Was erwartet einen, wenn fünf privat geführte Hotels fünf Tage lang Erzähler, Dichter und Journalisten auf „die Insel“ holen, um Kultur lebendig zu machen? Mareile Braun, Redaktionsleiterin von emotion SLOW war zu Gast beim Langen Literaturwochenende der Privathotels auf Sylt
Sylt ist immer eine gute Idee
Ich sage das als Fan. Sylt tut einfach gut. Zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter, egal, wie mühsam die Anreise per Autozug oder Fähre zuweilen sein mag. Die Insel versöhnt mich mit allem, sofort. Kapuze auf und ab in den Sturm, Nordseeluft, Brandung, Runterschalten auf slowe Schrittgeschwindigkeit. Ich liebe Sylt gerade auch im November, wenn die Strände leer sind und das Meer ein tosendes Spektakel. Wenn mir der Wind den Kopf lüftet, der Hund am Strand vor Freude Luftsprünge macht: Die Weite der Natur schafft auch Raum für neue Gedanken. Hinterher kehre ich dann irgendwo ein, trinke Tee, mit einem Buch vor dem Kamin und bin: glücklich.
Sylt-Tipp im November: das lange Literaturwochenende
Seit diesem November ist Sylt für mich um noch eine Attraktion reicher. Daran ist die Elke Schuld und ihr "Langes Literaturwochenende". Gemeint ist Elke Heidenreich, die prominente Schriftstellerin, Moderatorin und Literaturkritikerin, die bereits zum vierten Mal als Gastgeberin der Gemeinschaftsaktion der fünf Privathotels der Insel auftrat: dem Landhaus Stricker in Tinnum, dem Hotel Rungholt in Kampen, dem Benen-Diken-Hof in Keitum, dem Fährhaus Sylt in Munkmarsch und dem Hotel Budersand in Hörnum. In letzterem, dem imposanten Luxushaus an der Südspitze des Insel, hat die 73-jährige eine über 1000 Bücher umfassende Bibliothek eingerichtet. Auch heute, acht Jahre nach Eröffnung des Budersand, kommt Elke Heidenreich noch regelmäßig von Köln an die Nordsee, um das Bücherrepertoire des Hotels zu aktualisieren und gemeinsam mit den Hoteliers neue Konzepte zu erörtern. Motto: Vielfalt erleben, Neues entdecken. Dabei ist das lange Literaturwochenende, das 2013 zum ersten Mal mit einer Handvoll Autoren antrat, mit mittlerweile zehn Lesungen an fünf Tagen fast zu einer ganzen Literaturwoche angeschwollen.
Auf Tuchfühlung mit prominenten Autoren
Wenn das Wort eine Stimme bekommt, ist das fraglos schon ein besonderer Zauber. Aber das, was man erleben kann, wenn einem die prominenten Macher auch als Menschen nahe kommen, hat nochmal eine andere Qualität. Elke’s Gästeliste auf Sylt ist so spannend wie undogmatisch, von Giovanni di Lorenzo bis Eva Menasse finden sich große Namen aller Genres. Darunter auch immer wieder welche, die Heidenreich durch ihre ehemalige ZDF-Sendung „Lesen zu Stars am Literaturhimmel machte. Wie Richard David Precht, quasi dem „Top-Act“ des diesjährigen Literaturwochenendes. „Ich habe ihr viel zu verdanken “, verriet der Publizist und Philosoph im Budersand, „Elke hat vor zehn Jahren mein Buch empfohlen und danach hat sich mein Leben total verändert.“ Er habe ihre TV-Sendung damals nur hören können, weil sein Fernseher so alt und kaputt war, dass die Bilder verschwammen. Als armer mittelloser Dichter und Denker habe er sich keinen neuen leisten können, ohje..... Tja, und dann erklomm sein Buch Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? im Februar 2008 den ersten Platz der Spiegel Bestseller-Liste und blieb dort bis Oktober 2012. Precht hält damit den Langzeitrekord.
Philosophie 4.0 – volksnah und "on demand"
Richard David Precht erzählt noch so manche persönliche Anekdote an diesem verregneten Novemberabend, nachdem er das Publikum vorher hatte abstimmen lassen, was am meisten interessiert. Auch das passiert einem ja üblicherweise nicht bei Lesungen: Angekündigt war die "Geschichte der Philosophie, Teil 2", gesprochen hat Precht dann aus dem Stehgreif 60 Minuten lang und in bester humorvoll-intelligenter Manier über die Digitalisierung und ihre Folgen für die Arbeitswelt – ganz großer Sport! Danach beantwortete er trotz grippalem Infekt ausdauernd Fragen, signierte Bücher und mischte sich redselig unter die Gäste. Philospohie ganz volksnah, hier auf Sylt ist das keine Floskel. Elke Heidenreich hat es im Vorwort des Begleitheftes sehr schön auf den Punkt gebracht: "Das Vorlesen, Zuhören, gemeinsame Essen und Trinken, die Gespräche – all das verbindet uns miteinander" und analoge Begegnungen nehmen der allgemeinen Ratlosigkeit auch in turbulenten, unsicheren Zeiten die Schärfe.
Rückzugsorte mit und ohne Reetdach-Romantik
Ich werde wiederkehren an meinen Sehnsuchtsort Sylt. Nicht erst im November, soviel steht fest. Wobei ich mir das nächste langen Literaturwochenende schon fest im Kalender notiert habe: Anfang November 2018 findet es statt, das genaue Datum folgt.
Und wenn Sie mein persönlicher Favorit unter den privaten Herbergen interessiert: Das wunderschöne Fährhaus in Munkmarsch, direkt am kleinen Yachthafen an der Wattseite der Insel gelegen hat mein Herz gewonnen. Es mag nicht die Großzügigkeit eines Budersand besitzen und auch nicht die friesische Reetdach-Romantik eines Benen-Diken-Hofes, aber der Charme des viktorianischen Stammhauses in Kombination mit ausgesprochen gemütlichen Zimmern und der urigen "Käpt’n Selmer Stube" sucht für mich seinesgleichen auf Sylt. Naja und dann kommt hinzu, dass meine Hündin Holly noch in keinem Luxushotel so herzlich empfangen und hoheitlich gebettet wurde. Vor der Tür eine Waschanlage für Hunde, auf dem Schlaf-Kissen ein "Goodie" zum Zubettgehen – Sylt ist schließlich auch DIE Insel für Hundefreunde! Aber das ist eine andere Geschichte...
Das nächste lange Literaturwochenende findet im November 2018 statt. Nähere Infos: privathotels-sylt.de/literaturwochenende