Sie ist Modell, Sängerin, Therapeutin, Mutter und nun auch noch Autorin: die gebürtige Dänin Ann-Marlene Henning. "Make Love" heißt das neu veröffentlichte Aufklärungsbuch der 48-jährigen Sexologin.
EMOTION: Von Sexualkundeunterricht bis Charlotte Roches "Feuchtgebiete" – man könnte meinen, dass wir heutzutage alles nur Erdenkliche über Sex wissen. Warum brauchen wir Ihr Aufklärungsbuch?
Ann-Marlene Henning: Weil in meinem Buch das kleine ABC des erotischen Genießens steht. Meist wird man nur über Verhütung, Fortpflanzung und Geschlechtskrankheiten aufgeklärt. In "Make Love" geht es dagegen auch um Liebe und Genuss. Ich beschreibe wie Erregung funktioniert, wie man spürt und genießt.
Ist Ihr Buch nur etwas für Jugendliche?
Qualitativer Sex und Orgasmus wollen gelernt sein. Täglich begegne ich in meiner sexualtherapeutischen Praxis aber Erwachsenen, die kaum etwas über ihre eigene Sexualität wissen. Da gibt es noch viel Aufklärungsbedarf.
Erstaunlich. Mit was für Problemen kommen sie zu Ihnen?
Einige Patientinnen sind über 60 und wollen jetzt endlich erfahren, was ein Orgasmus ist. Andere Ratsuchende sind Männer Mitte zwanzig, die immer zu früh zum Höhepunkt kommen. Keiner von ihnen hat gelernt, seine Erregung richtig zu steuern. Außerdem nehmen heutzutage die meisten tatsächlich pornografische Filme als Vorbild für guten Sex.
Ist das verkehrt?
Der Sex in Pornos ist stupides Hin-und-Her-Geruckel. Die gezeigten Bewegungen sind immer gleich. Sie setzen sich als Muster in unserem Gedächtnis fest. Das ist fast wie eine Art Konditionierung, die wenig Spielraum für Alternativen lässt. Und es wird ein Geschlechterbild vermittelt, bei dem die Frau nur hinhält und der Mann benutzt. Fatalerweise konsumiert heute selbst von den 11- bis 13-Jährigen schon jeder Zweite pornografische Filme. Mein Buch "Make Love" ist die lustvolle Alternative zur Aufklärung durch die Pornos.
Wie wichtig sind Emotionen für den Sex?
In der Wissenschaft unterscheidet man zwischen genitaler und emotionaler Erregung. Am intensivsten ist der Sex, wenn beides zusammenfällt, dann hat er eine ganz andere Qualität. Sicher kann man aber auch bei einem One-Night-Stand Spaß haben, bei dem das Zusammenspiel noch nicht so gut funktioniert.
Nur ein Fünftel der Frauen hat einen Orgasmus beim Geschlechtsakt. Warum?
Das Hauptproblem ist, dass viele Frauen ihren Körper nicht richtig kennen. Das weibliche Geschlechtsorgan ist ziemlich gut versteckt. Wir haben es nicht automatisch vor Augen, müssen es – im Gegenteil zu den Männern – nicht tagtäglich anfassen, wenn wir auf Toilette gehen. Eine Frau kann also vermeiden, irgendeinen Bezug zu Ihrem Geschlecht herzustellen. Zudem besitzen Männer 20-bis 30-mal mehr von dem Lusthormon Testosteron als wir.
Hat prinzipiell jede Frau die körperlichen Voraussetzungen zum Orgasmus?
Ja, fast jede! Viele denken, dass sie frigide sind, dabei haben sie einfach nur die falsche Technik. Die kämpfen sich ab, um zum Orgasmus zu kommen. Dabei spannen sie sich immer mehr an. Genau das ist jedoch der Fehler. Man muss sich abwechseln zwischen An- und Entspannung. Fließende Bewegungen in Oberkörper und Beckenboden sind da hilfreich. Orgasmushaben ist tatsächlich eine reine Übungssache. Deshalb sage ich auch immer, dass jeder selbst dafür verantwortlich ist. Ich selbst bin das beste Beispiel dafür. Früher konnte ich auch nicht zum vaginalen Höhepunkt kommen. Seitdem ich angefangen habe, mich beim Sex anders zu bewegen gelingt es mir. Nun geht die Erregung ganz tief von innen los. Mittlerweile kann ich mich sogar fast auf Knopfdruck in Stimmung bringen.
Wie können wir das lernen?
Zunächst muss man sich selbst erkunden, angucken und anfassen. Zur Schulung der Wahrnehmung eignet sich ein Dildo. Einfach einführen, ohne Vibration leicht bewegen, hinfühlen und hinspüren. Nur wenn die Frau bei der Selbstbefriedigung herausgefunden hat wie sie zum Orgasmus kommen kann, klappt es auch mit einem Partner. Beim Sex hat sich die Spatz-Wal-Stoßtechnik bewährt: kurz mehrfach vorne anstoßen (Spatz), dann langsam tief rein (Wal). Spatz und Wal dann immer abwechselnd benutzen. Ein Patienten-Paar hatte 13 Jahre nicht mehr miteinander geschlafen. Nach einer Woche mit der neuen Technik kamen sie grinsend in meine Praxis und sie gestand: "Ich habe etwas gespürt."
Der Besuch beim Sexologen ist in Dänemark so normal wie der Gang zum Zahnarzt. In Deutschland kennt man nicht einmal den Beruf. Sind wir etwa verklemmt?
Ja, die Deutschen reden nicht so gerne über solche Sachen. Selbst bei engen Freunden trauen sie sich oft nicht von Problemen im Sexualbereich zu erzählen. Viele Frauen glauben immer noch, dass sie sexuell gestört oder unreif sind, wenn sie nur Klitoris-Orgasmen haben. Die freudsche Theorie hängt noch ganz schön in den Köpfen fest. In Dänemark ist man da um einiges weiter. Man redet offener, geht zum Sexologen und es gibt jede Menge sexueller Sendungen im Fernsehen.