Paartherapeutin Dr. Sandra Konrad räumt auf mit den Liebes-Mythen und erklärt uns ziemlich plausibel, warum es weder Mr. Right und die bedingungslose Liebe gibt.
Nach Ihrem Buch "Das bleibt in der Familie" wurde vor kurzem Ihr neues Werk "Liebe machen – Wie Beziehungen wirklich gelingen" veröffentlicht. Wissen Sie als Paartherapeutin, wie eine Partnerschaft funktioniert?
Dr. Sandra Konrad: Eigentlich wissen die meisten, wie eine Partnerschaft funktioniert, aber wir verhalten uns oft nicht nach unserem Wissen, sondern nach unseren Gefühlen. Da geht es dann eher um kindliche, unbefriedigte Bedürfnisse, die der Partner erfüllen soll. Und obwohl jede Partnerschaft einzigartig ist, gibt es ein paar grundlegende Zutaten, die wir alle in Beziehungen brauchen: Vor allem das Gefühl, gesehen, gehört und geliebt zu werden.
Was genau sind diese "Mythen der Liebe", über die Sie schreiben?
Kurz gesagt: Dass es die bedingungslose, ewig leidenschaftliche, perfekte Liebe gibt. Wir träumen von Mr. Right, der uns ohne Worte versteht, die Wünsche von den Augen abliest und mit dem es keinen Streit gibt. Aber zur Liebe – so leid es mir tut – gehört auch der Mangel. Es gibt keine "Traummänner" oder "Traumfrauen", keine Garantie auf "für immer" und auch keine ständige und ewige Leidenschaft. Nichts ist perfekt, aber gerade dadurch wird es spannend. Nur so können wir uns auch weiterentwickeln!
Zur Liebe – so leid es mir tut – gehört auch der Mangel."
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In Ihrem Buch bin ich über einen Satz gestolpert: "Die Liebe ist nicht vom Schicksal abhängig, sondern zu großen Teilen 'selbstgemacht'". Klingt, als könnten wir alle, ob Single, Freundin oder Ehefrau, die Sache mit der Liebe steuern. Das fühlt sich oft aber nicht so an.
Sehr viele Probleme entstehen, weil wir unbewusst in einer kindlichen Erwartungshaltung verharren. In dem Moment, in dem wir aufhören, das Schicksal oder unseren Partner für unser Glück oder Unglück verantwortlich zu machen, übernehmen wir selbst die Verantwortung, die es braucht, um unser ganzes Leben zu steuern. Wir sind nicht nur Opfer der Umstände, sondern denkende, fühlende und handelnde Wesen, die sowohl "ja", als auch "nein" sagen können. Wenn der Partner wirklich alles falsch macht, warum haben wir ihn ausgesucht und warum bleiben wir bei ihm? Wenn das Single-Leben wirklich so furchtbar ist, was genau unternehme ich, um diesen Zustand zu ändern? Wenn ich mich wiederholt in "die Falschen" verliebe, was haben diese Fehlgriffe dann mit mit mir zu tun? Mit all diesen Fragen können wir uns selbst besser verstehen und immer mehr Schritte in die Selbstwirksamkeit machen.
Sie schreiben, dass manche Frauen ihr Single-Dasein nicht ihren hohen, sondern vielmehr falschen Erwartungen zu verdanken haben. Was meinen Sie damit?
Viele Single-Frauen (und auch Single-Männer) verlieren sich in unrealistischen Träumen, wie der andere sein sollte. Deshalb ist es ratsam, seine Erwartungen immer mal wieder zu überprüfen und sich die eigenen Träume lieber selbst zu erfüllen, statt auf einen Traumprinzen zu warten.
Außerdem kann man versuchen, den eigenen Anteil am Single-Dasein zu verstehen: Habe ich Angst, mich auf eine (neue) Beziehung einzulassen und wenn ja, warum? Bin ich an meine Eltern noch so stark gebunden, dass der Aufbau einer eigenen Familie einen Loyalitätskonflikt hervorrufen könnte? Habe ich eine alte Beziehung noch nicht verkraftet oder befürchte ich, abgelehnt und verletzt zu werden und vermeide deshalb, potentiellen Partnern eine Chance zu geben? Je besser wir uns selbst verstehen, desto einfacher haben wir es auch in Beziehungen.
Wie glücklich wir in Liebesbeziehungen werden, hängt vor allem von unserem Bindungsstil ab.
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Wenn wir uns selbst nur genug lieben, wird alles gut. Ist es wirklich so einfach?
Nein, denn Selbstliebe ist etwas, das sich – wenn sie nicht oder nur bedingt vorhanden ist – entwickeln muss. Die Ansage: "Lieb dich selbst" ist genauso absurd wie "Lach doch mal" oder "Sei spontan". Selbstliebe entsteht nicht im leeren Raum, sondern über die Beziehung zu anderen Menschen.
Wie glücklich wir in Liebesbeziehungen werden, hängt vor allem von unserem Bindungsstil ab, der in der Kindheit entsteht und der Schätzungen zufolge bei etwa 40 Prozent der Menschen "unsicher" ist. Menschen mit einem unsicheren Bindungsstil neigen entweder dazu, enge Bindungen zu vermeiden oder sich an andere zu klammern. Es braucht viele gute Beziehungserfahrungen, um einen unsicheren Bindungsstil sicherer werden zu lassen. Das Fazit: Wir brauchen andere Menschen, die uns dabei unterstützen, Vertrauen in die Welt und uns selbst aufzubauen.
Was halten Sie von Online-Dating-Plattformen?
In den heilenden Berufen gibt es das schöne Sprichwort: Was hilft, hilft. Wo Menschen sich kennenlernen, ist egal, hauptsache, sie lernen sich kennen! Allerdings rate ich dazu, nicht zu lange im Rahmen einer virtuellen Beziehung zu träumen, sondern lieber bald einen Realitäts-Check zu machen.
Müssen wir uns wirklich davon verabschieden Mr. Right zu suchen und zu finden?
Ja, unbedingt und zwar aus einem guten Grund: Den EINEN Mr. Right gibt es nicht. Glücklicherweise gibt es viele potentielle Partner, die zu uns passen. Nach der ersten Verliebtheit folgt allerdings unweigerlich eine Phase der Ent-Idealisierung und genau hier wird es spannend. Denn dann entscheiden wir, ob wir uns enttäuscht trennen oder ob wir dem Traummann die Gelegenheit geben, ein echter Partner zu werden.
Und wie steht es um die Seelenverwandtschaft? Existiert sie oder gibt es den Partner, der uns blind und zwar immer versteht, schlicht und ergreifend nicht?
Ich stehe dem Konzept der Seelenverwandtschaft eher kritisch gegenüber, weil sie zu den vielen Überforderungen gehört: Mein Partner soll mich immer verstehen und eins mit mir sein. Aber eine Paarbeziehung besteht sowohl aus einem WIR, als auch aus zwei ICHS. Zu viel Symbiose hindert Entwicklung und Autonomie und kann die Liebe ersticken. Eine Beziehung lebt doch gerade davon, dass sich zwei Individuen entschlossen haben, ihre Leben zusammenzulegen. Das bedeutet, bei aller Verbundenheit auch Unterschiede auszuhalten, Konflikte miteinander auszutragen und sowohl Nähe- als auch Distanzwünsche zu respektieren und zu leben.
Zum Schluss Hand aufs Herz: Halten Sie sich als Expertin in Ihren privaten Beziehungen an all die Regeln, Ratschläge und dieses gesammelte Wissen?
Sie werden es geahnt haben: Ich bin ein Mensch wie jeder andere auch. Ich liebe, ich streite, ich vertrage mich. Allerdings bin ich mir über den Wert meiner Beziehungen sehr bewusst. Ich bin dankbar für die Liebe, die ich in meinem Leben bisher erfahren durfte und ich versuche, meinen Anteil am Gelingen, aber auch an Konflikten zu reflektieren. "Liebe machen" ist mein bislang persönlichstes Buch, in dem ich auch ein paar Anekdoten aus meinem eigenen Beziehungsleben einstreue, um klarzumachen: Wir alle fallen hier und da mal auf die bescheuertsten Mythen rein. Wichtig ist es, sie zu erkennen und immer wieder Verantwortung für das eigene Liebes-Leben zu übernehmen.
Dr. Sandra Konrad ist Diplom-Psychologin und arbeitet seit 2001 als systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin in eigener Praxis in Hamburg. In ihrer Arbeit stellt sie immer wieder fest, dass die meisten Probleme in der Liebe auf unsere falschen Erwartungen zurückzuführen sind.
2013 erschien im Piper Verlag »Das bleibt in der Familie – Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten«. In ihrem aktuellen Buch »Liebe machen – Wie Beziehungen wirklich gelingen« beschreibt sie einfühlsam und anschaulich, wie die häufigsten Probleme in Beziehungen entstehen und was jeder einzelne dafür tun kann, sie zu lösen. Sandra Konrad ist verheiratet und lebt in Hamburg. Mehr Informationen zu Frau Dr. Konrad finden Sie hier.
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