Unsere Kolumnistin ist selbst Mutter von zwei Kindern und hat mit ihrem Buch für viel Aufsehen gesorgt. EMOTION hat Evelyn Holst dazu interviewt.
EMOTION: Woher kam die Idee für Ihr Buch?
Evelyn Holst: Durch meine Co-Autorin Eva Gerberding. Auslöser war ihr Besuch bei einer 83-Jährigen Bekannten, die sich wieder um ihren 60-Jährigen Sohn kümmert. Er ist nach gescheiterter Ehe und Arbeitslosigkeit wieder bei ihr eingezogen. Und da fragte sie sich, wer eigentlich sagt, dass Kinder glücklich machen.
Wie reagieren die Leser?
Wir bekommen viel positive Resonanz. Eltern freuen sich, dass jemand so etwas endlich mal ausspricht. Es gibt so viele Bücher über Kleindkindphase und Pubertät, aber kaum eines geht über das Beenden der Schule hinaus. Wenn ein Kind mit dreißig noch Unterstützung braucht, weil es sich hat scheiden lassen und nun alleinerziehend ist. Das Thema Kinder ist ungeheuer schambehaftet. Kaum jemand wagt zum Beispiel zu sagen, dass er darunter leidet, dass sein Kind sich so selten meldet.
Wieso ist es ein Tabu-Thema, mit Kindern auch mal unzufrieden zu sein?
Wir alle haben den Anspruch, perfekte Eltern zu sein. Und niemand von uns kann dem gerecht werden. So bekommt man Zweifel und stellt sich selbst als Ganzes in Frage. Eben auch wenn der Kontakt mit dem eigenen Kind gerade nicht optimal ist, weil es eine anstregende Phase durchmacht.
Wie erkenne ich so eine Phase?
Wenn Kinder älter sind, ist es schwierig zu sehen, ob ein Abschnitt gerade anfängt oder endet.
Raucht ein Kind mit dreizehn die erste Zigarette, kann das der Anfang einer Drogenkarriere sein oder im nächsten Monat schon wieder beendet. Solche Gedanken beschäftigen uns und machen uns unruhig, besorgt und unsouverän. Alle Eltern machen das durch.
Gibt es die Art zu erziehen überhaupt?
Nein! Jedes Kind ist ja anders, das erlebt man gerade bei Geschwistern. Gleiche Bedingungen, gleiche Eltern, gleicher Erziehungsstil aber völlig unterschiedliche Kinder. Diese Erfahrung hat wahrscheinlich jedes Elternpaar mit mehr als einem Kind schon gemacht. Ich fand gerade einen Artikel aus Amerika ganz interessant, dort gibt es Kurse, die "How to unparent your kids" heißen. "Unparent" heißt hier das Kind loszulassen, also nicht ständig über dem Kind zu kreisen.
Was machen die meisten Eltern falsch?
Wir haben zu wenig von unseren Kindern erwartet. Wir haben gedacht, wenn unsere Kinder immer bespaßt werden, wenn ihnen nie langweilig ist und sie sich nie stressen, wenn wir jedes Mal, wenn sie auch nur fast hingefallen wären, sofort mit der helfenden Hand kommen, dann werden aus ihnen entspannte, glückliche und kompetente Erwachsene. Das Gegenteil ist der Fall! Es kommen verwöhnte Monster heraus, die bei jeder kleinen Schwierigkeit nach Mama schreien oder aufgeben. Ich übertreibe jetzt natürlich, aber ich möchte es anschaulich machen.
Was würden Sie ändern wenn Sie selbst noch einmal erziehen müssten?
Ich wäre strenger, würde mehr erwarten und wäre konsequenter. Kinder kommen mit Konsequenz wunderbar klar. Viele Eltern aber nicht. Ich habe gerade erst von einer Mutter gehört, dass sie viel zu bequem war, ihr Kind zu erziehen. Sie wollte einfach eine schöne Zeit mit ihm haben. Sie war nicht aus übertriebener Liebe inkonsequent, sondern aus Faulheit. Erziehen heißt aber Aushalten.
Wenn das Kind mal bockig ist, oder es nervige Diskussionen und Kampf gibt. Gerade da sind viele Eltern zu überfordert oder erschöpft für.
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Wer sagt, dass Kinder glücklich machen?: Von Vätern und Müttern am Rande des Nervenzusammenbruchs
Faule Monster und unantastbare Mütter
Was fanden Sie selbst bei der Recherche zu ihrem Buch am spannendsten?
Die verschiedenen Elterngeschichten. Außerdem meiner eigenen Erziehungsarbeit auf die Sprünge zu kommen. Gerade das, was ich an meiner Erziehung so toll fand, war im Grunde ein Fehler. Nämlich dafür zu sorgen, dass es den Kindern immer gut geht. Ihnen nichts zuzumuten. Jetzt habe ich einen Sohn, den muss ich zur Arbeit fahren. Er liebt das Wort "Chillen". Er liebt es nicht nur, er tut es auch. Da habe ich mir ein faules kleines Monster herangezüchtet. (lacht) Den muss ich erst mal richtig in die Welt treiben.
Sollen wir alle die Kindern von anderen mit erziehen dürfen?
Ja, wenn es nicht so meckerig ist sondern ruhig erklärt wird. Ich saß gestern im Flieger und hinter mir sah ein Kind einen Film auf dem iPad. Es war so laut und ich habe mich umgedreht und gebeten, den Ton etwas leiser zu drehen, weil es mich störte. Da habe ich erst gesehen, wie klein das Kind war. Es konnte noch gar nicht richtig reden. Die Mutter wäre mir fast ins Genick gesprungen. Man zählt ja dann als Kinderfeind, wobei ich finde, dass der Ton die Musik macht. Mütter sind jedoch häufig beratungsresistent, wenn man ihre Kinder oder Erziehungsmethoden auch nur ansatzweise kritisiert.
Womit hängt das zusammen?
Kinder sind bis etwa in die Kleinkindphase hinein etwas wie eine Ergänzung meiner selbst. Ich bin das Kind, das Kind bin ich. Man kritisiert die Gesamtheit, wenn man etwas sagt. Viele Eltern fühlen sich dann in Frage gestellt und das macht sie aggressiv.
Welchen Tipp haben Sie für Eltern?
Ein gewisses Vertrauen zu haben. Nicht das Gefühl zu haben, man muss sein Kind vor Allem beschützen. Das Kind auch mal ausprobieren lassen, damit es scheitert. Es muss Frustration erleben dürfen. Wir sollten ihm nicht aus eigener Ungeduld oder um ihm den Frust zu ersparen, helfen. Ich glaube eine richtig gute Erziehung ist, einfach Geduld zu haben. Zu warten bis das Kind von selbst so weit ist und nicht alles immer schnell, schnell, schnell. Weil man beschäftigt ist oder irgendwo hin will. Und wie gesagt das schöne Wörtchen Konsequenz. Wenn man etwas androht und es nicht einhält, wissen Kinder sehr schnell, dass Eltern vieles gar nicht aushalten.
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