Ein Interview mit dem Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort zum Thema Alter und Kinder - und ein Gespräch mit zwei Expertinnen, die wissen, warum Mütter effizienter arbeiten.
EMOTION: Trifft das Klischee zu, dass Mütter mit zwanzig selbst noch halbe Kinder sind und deshalb noch nicht reif für die Rolle als Mutter?
Prof. Schulte-Markwort: Generell werden junge Mütter stärker aus ihrem Leben gerissen als späte Mütter. Sie stehen erst am Anfang ihres Erwachsenenlebens, haben oft noch keine Ausbildung abgeschlossen, und während ihre Freunde auf Partys gehen, verbringen sie die Nächte mit Stillen und Windeln wechseln. Viele sind total überfordert, sehr junge Frauen sind manchmal fast so hilflos wie das Baby. Die meisten haben sich auch noch nicht ernsthaft in einer Partnerschaft ausprobiert, es sei denn, sie heiraten ihre Sandkastenliebe.
Beeinflusst es aus psychologischer Sicht die Entwicklung eines Kindes, wenn eine Mutter sehr jung ist?
Eine sehr frühe Schwangerschaft gilt als ein Risikofaktor dafür, dass Kinder Verhaltensprobleme entwickeln. Bei Müttern, die 16 bis 21 Jahre alt sind, steigt das Risiko um das Zwei- bis Vierfache, dass ihre Kinder psychisch auffällig werden.
Lässt sich dagegen etwas tun?
Man könnte untersuchen, wie psychisch belastbar eine Risikomutter ist, um sie bei Bedarf frühzeitig zu unterstützen.
Sind junge Mütter oft übertrieben vorsichtig oder trifft das eher auf späte Mütter zu?
Übertriebene Fürsorge ist eindeutig älteren Müttern zuzuschreiben. Sie gelten als over protective, als überbesorgt. Allein die Lebenserfahrung macht sie schon vorsichtiger. Jüngere Mütter sind sich dagegen vieler Risiken gar nicht bewusst. Dafür sind sie streng.
Übertriebene Fürsorge ist eindeutig älteren Müttern zuzuschreiben.
Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-MarkwortTweet
Die jungen Mütter?
Ja, sie können unglaublich streng sein. Sie halten sich an Regeln fest, sind wenig bis gar nicht tolerant und fordern von ihren Kindern sehr früh, selbstständig zu sein. Späte Mütter sind wesentlich großzügiger.
Geht mit der Strenge auch einher, dass sie ihr Kind zu guten Leistungen anspornen?
Das lassen jüngere Mütter eher mal schleifen, was sicherlich auch damit zusammenhängt, dass sie eine hohe Selbstständigkeit erwarten. Dadurch macht sich eine Art Wurschtigkeit breit, nach dem Motto "Mach deinen Kram doch selbst". Was im schlimmsten Fall zur Verwahrlosung des Kindes führen kann. Ältere Mütter sind dagegen bei ihren Erziehungsmaßnahmen längst nicht so streng, aber umso ehrgeiziger, was die Leistungen des Kindes betrifft.
Wer gilt heute eigentlich als junge Mutter?
Das ist eine 20-Jährige.
Sind die heute vielleicht unreifer als noch vor ein paar Generationen?
Die Adoleszenz breitet sich aus, und wir schauen besorgt auf junge Mütter. Früher war es normal, jung Mutter zu sein. Allein schon wegen der geringeren Lebenserwartung von etwa 58 Jahren. Heute werden Kinder in mancher Hinsicht zwar viel schneller erwachsen und erleben viele Dinge früher, was sie aber nicht automatisch reifer dafür macht, Mutter zu sein. Emotionale und soziale Unreife gekoppelt mit psychischer Verzichtsleistung führt zur Unreife junger Mütter. Außerdem wachsen Kinder heute viel behüteter und mit teilweise übertriebener Fürsorge auf, was ihre Entwicklung verlangsamt.
Aber wenn man jung ist, sprüht man da nicht nur so vor Energie?
Ja, man hat in dem Alter normalerweise mehr Energie. Eine junge Mutter braucht diese aber auch. Sie muss viel mehr Energie aufbringen als die späte Mutter, weil sie alles unter einen Hut bringen will: Kinder, Partys, ihre Position in verschiedenen Lebensbereichen, ihre eigenen Interessen und die der Kinder. Damit setzt sie sich einem immensen Druck aus, der viel Kraft kostet.
Aber sie steckt das Schlafdefizit ja auch besser weg.
Ein Schreibaby kann jede Mutter bekommen, egal welchen Alters sie ist. Ich bin sicher, dass eine gute Mutter so für sich selbst sorgen wird, dass sie ihr Schlafdefizit im Sinne ihres Kindes wieder ausgleicht. Mit Abstand am besten stecken eindeutig die 30-Jährigen ihr Schlafdefizit weg. Viel schlechter können es die 20-Jährigen, die es eigentlich gewohnt sind, bis 11 Uhr morgens auszuschlafen. Und die 40-Jährigen, weil ihre Kraftreserven einfach schneller aufgebraucht sind.
Wachsen Kinder von jungen Müttern anders auf, weil die näher dran sind am aktuellen Leben?
Ältere Mütter sind genauso nah dran. Schauen Sie sich doch nur die heute Vierzigjährigen mal an. Sie stehen den Moden und der Technik genauso aufgeschlossen gegenüber. Und geben das auch genauso an ihre Kinder weiter. Ich sehe da keinen Unterschied. Und von geistig reifen und ausgeglichenen Eltern können Kinder doch nur profitieren.
Das Leben mit Kind verlangt Müttern Veränderungen in allen Lebensbereichen ab und fordert sie unablässig. Sind Mütter über vierzig weniger flexibel?
Nein, im Gegenteil. Späte Mütter sind sehr flexibel, vorausgesetzt, es handelt sich um ein Wunschkind. Dafür geben viele sogar ihre Karriere gern auf.
Ältere Mütter haben jungen Müttern also einiges voraus?
Durchaus. Eine späte Mutter hat sich selbst gefunden. Sie ist fertig mit der Ausbildung, hat in der Regel ihren Beruf ausgeübt und ihr Leben genossen. Sie tauscht das Kind gegen die Karriere und trifft damit eine bewusste Entscheidung. Mir fällt auf, dass späte Mütter von ganz viel Freude und Gelassenheit erfüllt sind. Sie sehen das Kind als Bereicherung und sind fröhlicher im Umgang mit dem Kind als junge Mütter.
Wenn Kinder klagen, dass sie zu Hause nur leise spielen dürfen, sind das eher Kinder von "alten Eltern"?
Lärm kann sicherlich mal nerven. Doch so etwas ist kein echtes Problem, weder für junge noch für späte Mütter. Aber Jüngere werden schneller ungeduldig, weil es ihnen noch an psychischer Flexibilität fehlt.
Wie fühlen sich Kinder, wenn ihre Eltern leicht für ihre Großeltern gehalten werden können?
Das ist mir in der Praxis selbst schon passiert. Doch Kinder nehmen den Altersunterschied nicht so wahr. Letztendlich ist es die Beziehung zu den Eltern, auf die es ankommt.
Mir fällt auf, dass späte Mütter von ganz viel Freude und Gelassenheit erfüllt sind.
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Es ist Kindern nicht peinlich?
Die vorpubertäre Phase und die Pubertät sind eine sehr verwundbare Zeit. Jugendliche lösen sich von den Eltern. Da kann eine junge Mutter genauso peinlich sein wie eine ältere. In meiner Praxis gibt es einen Jungen, der es toll findet, dass sein Vater nachmittags zu Hause bei den Schularbeiten helfen kann, weil er pensioniert ist. Aber was zu Hause begrüßt wird, muss draußen noch lange nicht zutreffen. Eltern können ihren Kindern grundsätzlich peinlich sein. Dennoch muss ein Vater um die 70 eher damit rechnen.
Bringen Kinder alten Eltern mehr Respekt entgegen - und passen sich folglich besser im Leben an?
Respekt äußert sich unabhängig vom Alter der Eltern. Binden Eltern ihre Kinder in eine sichere und stabile Beziehung ein und begegnen sie ihnen selbst authentisch und mit Respekt, schafft das die Voraussetzung dafür, dass die Kinder genauso auf ihre Eltern antworten.
Aber das Alter der Mütter prägt auch das Sozialverhalten ihrer Kinder?
Junge Mütter haben keinen gleich bleibenden Erziehungsstil. Sie sind sehr inkonsistent. Das trägt dazu bei, dass Kinder von ganz jungen Müttern häufiger sozial auffällig werden. Es fällt ihnen schwerer, sich an Regeln zu halten, viele sind übermäßig aggressiv und oft nicht gruppenfähig. Reifere Mütter sind in der Regel konsequenter bei der Erziehung, und sie geben Stress oder Anspannung nicht gleich eins zu eins an ihr Kind weiter.
Andersherum betrachtet, halten Kinder späte Mütter nicht auch jung?
Es ist für alle Eltern grundsätzlich eine große Herausforderung, Kinder großzuziehen. Ältere Mütter bleiben dabei sicherlich länger körperlich als auch geistig fit.
Ab welchem Alter gilt man aus medizinischer Sicht denn als späte Mutter?
Ab 40 Jahren. Aus gynäkologischer Sicht schon ab 38, weil das Risiko viel höher ist, Kinder mit einem Down-Syndrom auf die Welt zu bringen.
Welches Alter für die Schwangerschaft würden Sie einer Frau empfehlen, die ein Kind möchte?
Ich würde das nicht ausschließlich am Alter festmachen. 25 kann genauso gut sein wie 30. Entscheidend ist, dass eine Frau ihre Ausbildung abgeschlossen hat und die Fähigkeit besitzt, verzichten zu können. Gut ist, wenn sie sich bereits selbst entdeckt und einen Lebensplan entworfen hat. Ist eine Frau zusätzlich noch eine bindungsfähige Partnerschaft eingegangen, ist der ideale Zeitpunkt für ein Kind gekommen.
Hier lesen Sie das Interview "Mütter sind effizienter im Beruf"
Mütter sind effizienter im Beruf!
Johannes Wiek
Katharina Dietze und Sonja Strich vom PEP-Institut erkennen in Mütter die Führungskräfte der Zukunft. Sie sind führende Expertinnen für Office-Excellence, Teamarbeit und Arbeitseffizienz, außerdem Mehrfach-Mamas - und wissen ganz genau, warum arbeitende Mütter besser sind!
emotion: In vielen Unternehmen werden Mütter als Risiko-Mitarbeiterinnen angesehen. Sie gelten als ausfallgefährdet, häufig gestresst und nicht voll präsent. Ihr Institut vertritt eine ganz andere These.
Katharina Dietze: Wir können Unternehmen nur raten, mehr Mütter einzustellen und Frauen im Beruf zu ermöglichen, eine Familie zu gründen. Sie profitieren davon erheblich. Gerade Mütter machen Unternehmen effizienter.
Wie sind Sie zu der Überzeugung gekommen?
Katharina Dietze: Wir beraten seit 20 Jahren Unternehmen, wie sie mehr Arbeitszufriedenheit und Effektivität in ihren Büros erreichen können.
Sonja Strich: Mit unserem Office Performance Index OPX messen wir, in welchen Bereichen der Einzelne oder das ganze Team produktiver arbeiten kann. Wie gut funktionieren zum Beispiel die Arbeitsabläufe? Arbeiten alle Hand in Hand? Wie klappt die Kommunikation mit den Kollegen? Und wie gut können sich die Mitarbeiter selbst organisieren und ihre Zeit einteilen?
Katharina Dietze: Gerade Mütter im Alter von 30 bis 35 Jahren haben eine hervorragende Office Performance: Sie haben ein extrem gutes Stressmanagement, sind aufgrund des beschränkten Zeitbudgets sehr effektiv und verlässlich und denken für das ganze Team mit. Sie treffen Entscheidungen schnell und hinterfragen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen sehr viel früher und kritischer, ob eine Aufgabe wirklich notwendig und Erfolg versprechend ist. Für endlose Meetings und Diskussionen haben Mütter im Job einfach keine Zeit. Denn sie müssen um 16 Uhr Feierabend machen, weil sonst die Krippe zu macht. Und damit kommen wir zu dem vielleicht wichtigsten Ergebnis unserer OPX-Messungen: Wir finden keinen Unterschied in der Arbeitsleistung von Müttern in Teilzeit und ihren Kollegen und Kolleginnen in Vollzeit. Mütter schaffen in fünf bis sechs Stunden das gleiche Arbeitspensum, für das die anderen den ganzen Tag Zeit haben.
Was erklärt diese Statistik?
Katharina Dietze: Für berufstätige Mütter ist es normal, ständig zehn Bälle in der Luft halten. Sie müssen permanent planen, alle Abläufe im Blick behalten, Termine koordinieren. Ihre entscheidende Fähigkeit ist, Dinge schnell und gründlich zu machen und Routinen zu entwickeln, damit gleichzeitig die Präsentation im Job fertig wird und sie es noch rechtzeitig zur Theateraufführung in die Schule schaffen.
Wissen die meisten berufstätigen Mütter eigentlich, wie gut sie sind?
Sonja Strich: Eher nicht. Viele sagen uns sogar, sie seien ja "nur" Teilzeitmitarbeiterinnen. Was heißt bitteschön "nur"? Für berufstätige Mütter gilt: "Ich manage ein erfolgreiches Kleinunternehmen - und meinen Beruf!" Eine Mutter organisiert mindestens 80 Prozent des Familienlebens. Und gerade daran zeigen sich ihre extrem guten Managementfähigkeiten.
Wie sieht es auf der Unternehmensseite aus?
Sonja Strich: In vielen Unternehmen gibt es in Sachen Familienfreundlichkeit erste gute Ansätze – zum Beispiel flexible Kinderbetreuung bei Krankheit. Entscheidend sind aber die Arbeitszeitmodelle. Durch die neuen Kommunikationstechnologien sind heute alle Formen möglich. Viele Unternehmen stellen aus Zeit- und Kostengründen die Praxis der Teamkommunikation ohnehin schon auf Videokonferenzen um.
Katharina Dietze: Aber Unternehmen, die wirklich begriffen haben, wie effektive Arbeit in Zukunft funktioniert, denken schon längst in Prozessen, in die sich jeder Mitarbeiter nach seinen besten Möglichkeiten einbringen kann. Es macht doch keinen Sinn, eine Mutter mit ihren neuen Kompetenzen nur an ihren alten Schreibtisch zu setzen. Entscheidend ist, ihren Verstand und ihre Fähigkeiten wieder in das Unternehmen zu holen - und zwar so früh wie möglich. Erst in Teilprojekten, dann mit größeren Aufgaben in Teilzeit mit Home-Office oder Job-Sharing. Und nach fünf Jahren können die meisten Mütter wieder voll einsteigen.
Und wie sieht es für Mütter in Führungspositionen aus?
Katharina Dietze: In dieser Hinsicht sind die Verhältnisse in Deutschland unfassbar reaktionär. Dabei sind Mütter ideal für Führungspositionen geeignet. Sie haben gelernt, weitreichende Entscheidungen für Menschen zu fällen, für die sie hundertprozentig verantwortlich sind - und mit den Konsequenzen dieser Entscheidungen klarzukommen. Das sind optimale Fähigkeiten für Führungsaufgaben.
Sonja Strich: Die ersten einflussreichen Unternehmen haben das begriffen. Der Vorstand der Deutschen Telekom sagt zu Recht, dass es in Zukunft gar keine andere Chance für Unternehmen gibt, als Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Nicht nur aufgrund des demographischen Wandels, sondern weil Frauen - und nicht zuletzt Mütter - zunehmend die besseren Qualifikationen aufweisen.
Katharina Dietze: Solche erfolgreichen Mütter der Zukunft können eins wirklich gut gebrauchen: zukunftsfähige Männer, die genauso stark, flexibel und effizient sind - in beiden Welten - und sogar akzeptieren können, dass die Mutter ihrer Kinder vielleicht mehr Geld verdient als sie. In solche Männer sollte man sich sofort verlieben!
Welche Motivation hat Sie beide persönlich angetrieben, erfolgreiche Unternehmerinnen und mehrfache Mütter sein zu wollen?
Katharina Dietze: Das Streben nach Lebenszufriedenheit. In einer intakten Familie, aber auch als Frau, die außerhalb der Familie Akzeptanz und Erfüllung findet. Und wirtschaftliche Unabhängigkeit.