Die neuen Dating-Portale setzen auf Individualität statt altbekannter Algorithmen – und sind bunter und schneller. Also: Surf for love!
Pia, Jule und Alexandra suchen nach der Liebe – im Internet. Genau wie neun Millionen andere Deutsche, die bei Single-Portalen angemeldet sind. Jedes dritte Paar findet sich inzwischen im Netz. Trotzdem sind viele Suchende enttäuscht. Das Versprechen der elaborierten Matching-Fragebögen, im Netz die wahren Seelenverwandten aufzuspüren, geht nicht für alle auf. Denn kein Algorithmus der Welt kann ein Lebensgefühl (v)ermitteln.
Online-Dating erfindet sich neu
Jetzt erfindet sich das Online-Dating neu. Auf individuellen feinen Seiten wie dem Portal "Im Gegenteil" laden Frauen und Männer virtuell zu sich nach Hause ein. Und die Flirt-App "Tinder" zelebriert das Spielerische des ersten Blicks.
Pia sitzt lächelnd an ihrem Küchentisch. In ihrer Wohnung gibt es tausend kleine Details zu entdecken: Hier eine gerahmte Illustration, da ein weißer Hirsch, und an der Wohnzimmerwand türmen sich Bücher. Es ist schön und gemütlich. Und am Ende landen wir sogar im Bett, auf der Decke. Mein Besuch bei Pia ist rein virtuell. Sie ist eine von mittlerweile gut 50 Singles auf der neuen Dating-Plattform "Im Gegenteil". Zu den Fotos gibt es einen Text, der verrät, dass sie ein Tollpatsch ist. Dann muss man nur etwas nach unten scrollen, schon kann man Pia eine Nachricht schreiben. Ohne Hürden, ohne Mitgliedsbeitrag. Warum sie sich so öffentlich zeigt? "Weil ich hier als Single ernst genommen werde", sagt die 35-Jährige aus Berlin Mitte.
Nach wem suchst du eigentlich?
Das Netz für Singles wird spezieller. Es beginnt zu fragen: Nach wem suchst du eigentlich? Auf einmal gibt es ein Dating-Portal für Vegetarier (veggiecommunity.org) oder eine Seite aus Dänemark, auf der sich Singles anmelden, die den Wunsch nach Familie teilen (loveandkids.dk).
"Im Gegenteil" ist ein Sinnbild für diese Entwicklung. Hier läuft alles anders, als man es von Dating-Sites gewohnt ist: keine wissenschaftlichen Algorithmen, keine verschwommenen Selfies, kein Stier, kein Löwe oder Skorpion. Dafür: ein liebevolles Layout in Blog-Optik und Fotos, auf denen man in die Lebenswelt eines Menschen eintauchen kann. Es sind die sanften Zwischentöne, die auf ihnen eingefangen werden und die kein Fragebogen einem je verraten könnte.
Geboren wurde die Idee ganz Berlin-like in einer Bar in Neukölln. Die Freundinnen Anni Kralisch-Pehlke und Jule Müller saßen zusammen. Jule war Single. Online-Dating hatte sie ausprobiert. "Aber das Angebot war schrecklich", erinnert sich Jule. Sie klickte sich gefühlt durch Hunderte von Profilen – und hatte den Eindruck, trotzdem über keinen der Menschen dahinter etwas zu erfahren. Die beiden Freundinnen beschlossen, selbst eine Seite zu machen. Einen Ort im Netz zu schaffen, wo man Menschen begegnen kann, wie auf einem Fest bei Freunden.
Slow-Dating im Internet
Schnell kamen sie auf die Idee der Homestorys. Gute Bilder, für die man sich gern die Zeit nimmt, sie anzugucken. Slow-Dating im Internet. Im Schnitt schauen User sich ein "Im Gegenteil"-Profil vier Minuten an – in Netzzeit eine Ewigkeit. Das Portal hat einen Nerv getroffen. Nach acht Stunden hatte "Im Gegenteil" 1000 Facebook-Fans. Heute wird es 500 000-mal im Monat geklickt. Pro Woche melden sich 150 Singles, die von Anni und Jule porträtiert werden wollen. Die beiden arbeiten auch schon an einer neuen Idee, ein Portal für ältere User, die ein stärkeres Beduürfnis danach haben, ihre Privatsphäre zu schützen.
Da ist die Dating-App "Tinder" (übersetzt: "Zunder") in jeder Hinsicht anders. Und trifft genauso einen Nerv der Zeit – alles tindert. Um die App nutzen zu können, muss man einen Facebook-Account haben und den Zugriff auf alle Daten erlauben. Sobald man registriert ist, zeigt die App die Facebook- Profil-Bilder von anderen Tinder-Nutzern. Das Spiel kann beginnen. Nicht mein Typ? Ein Wischer nach links, und das Bild ist weg. Bleibt der Blick hängen, wischt man es nach rechts und vergibt dabei ein Herz. Treffen sich zwei Herzen, heißt es: "It’s a match!" Und man kann chatten.
Weltweit gibt es jeden Tag zehn Millionen Matches. Getindert wird in 34 Sprachen. Noch schauen vor allem Nutzer zwischen 17 und 35, ob es sie erwischt. Aber so wie Facebook vor allem in der Altersgruppe 35 plus an Reichweite gewinnt, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Funke überspringt.
"Tinder ist wie der Besuch in einer Bar"
Man kann Tindern oberflächlich finden. Oder einfach spielerisch. "Für mich ist es wie der Besuch in einer Bar", sagt Alexandra aus Berlin, die seit Kurzem tindert. Für sie ist das Wischen nichts anderes als der erste Impuls, wenn man abends jemanden sieht, der einem gefällt. Doch dank der App kann man dieses Augenzwinkern verschicken und sogar ins Gespräch kommen – was in der Bar oft nicht passiert. "Und es ist ein nettes Gefuühl, wenn dir so jemand zeigt: Hey,
du bist mein Typ!", sagt Alexandra.
Alternative, um Leute kennenzulernen
Die Hamburgerin hat sich bei Tinder angemeldet, als sie nach Berlin gezogen ist. Der eigentliche Clou der App ist die Umkreissuche, die man bis auf ein paar Meter eingrenzen kann. "Für mich war das eine super Alternative, um Leute kennenzulernen", sagt Alexandra.
Für manche hat Tinder den Ruch einer Aufreißer-App. Ein Eindruck, den Alexandra nicht teilt: "Ich habe das Gefühl, dass sich viele ernsthaft nach Bindung sehnen." In den Nachrichten merke man schnell, ob man auf einer Wellenlänge liegt. Und wer aufdringlich wird, wird sofort geblockt. Pia hat Tinder auch eine Chance gegeben und andere Erfahrungen gemacht. Sie hat sich mit einem Mann aus Wien verabredet. "Er erzählte mir, dass ich sein fuünftes Tinder-Date sei", erinnert sie sich, "allerdings das fünfte bei diesem Berlin-Besuch." Schnell war klar, worauf der Abend hinauslaufen sollte. Pia ist gegangen und hat die App gelöscht.
Was Tinder nicht wegwischt, ist die Aufregung vor einem ersten Date. Alexandra war nervös, ob sie ihn überhaupt erkennen würde. Doch dann lief alles ganz locker. Inzwischen hatte sie schon vier verschiedene Dates: von "Essengehen plus Kino" über "auf einen Kaffee treffen" bis zu einem Tag im Park war alles dabei – nur Mr. Big noch nicht. Auch Pia ist weiter auf der Suche. Aber Jule, die Erfinderin von "Im Gegenteil", kann man seit Kurzem nicht mehr über die Seite kontaktieren. Denn das hat schon ein anderer mit Erfolg getan und auf Jules Profil steht: vergeben. Mehr Worte braucht die Liebe manchmal nicht.
Klick for love – die etwas anderen Seite im Netz
veggiecommunity.org
Hier findet man Vegetarier, Veganer und andere Rohköstler. Na, auf den Geschmack gekommen? Weil hinter dem Verzicht auf Fleisch, doch oft ähnliche Gedanken stecken?
loveandkids.dk
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