Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik (MINT) sind immer noch Männerdomänen. Doch angesichts akuten Fachkräftemangels sollen Frauen diese Zukunftsbranchen erobern. Auch EMOTION setzt sich dafür ein.
Als ihr Laptop kaputt ging, blieb Natlalia Kohnert cool. Eine teure Reperatur beim Fachhändler? Nicht nötig! Die 39-Jährige baute selbst einen neuen Bildschirm ein. Sie löst nicht nur ihre eigenen Computerprobleme, sondern auch die ihrer Kollegen: Natalia Kohnert ist It-Administratorin bei der Hamburger Unternehmensberatung evers&jung GmbH "Ich liebe es, mich in technische Dinge einzuarbeiten", schwärmt die gebürtige Russin. Woher diese Liebe kommt, weiß sie allerdings selbst nicht. "Ich habe als Kind nur mit Puppen gespielt." In der Schule entwickelte sie dann doch eine neue Leidenschaft: Mathematik – "das war meine Welt", sagt sie. In ihrer Familie war Natalia damit eine Exotin.
Eine Exotin an der Uni
Später, an der Technischen Universität in Hamburg, auch: Von den mehr als 100 Studierenden in ihrem Fach Informatik-Ingenieurwesen waren nur etwa 15 Frauen. Viel zu wenige – wie fast überall in den sogenannten MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. "Das Potenzial an Frauen ist noch nicht erschöpft", heißt es im "MINT-Trendreport 2011", den das INstitut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) herausgegeben hat. Zwar ist die Zahl der Erstabsolventinnen zwischen 2000 und 2009 um fünf Prozent gestiegen. Mit 31,4 Prozent liegt der aktuelle Frauenanteil aber noch weit unter den angestrebten 40 Prozent.
Weniger als ein Viertel der Absolventen sind Frauen
Vor allem die Ingenieurwissenschaften ziehen die Bilanz herunter: Weniger als ein Viertel der Absolventen sind weiblich. Das spiegelt sich in den Unternehmen. "Wir bekommen so gut wie keine Bewerbungen von Diplomingenieurinnen", sagt Brigitte Groß, Geschäftsführerin der Berliner Alpha- Board GmbH, einem Spezialisten für Elektronikdesign und Fertigungsservice. Dabei wären Frauen "eine Bereicherung" für ihr Team, "weil sie anders an technische Probleme herangehen", sagt die 62-Jährige. Sie ist eine Anhängerin des "Girls’ Day": Das ist der offizielle Tag im Jahr, an dem Mädchen Unternehmen, Hochschulen und Forschungszentren mit technischer Ausrichtung besuchen dürfen. Schülerinnen, die bei Apha-Board hereinschnuppern, seien meist ziwmlich begeistert vom Löten. "Sie sollen aber auch entwickeln", fordert Groß. "Je stupider die Arbeit, desto höher der Frauenanteil", bilanziert sie für ihre Branche.
Förderprogramme für Frauen
Zahlreiche weitere Initiativen und Förderprogramme sollen mehr Frauen in die MINT-Fächer locken. Allen voran der "Nationale Pakt" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (www.komm-mach-mint.de) und die Arbeitgeberinitiative "Think Ing." (www.think-ing.de). Daneben Mentoring- und Coachingprogramme sowie Maßnahmen einzelner Hochschulen und Firmen. Frauen sollen in Berufen der Elektro- und Informationstechnik eine Selbstverständlichkeit werden, fordert die Entwicklungsingenieurin Stefanie Schreiter als Vorsitzende des "Ausschuss Elektroingenieurinnen" im VDE. Sie alle locken auch mit der Aussicht auf einen hochbezahlten Job in einer der absoluten "Zukunftsbranchen": Laut MINT- Report lässt der Fachkräftemangel die Löhne deutlich ansteigen.
MINT-Frauen nach vorn
In erster Linie soll das enorme Engagement für mehr MINT-Frauen jedoch die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes retten. Denn als Exportnation ist Deutschland besonders auf das technische Know-how hochqualifizierter Fachkräfte angewiesen. Aber laut IW ist die Zahl der offenen Stellen in den MINT-Berufen heute schon fast auf Rekordniveau. Und der demografische Wandel lässt die Lücke noch wachsen. Ohne weibliche Absolventen wird der Bedarf nicht zu decken sein. Das haben jetzt auch die Unternehmen erkannt, die bis vor Kurzem männliche Bewerber bevorzugten. Doch die Scheu vor den Männerdomänen besteht hartnäckig. Saskia Wolter, die bei "Think Ing." für die Mädchenförderung zuständig ist, weiß: "Viele befürchten, sich in den konservativen Strukturen nicht durchsetzen zu können. Dazu braucht es ein enormes Selbstvertrauen."
Harter Tobak: Informatik
Das kann Eva-Maria Bauch bestätigen. Die 41-jährige Geschäftsführerin des deutschen Social Networks "wer-kennt-wen.de" kämpfte sich in den 90er-Jahren durch ein Informatikstudium an der TU München ("harter Tobak"!). Die Wahl des Faches war für die Tochter zweier Naturwissenschaftler, die selbst ein naturwissenschaftliches Mädchengymnasium besucht hatte, selbstverständlich. Doch der Kulturschock war groß: Seitens der Dozenten spürte sie "subtile Vorbehalte". Mitstudentinnen gab es verschwindend wenige, und was die Kommilitonen betrifft: "Die wollten immer gern mit mir Kaffee trinken – gemeinsam lernen war schon schwieriger." Für ihre Karriere in der Internetbranche habe sich das Durchhalten gelohnt. "Das strukturierte Denken, das ich im Studium gelernt habe, nützt mir bis heute", sagt sie.
Vorbilder fehlen
Vorbilder, wie Eva-Maria Bauch sie in ihren Eltern hatte, fehlen vielen Mädchen. Sie landen trotz naturwissenschaftlicher Begabung in typischen "Mädchenberufen". Wie Lina Richter, 29, aus Hamburg. Sie mochte in der Schule zwar besonders Mathe und Physik, "aber das war ja nichts für Mädchen". Also machte sie eine Friseurausbildung. Erst als sie anschließend das Abitur nachholte, erkannte sie ihr Talent: "Ich war im Mathe-Leistungskurs besser als die Jungs."
Wegen des Bezugs zum Friseurberuf studierte sie schließlich Chemie an der Uni Hamburg, ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin und arbeitet an ihrer Promotion. Eine weitere Portion Selbstvertrauen holte sie sich in einem Kurs aus dem Pro-Exzellenzia- Programm für sicheres Verhandeln. Das wird sie brauchen, wenn sie tatsächlich Karriere an der Universität machen will. Denn das schafft von den 50 Prozent Frauen, die ein Chemiestudium beginnen, kaum eine. Lina Richter: "Wir hatten bis vor Kurzem keine einzige Dozentin".