Für Mediziner ist es das psychosomatische Organ schlechthin: Seit etwa 25 Jahren erforschen Wissenschaftler die enge Verbindung unserer Gefühle mit dem Herzmuskel. Die Psychokardiologie zeigt, dass Angst, Wut und Trauer unser Herz und unseren Kreislauf oft stärker aus dem Takt bringen, als wir glauben.
Bei keinem anderen Organ fällt es uns so leicht, den Zusammenhang zwischen Seele und Körper zu begreifen wie beim Herzen. "Man kann schon sagen, dass es das psychosomatische Organ schlechthin ist", sagt Prof. Martina de Zwaan, Leiterin der Abteilung für Psychosomatik an der Medizinischen Hochschule in Hannover. "Das liegt daran, dass wir es so deutlich wahrnehmen: Wir fühlen das Herz, wenn wir bestimmte Gefühle haben, spüren die Reaktion. Etwa: Aufregung – der Puls geht hoch." Wir bekommen ein schönes Herzklopfen, wenn wir lieben. Ein nervöses, wenn wir vor Prüfungen stehen oder Angst haben. Und spätestens beim ersten Liebeskummer erleben wir den Herzschmerz, das echte, körperliche Weh, bei dem sich alles zusammenkrampft in unserer Brust. Von dieser engen Verbindung erzählen jahrtausendealte Mythen, Märchen, Romane und Gedichte und sogar die Religion.
Sie erzählen vom kalten Herz, vom Herz Jesu und bis heute prägt das Herz die Popkultur – "My Heart is beating like a Jungle Drum" sang etwa Emiliana Torrini 2009, und sie simulierte sogar den Herzschlag der Verliebten – "ka-tung-tung-raka-tung-bummbumm".
Doch obwohl die Zusammenhänge so offensichtlich scheinen, hat die Schulmedizin die Beziehung zwischen Herz und Seele lange nur wenig erforscht. Erst seit etwa 25 Jahren mehren sich Studien, die das biochemische Wechselspiel nachweisen.
Das Herz ist das Trauerorgan – es kann sogar brechen
Heute sind verschiedene psychosomatische Herz- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bekannt. Etwa Krankheiten ohne körperlichen Befund: Ein Herz reagiert körperlich auf seelische Belastungen, ist dabei aber völlig gesund. Der Patient erlebt bedrohlich wirkende Symptome, aber der Arzt findet nichts.
Es gibt auch seelische Erkrankungen wie Depression oder Angst, die als Folge einer organischen Herzkrankheit auftreten. Und dann sind da noch drittens: psychisch bedingte Herzkrankheiten, die mit tatsächlichen Organveränderungen einhergehen. "Wer etwa dauerhaft unter Druck steht, also ständig Stresshormone ausschüttet, signalisiert dem Körper permanente Bedrohung", erklärt Martina de Zwaan. Das fördert Bluthochdruck – und letztlich auch den Herzinfarkt.
Zu dieser letzten Gruppe gehört auch das seltene, aber eindrucksvolle Syndrom des gebrochenen Herzens: Vor 25 Jahren beschrieben japanische Ärzte es erstmals als "Takotsubo-Syndrom". Sie nannten es nach einer Tintenfischfalle, einem Krug mit starker Taille. Denn die Röntgenbilder der Betroffenen zeigten eine zusammengezogene linke Herzkammer und eine aufgeblähte Herzspitze. Aufgetreten war es bei Menschen, die kürzlich ihren Lebenspartner verloren hatten. So bekam das "Broken Heart Syndrom" seinen amerikanischen Namen. "Das Herz ist das typische Trauerorgan", sagt die Medizinerin. Die Krankheit des gebrochenen Herzens fühlt sich an wie ein Herzinfarkt: Brustschmerzen, Atemnot, der Blutdruck fällt ab. Aber sie wird zum Glück selten diagnostiziert und heilt meist von selbst wieder aus.
Wenn das Herz krank ist, braucht auch die Seele Hilfe
Seit etwa 25 Jahren gibt es einen eigenen Forschungsbereich, der sich um die Psychosomatik des Herzens kümmert: die Psychokardiologie. Forscher dieser Disziplin fanden zum Beispiel heraus, dass der Herzinfarkt keine Managerkrankheit ist, wie man lange Zeit glaubte. Heute geht man eher von "unterdrücktem Ärger" als Auslöser aus. Also von gehemmter Wut und dauerhaftem Stress, der nicht abgebaut wird.
Zurzeit werden vor allem die Zusammenhänge zwischen depressiven Stimmungen und dem Herzen erforscht. Und die Verbindungen sind komplex: So ist bei depressiven Menschen etwa das vegetative Nervensystem aus dem Gleichgewicht, das den Herzschlag reguliert. Auch die Blutgerinnung kann sich durch eine Depression verändern. Dazu kommen die üblichen Risikofaktoren für das Herz, die oft mit einer Depression oder depressiver Stimmung einhergehen – Zigarettenkonsum, Alkohol, schlechte Ernährung, zu wenig Bewegung.
Doch manchmal läuft es auch umgekehrt: Wer körperlich am Herzen erkrankt, kann dadurch depressiv werden, selbst wenn er bislang psychisch gesund war. Man spürt, wie der Lebensmotor schwächelt, und wird darüber ängstlich und traurig. Beides verschlechtert wiederum die Chancen zu gesunden. "Deshalb begleiten wir auch körperlich Herzkranke psychotherapeutisch, um einer Depression vorzubeugen", erklärt Professorin de Zwaan.
Die Angst vor der Angst
Doch was geschieht dort, wo das Herz klopft und rast – obwohl es eigentlich kerngesund ist? Wo man den Infarkt fürchtet, obwohl der Motor wunderbar arbeitet? Häufig entdecken Mediziner dahinter eine Angststörung: Der Körper reagiert mit Fluchtimpulsen – obwohl gar keine Schritte hinter einem klingen. Und irgendwann "entsteht die Angst vor der Angst", die Furcht vor dem Klopfen, dem Schwitzen, dem Stechen. Die Patienten fangen an, sich zu schonen oder isolieren sich.
Doch wie kann man diesen Körper-Seele-Wechselspielen vorbeugen? Was tun, damit es gar nicht erst so weit kommt? "Schicksalsschläge und bestimmte traumatische Erlebnisse lassen sich ja nicht vermeiden. Sie kommen über einen. Aber natürlich können wir etwas für ein gesundes Organ tun – gesund leben, uns bewegen, uns nicht mit Stress überlasten", sagt Martina de Zwaan. Wer traumatische Erlebnisse hatte, dem rät sie: "Man sollte nicht warten, bis der Körper krank wird. Man kann sich auch vorher Hilfe holen."
Unser Körper reagiert, bevor wir selbst geistig begriffen und entschieden haben
Von Herzangst-Erkrankungen sind Männer häufiger betroffen als Frauen. "Noch!", sagt die Professorin. "Männer haben die höheren Risikofaktoren, aber die Lebensumstände passen sich zunehmend an – stressige Jobs, dazu Doppelbelastung. Und ein ungesunder Lebensstil – auch Frauen rauchen, trinken oder bewegen sich zu wenig. Es ist eine Frage der Zeit, bis sich die Zahlen angleichen." Und tatsächlich: Seit den 70er Jahren werden kontinuierlich mehr und mehr Frauen herzkrank.
Dieses Zusammenspiel von Seele und Körper hat auch etwas Verflixtes: Unser Körper reagiert, bevor wir selbst geistig begriffen und entschieden haben. Scheinbar entscheidet er für uns und über uns. Und zeigt uns zugleich unsere Grenzen, die des einzelnen Menschen und die der Gesellschaft. Er offenbart die Krankheiten des Zeitgeistes und der Kultur – des Lebensstils. "Es ist schon toll, was unser Körper alles kann, oder? Dieses multiple Wechselspiel beeindruckt mich immer wieder", verrät Martina de Zwaan. "Aber es ist auch wichtig, dieses Wechselspiel immer weiter zu erforschen und es noch besser zu begreifen – denn das heißt: den Menschen als Ganzes verstehen zu können."
Lesen Sie mehr über den Zusammenhang von Stress und Rückenschmerz