"Die Lasagne schmeckt toll" und "Der Sex war fantastisch". Unsere Kolumnistin möchte, dass andere sich gut fühlen. Dass sie deshalb nicht immer ganz die Wahrheit sagt, rächt sich oft später.
Ich habe eine Freundin, für die in der Kathedrale meines Herzens eine dicke, fette Kerze brennt. Sie ist lustig, sie ist zuverlässig, und wenn ich um drei Uhr morgens ein Problem hätte, dann wäre sie 20 Minuten später da und würde es lösen. So eine Freundin ist sie. Sie hat nur einen winzig kleinen Fehler: Sie kann nicht kochen. Wirklich gar nicht. Wäre kein Problem, wenn sie ihre matschigen Rouladen, ihr halbrohes Kartoffelgratin oder ihre fetttriefende Auberginenlasagne allein verspeisen würde, aber sie hat gern Gesellschaft dabei. Am liebsten meine.
"Noch Nachschlag?"
Oh wie ich sie fürchte, diese "Ich hab was im Ofen, hast du Zeit?"-Anrufe. Ein Gefühl wie auf dem Zahnarztstuhl, wenn sie dann etwas ungut Duftendes auf den Tisch stellt. "Nachschlag?", fragt sie hoffnungsvoll und da ich alle Ausreden wie "Hab reichlich zu Mittag gegessen", "Versuch gerade abzunehmen" etc. bereits verbraucht habe, ergebe ich mich. Weil ich den Zeitpunkt verpasst habe, ihr vorsichtig die Wahrheit zu sagen. Und genau da liegt das moralische Dilemma. Wenn man immer brutal die Wahrheit sagt, hat man keine Freunde mehr. Ich bin deshalb ein Fan der gut gemeinten Notlüge. Ich will ein: "Oh, mal was ganz anderes, steht dir aber!" hören, auch wenn mein neuer Raspelschnitt wie das Nest einer nervösen Ratte aussieht. Nein, auch kein tröstend gemeintes "Wächst ja wieder!"
Hätte ich doch gleich die Wahrheit gesagt
Zum Problem wird das nur, wenn die erste Notlüge Flügel kriegt und sich nicht mehr einfangen lässt. Beim ersten Mal so gekonnt einen Wahnsinns-Orgasmus vortäuschen, dass man aus lauter Zugzwang nie wieder einen natürlichen kriegt. Weil man dem Mann, den man liebt, sehr ungern irgendwann ein "Schatz, du bist leider nicht der tolle Lover, für den du dich hälst" ins Ohr flüstern würde. Vieles, was man aus Liebe, Freundschaft, Konfliktscheuheit oder Höflichkeit verschweigt, verdrängt oder zulässt, kommt später wie ein Bumerang zurück. Hätten wir doch gleich am Anfang die Wahrheit gesagt! Denn wenn wir sie jetzt sagen, ist nicht nur die Tasse kaputt, sondern der ganze Porzellanladen.
Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht
"Du schummelst extra, damit ich gewinne?!" - nie werde ich die entsetzten Augen meines Sohnes vergessen, als er merkte, dass ich ihm beim Mau-Mau-Spielen bewusst immer die Buben zuspielte. Ich wollte sein Selbstbewusstsein stärken, weil er in der Schule so zu kämpfen hatte. Tatsächlich erreichte ich damit, dass mein Sohn das Gefühl hatte: Sogar bei so einem Babyspiel muss meine Mama mir helfen. Es hat lange gedauert, bis er mir wieder vertraute. Was lernen wir daraus? Dass gut gemeint nicht immer gut gemacht ist. Dass unbequeme Wahrheiten zwangsläufig am Anfang etwas wehtun, aber eben nur am Anfang. Wie die Jodtinktur, die man auf eine offene Wunde tröpfelt. Autsch und dann - alles gut. Es gehört Mut dazu. Mir fehlt er leider auch oft, Stichwort Auberginenlasagne. Ja, ich schlucke meine ehrliche Meinung zum Essen meiner Freundin weiter runter. Es hätte schließlich (noch) schlimmer kommen können.
Evelyn Holst hält Ausschau. Hinter dem Fenster ihrer Hamburger Wohnung. Und natürlich vor der Haustür. Immer wieder stellt sie fest: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn …