur Mädchen Außenministerinnen."